Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 25.03.2015 00:00

Sina Trinkwalder im Interview: „Die überlebt doch kein Jahr”

Sina Trinkwalder näht inzwischen seit fünf Jahren in Augsburg. (Foto: David Libossek)
Sina Trinkwalder näht inzwischen seit fünf Jahren in Augsburg. (Foto: David Libossek)
Sina Trinkwalder näht inzwischen seit fünf Jahren in Augsburg. (Foto: David Libossek)
Sina Trinkwalder näht inzwischen seit fünf Jahren in Augsburg. (Foto: David Libossek)
Sina Trinkwalder näht inzwischen seit fünf Jahren in Augsburg. (Foto: David Libossek)

An Schneiderpuppen hängen abgesteckte Kleider, der Schreibtisch ist bedeckt mit Büchern, Aufzeichnungen und Textilien. Zum Interview-Termin stellt Sina Trinkwalder die erste Frage selbst: „Kaffee?” Folgt man ihr auf Twitter, ahnt man, dass jenes Getränk im Leben der Sina Trinkwalder eine wichtige Rolle spielt. Noch wichtiger sind der Augsburgerin, deren Textil-Firma in diesem Jahr fünften Geburtstag feiert, aber Themen wie die Verantwortung der Unternehmer, regionale Produkte und die Frage, wie die Gesellschaft das Geiz-ist-Geil-Prinzip überwinden kann.

Seit fünf Jahren produzieren Sie mittlerweile in Deutschland. Und das funktioniert offenbar tatsächlich. Auch wenn man häufig Anderes hört – von angeblichen Wirtschaftsexperten...

Sina Trinkwalder: Natürlich funktioniert das. Warum sollte es denn nicht funktionieren?

Weil bei uns – so heißt es doch immer – die Lohnnebenkosten so hoch sind. Und Sie müssen Ihren Näherinnen ja durchaus hohe Löhne zahlen, im Vergleich dazu, was die Produktion zum Beispiel in Asien kostet.

Sina Trinkwalder: Es ist nicht das Können, es ist das Wollen. Bei uns funktioniert es, weil wir Wirtschaft anders denken. Bei 154 Festangestellten haben wir nur zweieinhalb in der Verwaltung. Der Rest schafft. Das ist auch der Grund, warum viele Unternehmen in Deutschland die Zustände nicht ändern wollen. Weil es in den Unternehmen immer mehr Leute gibt, die nur Geld heraus ziehen, und zu wenige, die wirklich arbeiten. Es müssen ja immer weniger Leute, die wirklich etwas produzieren, andere mitfinanzieren. Diejenigen nämlich, die abschöpfen, die in Büros sitzen und sich langweilen.

Bei Ihnen läuft das anders?

Sina Trinkwalder: Ja, ich kann auch nähen. ( Lacht und überlegt kurz.) Ich glaube, wir sind in einem Zeitalter, in dem das Ende der globalisierten Wirtschaft eingeläutet ist. Auch wenn das noch keiner wahrhaben will. Wir können nicht immer noch mehr produzieren. Ich sage, lasst es uns so machen, wie wir es früher gemacht haben: mit regionaler Wertschöpfung. Wir produzieren Produkte da, wo sie letztendlich auch gebraucht werden. Das ist sozialer und das ist ökologischer.

So handeln aber die wenigsten Unternehmen.

Sina Trinkwalder: Ja, weil aus anständigen mittelständischen Unternehmen Aktien-Konzerne geworden sind, mit gierigen Aktieninhabern, die für keine Arbeit Geld wollen. Da wird das Management sofort ausgewechselt, wenn der Quartalsbericht nicht den Vorstellungen des Aktionärs entspricht.

Gibt es ein Zurück zur sozialen Marktwirtschaft? Was erwarten Sie von der Politik?

Sina Trinkwalder: Die Politik soll mich vor allem in Frieden schaffen lassen. Wirtschaft ist auch nur dann Wirtschaft, wenn sie ohne Subventionen, ohne Fördermittel, ohne finanzielle Unterstützung seitens des Staates funktioniert. Wir haben das alles nicht erhalten. Es funktioniert trotzdem. Anfangs wollte mir kein Politiker helfen, jetzt wollen sie alle Foto-Termine mit mir. Damit wir aber wieder zu einer sozialen Marktwirtschaft zurückkommen, dafür braucht es ein Umdenken bei allen; bei den Verbrauchern, in der Wirtschaft und in der Politik.

