Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung

Ärzte-Verein kontra Uni Augsburg: Benötigt Spitzenforschung immer noch Tierversuche?

Für die Medizinische Fakultät wird derzeit ein komplett neuer Campus neben dem Augsburger Uniklinikum gebaut. In einem der Gebäude ist auch ein Labor für Tierversuche vorgesehen. (Foto: mjt)
Für die Medizinische Fakultät wird derzeit ein komplett neuer Campus neben dem Augsburger Uniklinikum gebaut. In einem der Gebäude ist auch ein Labor für Tierversuche vorgesehen. (Foto: mjt)
Für die Medizinische Fakultät wird derzeit ein komplett neuer Campus neben dem Augsburger Uniklinikum gebaut. In einem der Gebäude ist auch ein Labor für Tierversuche vorgesehen. (Foto: mjt)
Für die Medizinische Fakultät wird derzeit ein komplett neuer Campus neben dem Augsburger Uniklinikum gebaut. In einem der Gebäude ist auch ein Labor für Tierversuche vorgesehen. (Foto: mjt)
Für die Medizinische Fakultät wird derzeit ein komplett neuer Campus neben dem Augsburger Uniklinikum gebaut. In einem der Gebäude ist auch ein Labor für Tierversuche vorgesehen. (Foto: mjt)

Der bundesweite Verein Ärzte gegen Tierversuche hat sich mit einem offenen Brief an das Bayerische Wissenschaftsministerium gewandt. Darin wird der Universität Augsburg vorgeworfen, „die Realität eines notwendigen Paradigmenwechsels” zu ignorieren. Vorausgegangen war dem Verein zufolge eine Übergabe an das Ministerium von rund 40.000 Unterschriften gegen das neue Tierlabor in Augsburg und, so der Verein, die „haltlose Antwort” des Staatsministeriums. Die Medizinerin Dr. Rosmarie Lautenbacher fordert in dem Brief eine „zeitgemäße, sinnvolle, menschenbasierte” Forschung ohne Tierversuche. Die Universität Augsburg hält dagegen: Es gebe einige Gründe, weswegen die Wissenschaft auf absehbare Zeit nicht völlig auf Untersuchungen am lebenden Tier verzichten könne.

Von den „lapidaren Äußerungen” des Ministeriums sei man enttäuscht, heißt es in dem offenen Brief des Vereins. Auf die 40.320 Unterschriften gegen den Bau des ersten Tierversuchslabors in Augsburg und für eine Umwidmung der für das Projekt bereitgestellten 35 Millionen Euro hätte es schlicht geheißen, dass die tierversuchsfreie Forschung noch nicht so weit sei, die Tierversuche zu ersetzen. Als Begründung führe das Wissenschaftsministerium aus, dass große Wissenschaftsorganisationen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder die Fraunhofer-Gesellschaft diese Auffassung teilen. Tierversuche seien zudem streng geregelt und es werde die Sorge geäußert, dass es für die Studierenden am Medizincampus in Augsburg von Nachteil im akademischen Wettbewerb wäre, wenn auf Tierversuche in der Forschung verzichtet würde. Wie Lautenbacher, Vorstandsmitglied von Ärzte gegen Tierversuche, schreibt, „führen die genannten Wissenschaftsorganisationen selbst zahllose Tierversuche durch, sodass sie wohl kaum als Quelle für die Unsinnigkeit von Tierversuchen in Frage kommen”. Tierfreie Ansätze hingegen seien der Medizinerin zufolge „global boomende Technologien”, für die sich immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aussprechen.

Zur Medizinischen Fakultät der Uni Augsburg schreibt die Ärztin: 2019, als der Lehrbetrieb aufgenommen wurde, sei von einer innovativen medizinischen Ausbildung und von Spitzenforschung gesprochen worden. „Die Etablierung einer antiquierten, nie validierten, unzuverlässigen und zudem grausamen Forschungsmethode ist ein krasser Widerspruch zu dieser Vision.” Welchen „Return on Invest” hinsichtlich des Bildungsniveaus der Studierenden als auch der verwendeten Steuergelder „will die Augsburger Medizinische Fakultät präsentieren, wenn sie weiterhin die Realität eines notwendigen Paradigmenwechselns ignoriert?”, fragt Lautenbacher in dem offenen Brief.

