Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung

Augsburgs Luftretter und ihre Kunigunde

In 58 Metern Höhe wartet Christoph 40 auf seinen Einsatz.  (Foto: ADAC Luftrettung/ Reiner Langer)
In 58 Metern Höhe wartet Christoph 40 auf seinen Einsatz. (Foto: ADAC Luftrettung/ Reiner Langer)
In 58 Metern Höhe wartet Christoph 40 auf seinen Einsatz. (Foto: ADAC Luftrettung/ Reiner Langer)
In 58 Metern Höhe wartet Christoph 40 auf seinen Einsatz. (Foto: ADAC Luftrettung/ Reiner Langer)
In 58 Metern Höhe wartet Christoph 40 auf seinen Einsatz. (Foto: ADAC Luftrettung/ Reiner Langer)

In 58 Metern Höhe, ganz oben auf dem Dach der Augsburger Uniklinik, ertönt der Alarm. Pilot, Notarzt und Notfallsanitäter machen sich auf den Weg. Während der Pilot den Hubschrauber anlässt, kontrolliert der Sanitäter von außen, ob das Triebwerk in Ordnung ist und ob irgendwo Öl austritt. Er nimmt neben dem Piloten Platz, der Notarzt steigt hinten ein. Dann geht es los. Der schwarz-gelbe Hubschrauber hebt rückwärts ab und startet, in diesem Fall in Richtung A96, wo ein Unfall passiert ist.

Vier Einsätze pro Tag absolviert die Augsburger Station der gemeinnützigen ADAC-Luftrettung im Durchschnitt, erklärt Pilot Reiner Langer. Dabei gebe es im Winter Tage, an denen der Hubschrauber wegen schlechten Wetters gar nicht starten könne. Im Sommer hingegen kämen dann auch mal Tage mit bis zu zwölf Einsätzen vor.

Der Tag der Luftretter beginnt um 6.30 Uhr. Bis 7 Uhr verbringen sie ihre Zeit mit Vorbereitung. Sanitäter und Notarzt kontrollieren Geräte und Medikamente, der Pilot checkt die Maschine, die Wettervorhersage, den Luftraum – kurz: „alles, was uns irgendwie gefährlich werden könnte”, bringt Langer es auf den Punkt. Um 7 Uhr meldet das Team Einsatzbereitschaft und dann wird zusammen gefrühstückt. Dabei erzählt jeder, wie es ihm geht. Es gehe nicht darum, sein Herz auszuschütten, sagt der 48-Jährige, aber darum, dass im Anschluss jeder die Grundstimmung der Kollegen kenne. Denn der Dienst geht bis 22 Uhr, man sitzt viel aufeinander, arbeitet eng zusammen.

Die Luftrettungsstation auf dem Dach der Uniklinik – mit 58 Metern übrigens die bundesweit höchste – verfügt neben der Zentrale auch unter anderem über eine Küche, einen Aufenthaltsraum, einen Schulungsraum und Ruheräume, damit sich die Mitarbeiter in der Zeit zwischen den Einsätzen erholen können. Pausen sind gesetzlich vorgeschrieben, denn die Luftretter dürfen maximal zehn Stunden am Stück arbeiten. Der Hubschrauber steht bei Schneefall, bei Gewitter und nachts in einem Hangar. In der Regel jedoch wartet Christoph 40 auf der Plattform draußen auf seinen Einsatz. Auch wenn die ADAC-Rettungshubschrauber offiziell alle den Namen Christoph tragen, wird die Augsburger Maschine intern liebevoll Kunigunde genannt. Den Grund dafür findet man auf Kunigunde selbst: Ganz oben unter den Rotorblättern ist „D - HKGD” zu lesen. D steht für Deutschland, H für Hubschrauber, KGD für diese bestimmte Maschine. „Wir haben daraus Kunigunde gemacht”, sagt Langer und lacht. Gelacht wird im Team viel in den Pausen zwischen den Einsätzen. Man zieht sich gegenseitig auf, die Stimmung ist entspannt. „Die Zusammenarbeit ist toll, jeder bringt sich ein”, erzählt Langer. Klar, Reibereien gebe es auch mal, wenn man so viel Zeit zusammen verbringt. „Aber die werden bei uns immer schnell geklärt.”

