Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 11.01.2023 11:35

Nicht nur angesichts der hohen Zahl von pflegenden Angehörigen, gerne als "der größte Pflegedienst" bezeichnet, hat das Thema Brisanz: Bayerns Gesundheits- und Pflegeminister Klaus Holetschek hat zu Beginn des neuen Jahres die Bundesregierung aufgefordert, 2023 zum "Jahr der Pflegereform" zu machen. Er fordert, Pflegebedürftige finanziell zu entlasten.

Der Hintergrund: Kranke und pflegebedürftige Menschen verbringen viel Zeit zu Hause, sie brauchen Wärme und Strom, deren die Kosten sind enorm (geworden). Dazu kommen weitere Preissteigerungen etwa für Hilfsmittel, Pflegeprodukte oder spezielle Lebensmittel.

Mit spitzem Stift rechnen müssen aber nicht nur die Betroffenen, auch die Pflegedienste. Diesen ständigen Spagat schildert Edeltraud Peter, Leiterin der Awo-Sozialstation in Altomünster. Sie habe, wie andere ambulante Pflegekräfte auch, stets im Hinterkopf, wirtschaftlich arbeiten zu müssen. Leistungen in der Hauswirtschaft etwa seien "mies gegenfinanziert." Ein Besuch zum Duschen solle zwanzig Minuten dauern, nennt sie ein Beispiel aus der Pflege. Doch Ältere seien nicht immer schnell, ausziehen dauert länger, dann wird dies oder jenes noch vermisst und dann sei da endlich jemand zum Ratschen da... Aber dafür habe sie eigentlich gar keine Zeit. "Wir stehen immer unter Zeit- und Wirtschaftsdruck", sagt sie. Sie weiß genau, dass der eine oder die andere, seit 6 Uhr morgens auf den Awo-Besuch um 10 Uhr warte. Zuweilen gehe ihr folgender Satz unter die Haut: "Heut seid's aber spät dran." Verspätung komme vor, aber gerade Demente verlören das Zeitgefühl.

Essenziell für ihre Arbeit sei Vertrauen. "Wir Pflegekräfte überschreiten eigentlich ständig Grenzen", sagt sie. Da betrete man das Schlafzimmer, müsse sich zuweilen ins Ehebett knien, um den Pflegebedürftigen raushieven zu können und dann fordere man den Menschen auch noch auf, sich auszuziehen, damit man ihn duschen könne, schildert sie. "Im Pflegeberuf gibt's keine Standards, du brauchst ein Gespür für Menschen, das musst lernen, sonst gehst unter", sagt die zupackende Frau mit der langjährigen Berufserfahrung.

Was ihr Sorgen bereitet: Junge würden sich kaum noch für einen Beruf in der Pflege entscheiden. "Wie soll das gehen?", fragt sie sich angesichts dieses Missverhältnisses. "Die Gesellschaft wird immer älter und die Fachkräfte in der Pflege werden immer weniger..." Und, ja, sie müsse auch Fälle ablehnen oder "in ganz schlimmen Zeiten" Besuche, die nicht ganz dringend sind, absagen.

Was sie sich wünscht? Eine Lobby für pflegende Angehörige, die einen 24-Stunden-Job übernommen haben. Eine "echte Wahlmöglichkeit" zwischen: Bleibe ich daheim und kümmere mich Kinder wie Großeltern oder gehe ich Geld verdienen?

Peters Leitsatz für Diskussionen und Reformen zum Thema: "Eine Gesellschaft muss sich daran messen lassen, wie sie mit ihren Alten umgeht."

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