Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung

Diskussion über Gewalttaten von Flüchtlingen: Nationalität nennen?

Es ist der Dienstag nach Weihnachten, an dem das Polizeipräsidium Schwaben-Nord einen Pressebericht versendet, dessen Inhalt erheblichen Einfluss auf eine Diskussion hat, die derzeit in Augsburg (genauso wie im Rest der Republik) geführt wird. Eine Diskussion, die selten sachlich, meist schrill, gar hysterisch daher kommt. Die Diskussion über Gewalttaten, die von Flüchtlingen verübt werden.

Als die Polizei die Meldung über eine Schlägerei in einem Nachtbus, bei der ein Baby verletzt wurde, an die Medien schickt, ist der Vorfall unserer Redaktion bereits bekannt. Ein Augenzeuge hatte auf unserer Webseite darüber berichtet. Die Polizei veröffentlicht die Herkunft der mutmaßlichen Täter: Es sind syrische Flüchtlinge. In der Redaktion ist man sich recht schnell einig, die Nationalität der Männer nicht zu nennen - und dafür gibt es Gründe.

Eine überzeugende Argumentation liefert der Pressekodex. Unter Ziffer 12 heißt es dort: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.” Einen solchen „begründbaren Sachbezug” zwischen einer aggressiven Schlägerei in einem Bus und der syrischen Staatsangehörigkeit können wir nicht erkennen. Eine schlüssige Erklärung, warum Herkunft eben nur bei bestehendem Bezug genannt werden sollte, bietet der Pressekodex auch; denn die Gefahr besteht, „dass die Erwähnung von Nationalität Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte”.

Mit Vorurteilen sehen wir uns ebenfalls konfrontiert, nachdem wir die Nachricht im Internet veröffentlichen. Dass es sich bei den mutmaßlichen Tätern um Syrer handelt, macht im Netz schnell die Runde. Auf Facebook wird für das Handeln einzelner Gewalttäter gleich eine ganze Gruppe von Menschen, nämlich alle Flüchtlinge, verantwortlich gemacht. „Typisch Merkels Facharbeiter” heißt es dort wenig originell. Unter unserem Facebook-Eintrag schreiben zahlreiche User. Viele Kommentare sind diskriminierend, beleidigend und aggressiv. Freilich werden auch wir angegriffen: Lügenpresse - was sonst.

Andere Augsburger Medien nennen die Herkunft der Brutalo-Schläger, packen die Flüchtlinge in die Überschrift, publizieren mehrere Folgeartikel. Zu einer Versachlichung der Diskussion trägt dies nicht bei.

Wenige Tage später finden sich wieder Straftäter mit Flüchtlingshintergrund im Polizeibericht. Mehrere Männer schießen in der Silvesternacht am Augsburger Königsplatz mit Böllern und Raketen auf Passanten. Der Redakteur, der an Neujahr Feiertagsdienst hat, entscheidet sich, die Nationalitäten der mutmaßlichen Täter diesmal nicht aus dem Bericht heraus zu nehmen. Einige Leser teilen uns mit, dass auch Deutsche mit Feuerwerkskörpern auf Passanten geschossen hätten. Im Polizeibericht findet sich dafür zumindest keine Bestätigung.

Was jedoch in den Pressemitteilungen der Polizei auffällt, ist, dass nur dann die Staatsangehörigkeit genannt wird, wenn der Verdächtige kein Deutscher ist. Laut aktueller Kriminalstatistik des Polizeipräsidiums Schwaben-Nord sind 28,9 Prozent der Straftäter Ausländer. Darin inbegriffen: Zuwanderer, die einen Anteil von 6,2 Prozent an allen Tatverdächtigen ausmachen. „Der Deutsche” liest man im Polizeibericht jedoch so gut wie nie, stattdessen heißt es „der Mann”, „der 40-Jährige” oder „der Jugendliche”.

Polizeisprecher Thomas Rieger beruft sich ebenfalls auf den Pressekodex. Auch die Polizei orientiere sich an der Empfehlung des Presserats und nenne daher die Nationalität im Normalfall nicht. Dennoch räumt er ein, dass sich etwas geändert hat. „Seit der großen Zuwanderung im Jahr 2015 und spätestens seit der Kölner Silvesternacht 2015/16 ist die polizeiliche Berichterstattung über Straftaten von Flüchtlingen ein ständig präsentes Thema”, erklärt Rieger. Die Polizei wolle in ihrer Pressearbeit transparent sein, aber nicht meinungsbeeinflussend, sondern neutral.

Mit dem Rahmen, den der Pressekodex biete, gehe das Polizeipräsidium Schwaben-Nord „seit 2015 eher offensiv um”. Man nenne „im Zweifelsfall eher die Nationalität des Täters als sie zu verschweigen”.

Auf die Frage, warum dies jedoch offenbar nicht für deutsche Täter gilt, verweist Rieger auf den Pressekodex, von dem man sich durch Nennung deutscher Nationalität zu weit entfernen würde.

Zustimmung erhalten wir indes vom Deutschen Presserat. Zum Fall der schlimmen Schlägerei im Nachtbus sagt Roman Portack, Referent für Recht und Beschwerdeausschüsse: „Auch ich kann keinen begründbaren Sachbezug erkennen, der die Erwähnung der Herkunft der mutmaßlichen Täter oder ihres Status als Flüchtlinge rechtfertigen würde.”


Von Janina Funk

Redakteurin Augsburg-Redaktion

north