Wenn dann der Alarm zum Einsatz ruft, kommt Bewegung in die Gruppe. „Hier rennt aber keiner, das bringt nichts”, erklärt Langer. Zügig aber ohne Hektik, das sei wichtig. Schnell geht es trotzdem. Vom Anlassen des Hubschraubers bis zum Start vergehen dem Piloten zufolge im Schnitt eine Minute und 40 Sekunden. Im Helikopter sitzt der Pilot übrigens vorne rechts, der Notfallsanitäter, der auf dem Flug zugleich auch der Co-Pilot ist, sitzt vorne links, der Notarzt nimmt hinten Platz. Der Hubschrauber fliegt mit 204 Stundenkilometern, nach München braucht er etwa 17 Minuten. Die Luftretter decken einen Radius von etwa 70 Kilometern rund um Augsburg ab.

Im vergangenen Jahr sind die Augsburger Luftretter 1455 Mal ausgerückt. In 43 Prozent der Fälle war ein Unfall der Grund für den Einsatz, in 23 Prozent waren es Herz-Kreislauf-Erkrankungen, in 13 Prozent neurologische Notfälle, in 6 Prozent Notfälle des Atmungssystems, die restlichen 15 Prozent waren sonstige Einsätze. Wie Langer berichtet, rücke das Team deutlich häufiger zu Pferdeunfällen als zu Motorradunfällen aus, auch Badeunfälle gebe es immer wieder, und Unfälle von E-Bikern, die ohne Helm unterwegs seien.

Alarmiert werden die Luftretter, wie auch die Sanitäter am Boden, über die Integrierte Leitstelle (ILS). Diese ist unter 112 zu erreichen. Die Leitstelle entscheidet anhand des Standorts der zu behandelnden Person und anhand bestimmter Reizwörter, wer ausrückt. Die Luftrettung werde etwa regelmäßig bei Kindernotfällen alarmiert oder zu Unfällen auf der Autobahn gerufen, die der Rettungswagen nicht schnell genug erreichen kann.

Haben die Luftretter einen Patienten aufgenommen, erfahren sie von der ILS, in welches Krankenhaus sie diesen bringen können. „Handelt es sich etwa um einen amputierten Finger, wird ein Handchirurg gebraucht. Den gibt es nicht in jeder Klinik”, berichtet Langer. Spätestens seit der Corona-Pandemie werde auch in diesem Bereich oft der Pflegenotstand deutlich. „Wir haben Probleme, die Patienten irgendwo unterzubringen”, sagt Langer. Hinzu komme, dass immer wieder Menschen Rettungswagen als Taxi ins Krankenhaus nutzen oder in die Notaufnahme gingen, weil sie dort schneller von einem Facharzt untersucht würden. Das belaste das System zusätzlich.

Langer ist seit 28 Jahren Pilot, 14 davon im Rettungsdienst. Auf der Luftrettungsstation in Augsburg ist der 48-Jährige gemeinsam mit zwei anderen Piloten von Beginn an dabei und hat viel erlebt. Auch wenn die Dienste lang seien und Sommertage in dicker Uniform im nicht-klimatisierten Hubschrauber mitunter unangenehm, seinen Beruf übe er gerne aus. Trotz des Leids, mit dem die Luftretter regelmäßig konfrontiert sind. Gerade wenn Kinder versterben, nehme das jeden am Einsatzort mit, erzählt Langer. Als Pilot könne er sich aus dem Einsatzgeschehen etwas herausnehmen. „Und ich kann auch entscheiden, dass wir heute nicht nochmal fliegen, wenn die Crew nicht mehr einsatzbereit ist”, erklärt Langer. Generell sei er als Pilot für die Sicherheit seiner Leute verantwortlich. „Flugsicherheit steht über Patientensicherheit”, sagt der 48-Jährige. Dazu gehöre etwa auch die Entscheidung, nicht zu fliegen, wenn das Wetter zu schlecht sei.

Ein Tag ist dem 48-Jährigen besonders im Gedächtnis geblieben. „Der erste Einsatz war ein Kind, das bei einem Autounfall verstorben ist, dann kam ein abgetrennter Arm und ein Kind mit gebrochenem Arm. Der letzte Einsatz dieses Tages war ein Unfall. Die eine Hälfte der Familie war tot, die andere verletzt. „Das vergesse ich nicht”, sagt er. Und ergänzt: „Aber es war eben nur ein Tag von so vielen.”


Von Kristin Deibl (kdeibl@stadtzeitung.net, kdeibl)
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