Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 07.10.2022 13:58

Ein Großaufgebot an Feuerwehren und anderen Rettungskräften rückte am 15. Januar in Aichach aus. Grund war ein Brand in einer Wohnung im Sankt-Helena-Weg. Die Bewohner des Mehrfamilienhauses wurden evakuiert. Der Mann, der das Feuer gelegt hat, musste sich nun an zwei Tagen vor dem Augsburger Landgericht verantworten. Gestern fiel das Urteil: Er soll in einer psychiatrischen Klinik untergebracht werden. Wie lange, entscheiden nicht die Richter, sondern Ärzte in der jeweiligen Einrichtung. Der Beschuldigte will in Revision gehen.

Wie bei der Messerattacke in einem Lokal im Landkreis Aichach-Friedberg (wir berichteten vor Kurzem) handelt es sich auch bei diesem Fall um keinen üblichen Strafprozess, sondern ein sogenanntes Sicherungsverfahren. Hier wird von vornherein davon ausgegangen, dass die Person, der eine bestimmte Tat zur Last gelegt wird, nicht schuldfähig ist und somit bei Verurteilung nicht in ein Gefängnis muss, sondern in die Psychiatrie.

Am ersten Prozesstag hatte der Beschuldigte, ein 33-jähriger Mann mit kasachischen Wurzeln, die Tat gestanden. Im Laufe des zweiten und letzten Verhandlungstages hieß es, der Mann leide unter Verfolgungswahn und habe das Feuer gelegt, um die Mutter, die sich zum diesem Zeitpunkt in der Wohnung befand, durch das Kommen der Rettungskräfte zu schützen. Gleichzeitig wollte er selbst lieber verbrennen als "von Satanisten zerstückelt" zu werden. Der 33-Jährige führt seine Angstzustände und Panikattacken auf Drogenkonsum zurück. Aufgrund dessen war er in den vergangenen Jahren bereits mehrmals in Behandlung im Bezirkskrankenhaus.

Eine Sachverständige jedoch, die ein Gutachten über den Beschuldigten erstellt hat, führte die Wahnvorstellungen auf eine paranoide Schizophrenie zurück. Neben genetischen Aspekten - auch die Mutter ist schizophren - kommt hinzu, dass Menschen mit Migrationshintergrund eher gefährdet seien, an dieser Störung zu leiden, weil eine kulturelle Entwurzelung vorhanden sei, erklärte Dr. Verena Klein, Psychiaterin am Isar-Amper-Klinikum in Taufkirchen.

Die Fachärztin beleuchtete kurz das Leben des 33-Jährigen, der im Alter von neun Jahren mit seinen Eltern aus Kasachstan nach Deutschland kam. Er selbst hatte es in dem Gespräch mit der Medizinerin als "müssen" bezeichnet, weil er in dem ehemaligen Sowjetstaat zufrieden gewesen sei und lieber dort geblieben wäre. Im Alter von 15 Jahren musste er miterleben, wie die Schizophrenie bei seiner Mutter begann und sie sich dadurch veränderte. Zu dieser Zeit lernte er auch seine spätere Frau kennen, von der er inzwischen geschieden ist. Mit 17 Jahren wurde er erstmals Vater. Der erste Kontakt zu Betäubungsmittel erfolgte mit zwölf Jahren. Auf Cannabis folgten in späteren Jahren Alkohol, Amphetamine, Kokain und Heroin.

Dies waren für den Verteidiger Jörg Seubert Anhaltspunkte dafür, die Brandstiftung und vorherige Klinikeinweisungen nicht auf die Schizophrenie zurückzuführen, sondern auf eine drogeninduzierte Psychose, was eine Unterbringung in einer Entzugsklinik - und nicht in der Psychiatrie - zur Folge hätte haben können. Doch der Vorsitzende Richter Michael Schneider teilte diese Sichtweise ganz und gar nicht. In seiner Urteilsbegründung zur Psychiatrie-Einweisung betonte er mehrmals, "keinerlei Zweifel" an der Diagnose der erfahrenen Sachverständigen zu haben. Die psychische Störung sei "völlig, völlig schlüssig und unzweifellos dargelegt".

Die Mutter, die gestern als Zeugin freiwillig vor Gericht aussagte - als nächste Verwandte hätte sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen können - lebt inzwischen in einem Heim. Eine Betreuerin begleitete sie zu der Verhandlung. Die Wohnung im Sankt-Helena-Weg steht leer und ist laut Richter Schneider nicht mehr bewohnbar. Der entstandene Schaden durch den Brand beläuft sich auf rund 100000 Euro. Verletzt wurde an jenem Abend direkt durch das Feuer niemand. Lediglich ein Feuerwehrmann war beim Einsatz gestürzt und hatte sich die Schulter gebrochen. "Da war viel Glück im Spiel, denn es hätte viele Tote geben können", verdeutlichte der Richter.

"Sie sind kein schlechter Mensch, es war diese blöde Erkrankung", stellte er fest. Er riet, das Therapieangebot zu nutzen und "mitzumachen". Dann könne er in ein paar Jahren wieder sein altes Leben führen, gab er dem 33-Jährigen mit auf den Weg.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Frist für die Revision, bei der keine neue Beweisaufnahme erfolgt, sondern das Verfahren lediglich auf Rechtsfehler vom Bundesgerichtshof geprüft wird, beträgt eine Woche.

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