Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung

Ermordete Kinder: Neuer Straßenname erzählt die Geschichte der Geschwister Schönert

Die Nachfahren der Geschwister Schönert begrüßen die Umbenennung der ehemaligen Augsburger Dr.-Mack-Straße (von links): Moritz Steiner, Zoltan Arany, Sibylle Schönert, Rosemarie Schönert, Michael Schönert und Sibylle Manger. (Foto: Kristin Deibl)
Die Nachfahren der Geschwister Schönert begrüßen die Umbenennung der ehemaligen Augsburger Dr.-Mack-Straße (von links): Moritz Steiner, Zoltan Arany, Sibylle Schönert, Rosemarie Schönert, Michael Schönert und Sibylle Manger. (Foto: Kristin Deibl)
Die Nachfahren der Geschwister Schönert begrüßen die Umbenennung der ehemaligen Augsburger Dr.-Mack-Straße (von links): Moritz Steiner, Zoltan Arany, Sibylle Schönert, Rosemarie Schönert, Michael Schönert und Sibylle Manger. (Foto: Kristin Deibl)
Die Nachfahren der Geschwister Schönert begrüßen die Umbenennung der ehemaligen Augsburger Dr.-Mack-Straße (von links): Moritz Steiner, Zoltan Arany, Sibylle Schönert, Rosemarie Schönert, Michael Schönert und Sibylle Manger. (Foto: Kristin Deibl)
Die Nachfahren der Geschwister Schönert begrüßen die Umbenennung der ehemaligen Augsburger Dr.-Mack-Straße (von links): Moritz Steiner, Zoltan Arany, Sibylle Schönert, Rosemarie Schönert, Michael Schönert und Sibylle Manger. (Foto: Kristin Deibl)

Offiziell verstarb die zweijährige Brigitte Schönert 1942 an Mandelentzündung, ihr Bruder, der sechsjährige Günther, 1944 an Darmkatarrh. Tatsächlich jedoch wurden die beiden geistig behinderten Geschwister im Zuge der NS-Kinder-”Euthanasie” in Kaufbeuren ermordet. Die Stadt Augsburg hat nun die ehemalige Dr.-Mack-Straße am Bezirkskrankenhaus nach den beiden benannt, um ihrer und der 200 weiteren Kinder zu gedenken, die in der Kaufbeurer Kinderfachabteilung und seiner Nebenstelle Irsee starben, weil im Dritten Reich „unerwünschtes Erbgut” beseitigt werden sollte.

Es war der 1. Januar 1934, als das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses” in Kraft trat. Auf dieser rechtlichen Grundlage wurden Psychiatriepatienten und Behinderte in sogenannten Heilanstalten unfruchtbar gemacht. In einem weiteren Schritt unterzeichnete Adolf Hitler 1939 einen Euthanasie-Erlass. Kranke und Behinderte wurden – zunächst in Gaskammern, später oft mit Medikamentenüberdosierungen oder durch Vernachlässigung – getötet, unter dem Vorwand, sie müssten von ihrem Leid erlöst werden.

Überdosen von Medikamenten tötete die Kinder

Im Fall der Geschwister Schönert waren es wohl ebenfalls Überdosen von Medikamenten, die zum Tode führten. Wie in so vielen Fällen wurde in der Krankenakte jedoch eine natürliche Todesursache vermerkt.

In der Familie sei der Tod der beiden lange ein Tabuthema gewesen, erzählt Rosemarie Schönert. Sie ist die Frau des 2016 verstorbenen Manfred Schönert, der als jüngster Bruder von Brigitte und Günther gesund zur Welt kam. „Wir wussten, dass sie in Kaufbeuren gestorben sind, aber mehr wurde nicht darüber gesprochen”, sagt Rosemarie Schönert. Es habe aber eine Gedenktafel für die beiden auf dem Ostfriedhof gegeben, die man regelmäßig besuchte.

