Augsburg - „Hier wohnte Anna Lossa, geb. Anger, JG 1909, gedemütigt / entrechtet, tot 24.9.1933”, lautet die Inschrift auf der kleinen Metallplatte. Befestigt ist sie auf einem zehn mal zehn mal zehn Zentimeter großen Pflasterstein, der am 4. Mai 2017 in der Wertachstraße im Boden versenkt werden soll. Vor der Hausnummer 1 wird er dann alle Passanten darauf aufmerksam machen, dass hier einst ein Opfer des NS-Regimes gelebt hat. Der kleine Betonklotz ist Teil des europaweiten Projektes „Stolpersteine”. Während die Gedenkorte im Miniaturformat in vielen anderen Städten schon selbstverständlich dazugehören, hat die Stadt Augsburg der Verlegung erst im vergangenen Jahr zugestimmt.
Die Idee zu den Stolpersteinen, die die Erinnerung an verfolgte Juden, Homosexuelle, Behinderte und andere Opfer des Nazi-Terrors aufrechterhalten sollen, stammt von dem Kölner Künstler Gunter Demnig. Im Mai wird er nach Augsburg kommen und dort persönlich an sechs Stellen die Steine verlegen. Neben der Wertachstraße sollen sie auch in der Hermannstraße, in der Maximilianstraße und der Lindenstraße sowie im ehemaligen Stadtbachquartier und auf dem Martin-Luther-Platz an Holocaust-Opfer erinnern. Wie der Initiativkreis Stolpersteine für Augsburg und Umgebung kürzlich bekanntgab, sollen auch Angehörige der verfolgten Familien zugegen sein.
Der Initiativkreis, der sich aus verschiedenen Augsburger Verbänden, Parteien, Gewerkschaften und Einzelpersonen zusammensetzt, kämpft bereits seit einigen Jahren für die Verlegung der Stolpersteine. Die Stadt wollte sich aber erst im März 2016 auf eine Bewilligung festlegen. Grund für das Zögern der Stadträte war die öffentliche Kritik an den Erinnerungssteinen, die vor allem vonseiten der Israelitischen Kultusgemeinde und dem Landesrabbiner Henry Brandt kam. Für sie war der Gedanke unerträglich, dass auf Namen von Holocaust-Opfern herumgetrampelt werden könnte. Das allerdings ist laut Demnig Teil des Kunstwerks. Denn die Schuhsohlen sollen die Metallflächen polieren. Wenn niemand darüber läuft, oxidieren sie und werden unansehnlich.
Um eine Lösung für die kontroverse und emotionale Diskussion zu finden, setzte die Stadt im Herbst 2014 eine Expertenkommission unter Leitung von Kulturreferent Thomas Weitzel ein. Aufgabe der Kommission war es, ein Konzept zu erarbeiten, das einen möglichst breiten Konsens finden sollte. Im März 2016 schließlich gab der Stadtrat sein Okay für die Stolpersteine. Der Initiativkreis „begrüßt diesen in einem langwierigen Prozess erarbeiteten Kompromiss ausdrücklich”, wie es auf der Internetseite der Befürworter heißt. „Dieser enthält gleichberechtigt drei Formen, nämlich Stolpersteine, Stelen und Tafeln, und löst somit den schwelenden Konflikt um die angemessene Art und Weise des Gedenkens auf eine pragmatische und gangbare Art und Weise.”
Während des langen Wartens auf die Genehmigung der Stadt war die Initiative nicht untätig. In der Einfahrt zur Peuttingerstraße 11 wurden bereits im Mai 2015 die ersten beiden Augsburger Stolpersteine verlegt. Sie liegen vor dem Haus, in dem Anna Adlhoch nach dem Tod ihres Mannes Hans 1945 wohnte. Der katholische Gewerkschafter Hans Adlhoch war mehrfach verhaftet worden, saß im Konzentrationslager Dachau ein und starb an den Folgen des Todesmarsches von Dachau ins Ötztal. Seine Frau Anna hatte während seiner Inhaftierung den Kontakt zum NS-Widerstand aufrechterhalten. Die Mahnmale bedurften keiner Genehmigung, da sie auf Privatgrund liegen.
Ab Mai werden die Augsburger auch im öffentlichen Raum auf die kleinen Metallplatten im Boden treffen, die an den früheren Wohnorten der Familien Lossa, Weichenberger, Oberdorfer, Nolan, Pröll und Friedmann verlegt werden. Dort erhalten sie die Erinnerung an einige derer aufrecht, die während des NS-Regimes verfolgt, entrechtet, in Heime eingewiesen, deportiert oder ermordet wurden.
(Von Kristin Deibl)