Wer sich gegen den Klimawandel engagiert, ist jung, demonstriert oder klebt sich an Bildern fest. Ein Klischee, so schlicht und falsch wie jedes Klischee. Erst recht, wenn man mit Horst Köhler spricht. Der 81-Jährige mit dem Namen des früheren Bundespräsidenten sitzt im Büro seines Hauses in Wulfertshausen, auf dem Computerbildschirm ist die Startseite seiner Website www.klimawandel-report.com zu sehen, und der Ingenieur redet genau darüber, über den Klimawandel, der zu einer Klimakatastrophe werden wird, wenn nicht endlich die Wende gelingt.
Ja, Katastrophe. In Australien wechseln sich mittlerweile ungekannte Hitzewellen und Überschwemmungen ab, im Sommer gab es in Pakistan den stärksten bisher bekannten Monsunregen, in den vergangenen Jahren wurden in Kanada über 50 und in Sibirien über 30 Grad plus gemessen, Bergspitzen stürzen herab, weil das Eis fehlt, Hungersnöte durch Dürren werden globale Flüchtlingsbewegungen auslösen - man könnte die Liste fast endlos weiterführen.
Die Wahrheit müsse den Menschen schon zumutbar sein, sagt Köhler, dem Alarmismus und Hysterie aber eigentlich fern liegen. Er ist Ingenieur und Wissenschaftler, hat sich im Beruf mit Dieselmotoren beschäftigt, an der Hochschule unterrichtet, Bücher veröffentlicht. Zuletzt waren die Schadstoffemissionen sein Thema. Das und die Frage einer Studentin führten ihn schließlich zum Klimawandel. Er ist ein Mann der Zahlen und Daten, der verstehen und erklären will, wie etwas funktioniert.
So spricht er ruhig und sachlich über das seit 50 Jahren bekannte Desaster, auf das die Welt zusteuert, und mit dem er sich seit 25 Jahren beschäftigt. Er nennt Fakten und Berechnungen, bezieht sich auf die Wissenschaft, die sich da praktisch zu 99 Prozent einig ist. Ganz bewusst setzt er den Klimawandelleugnern, Verschwörungstheoretikern, Populisten, aber auch den Verharmlosern und Verdrängern die Kraft des Arguments und der Rationalität entgegen.
Deshalb hat er auch den Klimawandel-Report verfasst und online gestellt. Dort sind in 16 Kapiteln die wesentlichen Tatsachen zusammengefasst. Köhler erklärt unter anderem, was der Treibhauseffekt ist, welche Rolle beispielsweise Verkehr, Landwirtschaft und Tierhaltung spielen, welche globalen biologischen und sozialen Auswirkungen die Erderwärmung hat, warum sie zu einem massiven Artensterben führt, was Kippeffekte sind, welche Maßnahmen man ergreifen kann und vieles mehr.
Im Grunde alles bekannt, seit langer Zeit, und doch auch wieder nicht, wie Köhler sagt. Deshalb dürfe man nicht aufgeben, das alles zu wiederholen, zu vermitteln und zu erklären. Deshalb ist auch der Klimareport im Ton wissenschaftlicher Nüchternheit geschrieben, aber auch in einer klaren, verständlichen und einfachen Sprache. Weil der Klimawandel jeden betrifft, soll auch jeder verstehen, was er ist und wie er funktioniert.
Aber sowohl im Gespräch, wie in den Texten der Website dringt immer wieder ein drängender Unterton durch, ein Kontrapunkt zur betonten Sachlichkeit. „Wie spät es schon ist“, ist die Website überschrieben. Die Entwicklung ist dramatisch, weil die Politik zu langsam und zögerlich reagiert, weil das Thema aus Horst Köhlers Sicht immer noch zu wenig in der Öffentlichkeit angekommen ist, oder erst seit einigen Jahren; weil die Nachrichten über die Auswirkungen des Klimawandels fast täglich schlimmer werden - und die Menschen vielleicht überfordern. Die Voraussagen der Wissenschaft, schon die des Club of Rome 1972, hätten sich nur in einem Punkt getäuscht, sagt Horst Köhler: Die Auswirkungen kommen schneller und dramatischer als prognostiziert. Also aufgeben?
Nein, sagt Horst Köhler. Er gehört zu denen, die lieber am letzten Tag ein Apfelbäumchen pflanzen. Vor allem aber setzt er auf eine Mischung aus Maßnahmen: erneuerbare Energien, sparsamer Umgang mit Ressourcen, eine Änderung des Lebensstils und, aus seiner Sicht ganz wichtig, einen Stopp des Bevölkerungswachstums – an dem Tag, an dem das Gespräch in Wulfertshausen stattfindet, wurde der achtmilliardenste Mensch geboren.
Außerdem setzt er auf die, die der Klimawandel vor allem betrifft: die Kinder und Enkel. Erst durch Fridays for Future ist aus seiner Sicht „ein längst fälliger Denkprozess“ auf breiterer Basis in Gang gekommen. Über Klimaaktivisten schreibt er, „ihr Einsatz, Mut und Durchhaltevermögen verdienen Bewunderung.
Aber was sagen die Kinder und Enkel zu dem Engagement des Papas und Opas? „Die wissen das, glaube ich, gar nicht“, sagt Horst Köhler mit einem Schmunzeln. Dabei ist ihnen die Website gewidmet: „ Für meine beiden Enkelkinder Julian und Emilia, damit sie später einmal erfahren, dass ihr Opa den Klimawandel und seine fatalen Folgen schon zur Jahrhundertwende thematisiert hat.“ Man darf davon ausgehen, dass sie ihm aber dankbar sein werden, wenn sie davon erfahren.
Und Horst Köhler wird sich auch in Zukunft nicht an Bilder kleben, aber weiter seinen Beitrag dazu leisten, dass der Klimawandel nicht zur Klimakatstrophe wird.
www.klimawandel-report.com