Erst als ein Brief von der Stadt kam, die die Geschwister Schönert in ein Erinnerungsbuch aufnehmen wollte, so erzählt Rosemaries Tochter Sybille Schönert, sei klar geworden, dass noch Unterlagen über die beiden existieren. Später folgte die Anfrage der Stadt Augsburg an die Familie, eine Straße nach Brigitte und Günther Schönert zu benennen.

Dr. Mack war an Zwangssterilisationen beteiligt

Die Umbenennung hatte die „Kommission für Erinnerungskultur” empfohlen, die systematisch die Namen von Augsburger Straßen und Plätzen prüft. So wurden in den vergangenen Jahren bereits einige Veränderungen angestoßen. In manchen Fällen wurden lediglich Hinweisschilder angebracht, die die problematische Biografie des Namensgebers erläutern, in anderen Fällen empfahl die Kommission eine Umbenennung. So auch 2019 für die Dr.-Mack-Straße am Bezirkskrankenhaus.

Dr. Max Ludwig Mack war in der Zeit des Nationalsozialismus an der Zwangssterilisation von als erbkrank diffamierten Menschen beteiligt. Der Stadtrat stimmte der Umbenennung im September 2021 zu.

Der Vorschlag, die Straße stattdessen nach den Geschwistern Schönert zu benennen, kam von Petra Schweizer-Martinschek. Die Geschichtswissenschaftlerin betreut das Historische Archiv des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren, befasst sich mit der Sichtung und Transkribierung der zahlreichen Krankenakten aus der NS-Zeit und hat schon für viele der Euthanasie-Opfer Biografien erstellt. „Mir kamen für den Straßennamen sofort die Geschwister Schönert in den Sinn”, sagt sie. „Die Kinder stehen für die über 200 Opfer, die in der Abteilung ermordet wurden.”

Kaufbeuren: „Hauptdarsteller der Euthanasie”

Wie Schweizer-Martinschek ist auch der Psychiater und ehemalige leitende ärztliche Direktor des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren, Michael von Cranach, maßgeblich an der Aufarbeitung der Beteiligung des Krankenhauses an der NS-Euthanasie beteiligt und weiß, wie sich die ursprüngliche Kinderabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren, die zunächst für die Förderung der Kinder genutzt wurde, zu einem Ort entwickelte, die die kleinen Patienten systematisch ermordete. Der damalige ärztliche Direktor Valentin Falthauser eröffnete auf eine Anweisung aus Berlin hin im Dezember 1941 eine der sogenannten „Kinderfachabteilungen”. 30 davon gab es im gesamten deutschen Reich, Kaufbeuren gehörte wohl zu den aktivsten Kliniken. Von Cranach bezeichnet sie als einen der „Hauptdarsteller der Euthanasie”. Der Reichsausschuss in Berlin entschied in den meisten Fällen, wer dort eingewiesen wurde. Falthauser verfasste Gutachten über die Patienten, die schließlich als Grundlage für die „Ermächtigung zur Behandlung” herangezogen wurden. Anschließend verabreichte Falthauser selbst Beruhigungsmedikamente oder wies Krankenschwestern dazu an. Die Kinder verstarben meist nach wenigen Tagen. Das letzte Kind kam dort am 29. Mai 1945 ums Leben. „Noch Wochen nach dem Einmarsch der Amerikaner haben sie dort einfach weiter gemacht”, berichtet von Cranach.

„Erinnerung an Vergangenheit aufrecht erhalten, um etwas zu lernen”

An all diese Kinder soll nun die Geschwister-Schönert-Straße erinnern. Die Familie habe über die Entscheidung gründlich nachgedacht, sagt Sybille Schönert. „Wir haben uns gefragt, ob wir unsere Familiengeschichte so öffentlich machen wollen.” Schließlich hätten sie sich dafür entschieden. Im Sinne ihrer Vorfahren. Aber auch „weil es heute noch Menschen gibt, die verfolgt und diffamiert werden. Wir wollen die Erinnerung an die Vergangenheit aufrecht erhalten, um etwas zu lernen.”


Von Kristin Deibl
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