Nur wenn alle anderen Methoden ausgereizt sind, werde auf Versuche an Tieren zurückgegriffen

In der Frage, ob tierexperimentelle Forschung notwendig sei, gebe es kein Entweder-Oder, betont dagegen die Uni Augsburg. Bestimmte Sachverhalte lassen sich ohne Tierversuche klären, „andere Fragen lassen sich aber ausschließlich mit tierexperimenteller Forschung beantworten”, sagt eine Sprecherin der Universität auf Nachfrage. Tierexperimentelle Forschung sei gesetzlich streng geregelt. „Für jeden Versuch muss ausführlich nachgewiesen werden, dass keine andere Methode die gesuchte Erkenntnis liefern kann.” Dennoch nehme die Forschung nach Alternativmethoden inzwischen einen großen Raum in der Wissenschaft ein. Durch den Einsatz von Computersimulationen oder Zellkulturen könnten Forschende heutzutage in vielen Bereichen auf Tierversuche verzichten. „Das findet auch in Augsburg in breitem Umfang statt – auch durch den Forschungsschwerpunkt Medical Information Sciences”, erklärt die Sprecherin.

Allerdings seien diesen Methoden Grenzen gesetzt, „insbesondere dann, wenn Forschende komplexe physiologische Zusammenhänge des gesamten Organismus nachvollziehen wollen”. So lasse sich durch Alternativmethoden zwar überprüfen, wie sich ein Medikament auf verschiedene Zelltypen in isolierter Zellkultur auswirke, nicht aber, ob es in der gleichen Art und Weise auch im Zellverbund im Gesamtorganismus wirke oder ob es beispielsweise Abbauprodukte verursache, die womöglich Organe schädigen. „Aus diesem Grund wird die Forschung in absehbarer Zeit auf Untersuchungen am lebenden Tier nicht völlig verzichten können”, heißt es von der Uni Augsburg.

Die Forschungsinfrastruktur, die derzeit durch den Aufbau des Medizincampus in Augsburg entstehe, decke „das ganze Spektrum moderner biomedizinischer Forschung” ab, so die Uni-Sprecherin. Es gebe einige Bereiche, die dabei gänzlich ohne tierexperimentelle Forschung arbeiten und stattdessen methodische mathematische Simulationen und Modellierungen, Zellmodelle oder Organoide nutzen. Dies werde sich in der Zukunft noch verstärken.

Tierversuche an der Universität Augsburg

  • Bis zur Fertigstellung des neuen Medizincampus nutzt die Medizinische Fakultät der Universität Augsburg Interims-Forschungsflächen. Diese umfassen Bereiche ohne tierexperimentelle Forschung, aber auch eine Versuchstierhaltung im Umfang von 250 Quadratmetern, die voraussichtlich noch in diesem Herbst in Betrieb gehen wird.
  • Im Interims-Tierlabor ist die Haltung von Mäusen und Ratten möglich. In den späteren Forschungsräumen können laut der Universität die Flächen auch für die Haltung anderer Spezies genutzt werden, wie etwa Kaninchen, Schweine, Schafe, Ziegen und aquatische Lebewesen. Die Haltung von Primaten ist ausgeschlossen.
  • Zur Wahrung der tierschutzrechtlichen Aspekte, so betont die Uni, begleite ein Team aus Fachtierärzten und speziell ausgebildeten Tierpflegern die Planungen. Im späteren Betrieb werde dieses Team auch die Tiere versorgen und die Wissenschaftler bei der Durchführung der Experimente beraten. Das Gebäude, in dem das Tierlabor auf 1640 Quadratmetern untergebracht sein wird, soll der Planung zufolge im Jahr 2030 fertiggestellt sein.
  • Die tierexperimentelle Forschung erfolge im Kontext der großen Volkserkrankungen Krebs, Demenz, Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall, so die Universität. (jaf)


Von Janina Funk

Redakteurin Augsburg-Redaktion

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