Die Politik schafft die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft . Zum Beispiel handelt sie gerade ein Freihandelsabkommen mit den Amerikanern aus. Hat das auch auf Sie Auswirkungen? Auf den amerikanischen Markt drängen Sie jetzt ja wahrscheinlich weniger.

Sina Trinkwalder: Ich bin auch Bürger, ich bin auch Konsument. Deshalb hat das natürlich auch Auswirkungen auf mich. Auch wenn ich mir aus Unternehmersicht vielleicht nur überlege, eine Zweigstelle 100 Kilometer entfernt aufzumachen, und sicher nicht anfange, jetzt in Amerika zu nähen. Aus Verbrauchersicht ist TTIP die größte Sauerei, die es derzeit gibt. Und das Dumme an der Geschichte ist, die Verantwortlichen, die da im geheimen Kämmerchen verhandeln, nutzen viele Verschleierungstaktiken, sodass das Thema für den Bürger gar nicht greifbar ist. Das Chlorhühnchen zum Beispiel, das immer wieder genannt wurde, ist doch gar nicht das Problem. Da kann ich als Verbraucher doch selber entscheiden, ob ich das esse oder nicht, wenn es auf den Markt kommen sollte. Da gibt es viel schlimmere Dinge an TTIP.

Zum Beispiel?

Sina Trinkwalder: Der Bürger wird im Bereich Verbraucherschutz, Umweltschutz, Sozialauflagen verlieren. Oder nehmen Sie den Investitionsschutz. Große Konzerne können Staaten verklagen, wenn sich dort eine Bedingung ändert, die zum Zeitpunkt der Investition nicht so war. Daran sieht man: Politik wird nicht mehr für den Menschen gemacht, sondern für die Wirtschaft. Das ist alles nur für die Fetten, Dicken und Großen, die eh schon fett, dick und groß sind, damit sie noch fetter, dicker und größer werden.

Ein Vorschlag: Wechseln Sie in die Politik und versuchen, etwas daran zu ändern.

Sina Trinkwalder: Nein, nur in der Wirtschaft kann ich etwas bewegen. In der Politik gibt es viele Zwänge, die ein Handeln blockieren. Da wird sich nichts mehr bewegen.

Das klingt jetzt doch mehr nach Endzeitstimmung als nach dem Ende der Globalisierung...

Sina Trinkwalder: Endzeitstimmung? Überhaupt nicht. Ein Ende kann auch ein Anfang sein. Wir dürfen uns nicht immer nur empören. Ärmel hochkrempeln, machen. Hätte mir jemand vor fünf Jahren gesagt, dass sich Manomama so entwickelt, hätte ich ihm den Vogel gezeigt. Im ersten Jahr hat man über mich gesagt, die überlebt doch kein Jahr. Im zweiten Jahr hieß es: Lebt die etwa immer noch? Jetzt sind es fünf Jahre.

Sie sind viel Risiko gegangen. Haben Sie nie Angst gehabt, zu scheitern?

Sina Trinkwalder: Ich musste immer soviel arbeiten, ich hatte gar keine Zeit zu Scheitern. Man muss einfach hartnäckig sein. Mein Job macht mir zu 70 Prozent auch keinen Spaß, aber er ist sinnvoll. Mich trägt die Vorfreude, die Wende einzuläuten. Und ganz ehrlich, ich empfinde es als überzogene Haltung von jungen Menschen, 100 Prozent Spaß bei der Arbeit zu wollen. Man muss was relevantes machen, auch wenn es einem manchmal nicht gefällt.

Sie haben vorhin den Verbraucher angesprochen. Was sollte der Kunde, der Konsument aus ihrer Sicht anders machen?

Sina Trinkwalder: Wenn Sie zehn Leute fragen, ob sie Bio-Hühnchen kaufen oder konventionelles Hühnchen, sagen Ihnen neun von zehn, sie kaufen Bio. Die gleichen zehn Leute beobachten Sie mal an der Kasse. Da kauft dann halt nur einer von diesen zehn wirklich Bio-Hühnchen. Es liegt an uns allen, die Dinge zu ändern.


Von Janina Funk

Redakteurin Augsburg-Redaktion

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