Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 14.08.2023 23:00, aktualisiert am 22.08.2023 16:46

Leben unter die Haut gemalt

Wolfgang Jung bei der Arbeit mit dem Tebori-Stick. 15 Nadeln werden an einem Holzschaft festgebunden, in Farbe getränkt und dann in die Oberschicht der Haut gestochen. Jung ist gelernter Schriftsetzer. 2008 begann er eine dreijährige Ausbildung zum Tätowierer. (Foto: Wolle Dangerblood)
Wolfgang Jung bei der Arbeit mit dem Tebori-Stick. 15 Nadeln werden an einem Holzschaft festgebunden, in Farbe getränkt und dann in die Oberschicht der Haut gestochen. Jung ist gelernter Schriftsetzer. 2008 begann er eine dreijährige Ausbildung zum Tätowierer. (Foto: Wolle Dangerblood)
Wolfgang Jung bei der Arbeit mit dem Tebori-Stick. 15 Nadeln werden an einem Holzschaft festgebunden, in Farbe getränkt und dann in die Oberschicht der Haut gestochen. Jung ist gelernter Schriftsetzer. 2008 begann er eine dreijährige Ausbildung zum Tätowierer. (Foto: Wolle Dangerblood)
Wolfgang Jung bei der Arbeit mit dem Tebori-Stick. 15 Nadeln werden an einem Holzschaft festgebunden, in Farbe getränkt und dann in die Oberschicht der Haut gestochen. Jung ist gelernter Schriftsetzer. 2008 begann er eine dreijährige Ausbildung zum Tätowierer. (Foto: Wolle Dangerblood)
Wolfgang Jung bei der Arbeit mit dem Tebori-Stick. 15 Nadeln werden an einem Holzschaft festgebunden, in Farbe getränkt und dann in die Oberschicht der Haut gestochen. Jung ist gelernter Schriftsetzer. 2008 begann er eine dreijährige Ausbildung zum Tätowierer. (Foto: Wolle Dangerblood)

HOME MADE. Diese acht Buchstaben hat Wolfgang Jung auf seine Fingerknochen tätowiert. „Home made” steht für „daheim gemacht”. „Ich bin nämlich eine Hausgeburt”, schmunzelt der 49-Jährige, „in Kühbach im Schlafzimmer zur Welt gekommen.” Diese Besonderheit hat er für alle sichtbar in seine Haut stanzen lassen, weil: Tätowierungen sind nicht nur Schmuck, sie erzählen viel über den Charakter und die Eigenarten der Träger. „Bei den Maori in Neuseeland lässt sich an den Tätowierungen das ganze Leben ablesen”, sagt Jung. „Wo sie herkommen, welche großen Taten sie vollbracht haben und auch, was sie angestellt haben.”

Wolfgang Jung betreibt in Aichach das Tattoo-Studio Montagsmaler. Seit 13 Jahren ist er selbstständig, sticht filigrane Schmetterlinge hinters Ohr oder gewaltige Schlachten-Szenen, die den ganzen Rücken einnehmen. Normalerweise macht er das mit einer Maschine, deren Nadeln 120 Mal pro Sekunde in die Haut eindringen und dort farbige Tinte in die Dermis, die ledrige Schicht ein bis drei Millimeter unter der Oberfläche, fließen lassen. So entsteht Punkt für Punkt das dauerhafte Motiv.

Ötzi hatte 61 Tattoos

Solche elektrische Maschinen gibt es seit 1891. Doch schon zuvor tätowierten sich die Menschen. Ötzi zum Beispiel, die 5300 Jahre alte Gletschermumie, die 1991 in den Ötztaler Alpen zutage kam, hat 61 tätowierte Körperstellen, vornehmlich an den Beinen. Wissenschaftler nehmen an, dass Kohlenstaub in kleine, punktförmige Wunden eingerieben wurde. Die Japaner nutzten später die Tebori-Technik: Nadeln werden an einem Bambus-Stab festgebunden, in einen gefärbten Schwamm getaucht und dann behutsam in die Haut gestochen.

„Das ist eine sehr präzise Art des Tattoostechens und weniger schmerzhaft als das maschinelle”, versichert Wolfgang Jung. Er ist einer der wenigen Haut-Künstler, die diese Methode beherrschen. Bei den Mittelalterlichen Markttagen in Aichach wird er sie zeigen. Jung gehört zu den Aichacher „Freunden des Mittelalters” und führt vom 8. bis 10. September in deren Zeltlager in der Hubmannstraße sein Handwerk vor.

