Die Stimme der blonden Frau bricht. Tränen sammeln sich in ihren Augen. „Er hat nicht nur meine Schwester getötet, sondern auch das Leben meiner Eltern zerstört”, presst sie irgendwie heraus. Es ist ein Kampf gegen die eigenen Emotionen, den eine der Schwestern von Elke W., einem der Opfer des Doppelmords von Hirblingen, in diesem Augenblick ausfechtet.
Sie gewinnt ihn. Sie steht Waldemar N. gegenüber. Dem Mann, der im Dezember 2016 das brutale Verbrechen verübt haben soll und einige Meter von ihr entfernt auf der Anklagebank sitzt. Ihn direkt anzusehen, wagt sie nicht. Ihr Blick geht ins Leere. Sie fährt fort. „Auch unser Leben ist nicht mehr dasselbe”, sagt sie und blickt kurz auf ihre Schwester, die mit ihr gemeinsam als Nebenklägerin auftritt. Dann schaut sie zur Richterbank: „Wir haben seit Elkes Tod lebenslänglich.”
Es ist das bewegende Ende der Plädoyers der Anklagevertreter. Zuvor hatte schon Staatsanwältin Martina Neuhierl lebenslänglich gefordert. Für Waldemar N., den langjährigen Nachbarn der beiden Frauen, dem seit nunmehr 14 Verhandlungstagen der Prozess gemacht wird. Mord in zwei Fällen legt sie ihm zur Last. „Brutal und aus egoistischen Gründen” habe er zwei Leben ausgelöscht, betont sie.
Waldemar N. sollen Schulden geplagt haben, 127 000 Euro. Zudem soll er seine Konten regelmäßig überzogen, weit über seine Verhältnisse hinaus gelebt haben. Weil er vom Vermögen seiner beiden Nachbarinnen Beate N. und Elke W. wusste, soll er den Plan gefasst haben, sie zu überfallen, um an die Geheimnummern ihrer Bankkarten zu kommen. Er habe genau gewusst, dass diese ihn würden identifizieren können, gewusst, dass es „nötig sein wird, sie zu töten”, führt Neuhierl aus
Am Morgen des 9. Dezembers, nach einer Nachtschicht, soll der 32-Jährige mit mindestens einem Messer bewaffnet die Wohnung der Frauen aufgesucht haben. Dort stach er schließlich achtmal auf Beate N., 50, und 16 Mal auf Elke W., 49, ein, wirft die Staatsanwältin dem Angeklagten vor. Anschließend putzte er die Wohnung und vergrub die Leichen nahe des Flüsschens Schmutter. Bis zu seiner Festnahme habe er 5020 Euro vom Konto von Beate N. abgehoben.
Waldemar N. starrt in Richtung der Staatsanwältin. Seine Augen wirken dabei leer, als würde er durch die Juristin hindurchschauen. Der blasse Mann drückt seinen Mittel- und Zeigefinger in seine Backe, so dass sich ringsherum tiefe Falten bilden. Sein Gesicht zeigt keine Regung. Als säße er an einem Pokertisch, an dem jede Regung sein Blatt preisgeben könnte.
So verharrt er. Auch als Neuhierl die Indizien aufzählt, die „in ihrer Gesamtheit zwingend” auf Waldemar N. als Täter deuten. Seine DNA-Spuren, unter anderem an den Knöcheln der Leichen sowie in und am Auto der Opfer. Blutspuren der Getöteten an Schuhen des Angeklagten, der genetische Fingerabdruck der beiden Frauen und des Angeklagten an Messern, die in Waldemar N.'s Wohnung sichergestellt wurden.
Sein Wohnungsschlüssel, der nahe des Fundorts der Leichen gefunden wurde, ebenso ein Spaten, den Waldemar N. laut einer Quittung, die in seinem Auto lag, kurz nach der Tat erworben haben soll. Hinzu kommen Aufnahmen der Überwachungskameras der Banken, in denen der Angeklagte die EC-Karten von Beate N. nutzte. Die Person auf den Videos ist zwar vermummt, anhand der Kleidung wollen die Ermittler aber Waldemar N. erkannt haben.
Für Verteidiger Walter Rubach lassen die Indizien jedoch auch andere Schlüsse zu. Er moniert, dass das Gericht und die Anklage einzig auf das angestrebte Urteil hinarbeiteten. Er vergleicht das mit einem Puzzle: Das Deckelbild habe die Anklageschrift vorgegeben, dann seien die Indizien genau nach Vorlage zusammengesetzt worden. Andere Denkweisen seien im Vorhinein ausgeschlossen worden sein. Die DNA-Spuren etwa ließen ebenso die Schlussfolgerung zu, dass Waldemar N. „an der Leichenbeseitigung beteiligt war”, nicht aber der Mörder sei. Auch die Gräber für die Leichen habe der Angeklagte keinesfalls alleine in so kurzer Zeit ausheben können.
Ohnehin stellte er den Zeitablauf, von dem die Anklage ausgeht, in Frage. So waren Zeugen sicher, Beate N. am Abend des Tattages noch gesehen zu haben. An einem Abend nach dem Mord, an dem das Auto der Opfer gesehen wurde, befand sich N. in einer Kneipe auf der betrieblichen Weihnachtsfeier. Auch die Glaubwürdigkeit des Zeugen, der das Alibi seines Mandanten zunichte macht, zweifelte Rubach an. Alles in allem könne man ein „Urteil, das den bürgerlichen Tod bedeutet”, auf dieser Grundlage nicht aussprechen. Unter dem Raunen der zahlreichen Zuhörer plädierte er auf Freispruch.
Waldemar N. fasste mit seinem letzten Wort seine Rolle in diesem Prozess in fünf Worten zusammen: „Ich habe nichts zu sagen.” Das Urteil wird heute um 11 Uhr verkündet. (von David Libossek)