Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung

Heidenlärm in Haunstetten: Interessenskonflikt um Flüchtlingswohnungen geht weiter

Mehr als 300 anerkannte Flüchtlinge will die Regierung von Schwaben im Stadtteil Haunstetten unterbringen. Eigens dafür sollen neue Wohnungen gebaut werden. Eigentlich eine gute Sache – und bereits genehmigt. Wären da nicht die jetzigen Bewohner des Baugebiets: eine Vielzahl geschützter Tier- und Pflanzenarten. Bis vor kurzem noch galt die Natur als Verlierer. Jetzt aber schaltet sich das Umweltministerium ein. Ein Stadtrat bringt zudem eine neue Alternative ins Spiel.

Die Geschichte nahm bereits einen ungünstigen Anfang. „Naturschützer gegen Flüchtlingswohnungen“, titelte eine Augsburger Tageszeitung Mitte Januar. Drohte nun eine epische Schlacht zweier gesellschaftlicher Herausforderungen? Eine gnadenlose Auseinandersetzung, aus der nur ein Problem der modernen Menschheit als Sieger hervorgehen würde? Freilich war die Schlagzeile etwas überspitzt formuliert.

Dennoch, auf der Augsburger Flugplatzheide bahnte sich tatsächlich ein Konflikt an, der sich um eben jene Themen dreht: Naturschutz und Wohnungen für Flüchtlinge. In einem Sonderbauprogramm plante die Regierung von Schwaben, auf dem Grundstück im Stadtteil Haunstetten 79 Wohneinheiten für rund 320 anerkannte Flüchtlinge zu errichten. Das Problem: Mehr als 80 geschützte Tier- und Pflanzenarten – zwölf Pflanzen und 15 Käfer davon stehen auf der Roten Liste in Bayern – haben auf dem rund vier Hektar großen Areal südlich der Universität bereits ihre Heimat. Und hier kommen die Naturschützer ins Spiel. Denn etwa die Hälfte davon soll überbaut werden.

„Wir wollen nicht Flüchtlinge gegen Naturschutz ausspielen“, äußerte sich bereits im Januar der Forscher Eduard Pfeuffer vom Naturwissenschaftlichen Verein für Schwaben. Ihm und seinen Kollegen sowie der Naturschutzallianz Augsburg stößt schlicht auf, dass das Gebiet im Stadtteil Haunstetten überhaupt bebaut wird. Ist es doch laut Pfeuffer eines „der ökologisch wertvollsten im gesamten Stadtgebiet“.

Am 28. Juli schien der Protest jedoch vergebens gewesen zu sein. Der Augsburger Stadtrat erteilte dem Projekt seine Zustimmung. Es sei nun einmal der einzig mögliche Standort für diese Wohnanlage, lautete die Begründung. Immerhin: Die Gebäude sollten in einer Kompromisslösung so ausgerichtet werden, dass sie die verbleibende Natur ringsherum weniger beeinträchtigen. Diese sollte außerdem rechtlich geschützt werden.

Die Grünen haben in dieser Woche bei Oberbürgermeister Kurt Gribl beantragt, umgehend Schritte dazu prüfen zu lassen und einzuleiten. Ganz könne man das Projekt aus Sicht der Grünen aber nicht verhindern. „Es gibt in Augsburg viel zu wenig preiswerten Wohnraum. Dies macht es insbesondere für die Gruppe der anerkannten Flüchtlinge oft nahezu unmöglich, als Mieter angenommen zu werden“, sagt Stadtrat Cemal Bozoglu.

Die Geschichte könnte aber doch noch einmal eine Wende nehmen. Überraschend wurde die Hoffnung der Naturschützer nun vom bayerischen Umweltministerium genährt. Öffentliche Grünflächen seien ein wichtiger Lebensraum für Tiere und Pflanzen, heißt es aus dem Ministerium. Insbesondere wenn es sich noch um verbliebene naturnahe Flächen handele. Deshalb müsse gerade bei der Flugplatzheide exakt geprüft werden, ob der Bau an dieser Stelle wirklich unumgänglich ist.

Die Regierung von Schwaben sagt dazu auf Nachfrage, dass sie „derzeit ein Zustimmungsverfahren durchführt“. Sie habe „zu prüfen, ob dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen. An der Entscheidungsfindung wird auch die Stadt Augsburg beteiligt“, so Pressesprecher Karl-Heinz Meyer. Selbstverständlich werde man „die Entscheidung auch mit dem Ministerium für Umwelt inhaltlich abstimmen“.

Stadtrat Christian Pettinger von der ÖDP schlägt gar eine Alternative vor. „Zwischenzeitlich wurde bekannt, dass die staatliche Flüchtlingsunterkunft an der Calmbergstraße kurzfristig geschlossen wird“, schreibt er in einem eigenen Antrag an OB Gribl. Diese sei „nach Sanierung oder Umbau bestens geeignet, Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen“, erläutert Pettinger. Damit sei seiner Ansicht nach die wesentliche Voraussetzung für den damaligen Beschluss nicht mehr existent – schließlich wäre das eine Alternative.

„Ziel ist derzeit eine Alternativlösung für die Unterbringung der dort lebenden Menschen sowie die Entwicklung einer durchführbaren Umzugsplanung“, äußert sich dazu Regierungssprecher Meyer. „Die Frage, was mit dem denkmalgeschützten Gebäude in der Calmbergstraße nach Aufgabe der bisherigen Nutzung geschieht, wird sich zu gegebener Zeit stellen.“ Der Bedarf an Wohnraum für anerkannte Flüchtlinge, betont er, werde „demgegenüber in den nächsten Monaten weiter ansteigen”.


David Libossek
David Libossek

Sportredakteur

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