Kennzeichen von Häftlingen

Bei dieser Gelegenheit will er den Besuchern auch die Tradition und Kultur des Tätowierens näher bringen. Zwar gab es im 14. Jahrhundert – der Zeit, in dem die Mittelalterlichen Markttage von Aichach spielen – wohl kaum einen Tätowierten in unseren Breiten. An vielen anderen Plätzen auf der Welt waren Tattoos aber selbstverständlich. „Die Wikinger zogen gefärbte Fäden unter die oberste Hautschicht und legten damit Knoten, Linien und einfache Figuren an”, erzählt Jung. Steinzeitliche Urvölker ritzten die Haut auf und streuten Farbstoffe in die Wunden. So schufen sie individuelle Muster auf dem Körper.

Die Ritter, die im Mittelalter gegen die Muslime nach Jerusalem zogen, ließen sich ein Kreuz eintätowieren, um als Christen erkennbar zu sein. In Japan wurden Straftäter durch sichtbare Tätowierungen stigmatisiert, in der westlichen Welt waren Hautbilder das Kennzeichen von Matrosen. Bis ins 20. Jahrhundert waren Angehörige von Mafia-Clans an ihren Familien-Signets erkennbar; eine tätowierte Träne unter dem Auge war Zeichen, dass man mehr als zehn Jahre im Zuchthaus verbracht hatte.

Die 13 steht für die Tätowierer

Wolfgang Jung war 16 Jahre als, als er sich sein erstes Tattoo stechen ließ, einen Indianerkopf auf dem rechten Oberarm. „Ich hab' damals die Unterschrift meiner Eltern gefälscht, damit ich mir das in München heimlich machen lassen konnte. Ich war ja noch minderjährig”, erzählt er. Heute ranken über seine Arme viele Geschichten: eine von Rosen umgebene Frau im Angesicht eines Totenkopfs (Symbol für Sein und Nichtsein); die Zahl 13 (sie steht den Berufsstand der Tätowierer); ein Kobold mit Lederhose und weißblauem Tuch. Letzterer versinnbildlicht seine bayerische Herkunft und Heimat, die er zu schätzen weiß. Obwohl – vielleicht weil – er viel in der Welt herumgereist ist, obwohl er Dreadlocks trägt und Longboards und Bergsteigerausrüstung an den Wänden seines Studios eine abenteuerliche Vergangenheit erahnen lassen.

Fünf Studios in Aichach

Auffällig an Jungs linkem Unterarm sind große, wabenförmige Zeichnungen. „Geometrische Formen sind momentan sehr gefragt”, verrät der Haut-Künstler, „einer der großen Trends.” Es mag verwundern, aber: Auch Tattoos unterliegen der Mode und dem Zeitgeist. Die Schmuddelecke der Subkulturen haben sie längst verlassen. Sie gelten heute als dauerhafter Körperschmuck und Zeichen der Individualität. Man erinnere sich an die „Arschgeweihe”, die ihre Trägerinnen in den 90ern stolz über den Hotpants zur Schau stellten. In den 2000ern waren Old-School-Motive angesagt, wie sie die Seeleute trugen: Sterne, Schwalben, Anker oder Herzen. Aktueller sind Nerd-Tattoos, etwa aus dem Computerbereich. Und Biomechanik-Tattoos, Motive von Haut-Öffnungen, hinter denen Muskeln, Organe oder auch Maschinenteile sichtbar sind.

Jeder Vierte ist tätowiert

Inzwischen trägt in Deutschland jeder vierte Erwachsene eine Tätowierung. Der Wunsch, sich durch Hautbilder einzigartig zu machen, ist ungebrochen. Allein in Aichach sind derzeit fünf Tattoo-Studios offiziell gemeldet. Oft kommen die Kundinnen und Kunden mit aus dem Internet ausgedruckten Bild-Ideen in die Studios. Tätowierer wie Wolfgang Jung entwerfen aber auch individuelle Motive, die dann in mehreren Sitzungen umgesetzt werden. Jung: „Man muss schon auch ein bisserl Psychologe sein, damit man genau den Style findet, den die Leute dann ein Leben lang tragen werden.”


Wolfgang Glas
Wolfgang Glas

Redakteur

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