Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 14.07.2019 23:00

27-Jähriger tritt auf Jobcenter-Mitarbeiter ein

Denn knapp anderthalb Monate später eskalierte ein Familienstreit und der Angeklagte schlug seinem Halbbruder mehrmals ein Brotzeitbrett gegen den Kopf, dass dieser fünf Platzwunden erlitt. Der 27-Jährige räumt über seinen Anwalt Ulrich Swoboda alle Vorwürfe ein. Sein Mandant lebte in einer Männerunterkunft mit mehreren angeblich ungepflegten Mitbewohnern und bekam einen Job in einer Schlosserei vermittelt, bei dem schlechte Arbeitsbedingungen geherrscht hätten und er von den Kollegen gemobbt worden sei, versucht Swoboda das Verhalten des Angeklagten zu erklären.

Bereits zwei Mal habe er den 27-Jährigen ins Jobcenter bestellt, sagt der Geschädigte vor Gericht aus. „Ich war am PC vertieft”, erklärt er und ergänzt, dass er nebenbei am Telefon einen Antrag besprochen habe. Dann habe er im Augenwinkel bemerkt, wie schräg hinter ihm die Tür geöffnet wurde.

„Ich habe den Angeklagten gebeten, kurz draußen Platz zu nehmen”, führt der 25-Jährige aus. Dann habe er gehört, wie sich die Tür wieder schloss und er wandte sich dem Computerbildschirm zu. „Ich dachte er wäre draußen, weil man das so macht.” Dann sei alles ganz schnell gegangen, führt er weiter aus. Der Angeklagte schlug dem Jobvermittler mehrmals mit der Faust gegen Kopf, bis dieser umfiel. „Ich kauerte am Boden und spürte Tritte”, berichtet der 25-Jährige. Mit seinen Armen habe er sein Gesicht vor den anhaltenden Fußtritten schützen können. Eine Kollegin aus dem Nachbarbüro hörte seine Hilferufe und betrat über eine Fluchttür den Ort des Geschehens. „Zwei oder drei Mal habe ich gerufen: Hören Sie bitte auf!”, sagt die 29-Jährige. Doch der Angeklagte habe unaufhörlich gegen den Kopf ihres 25-jährigen Kollegen getreten. „Ich hatte das Gefühl, ihm wäre es wichtiger gewesen, mehrere schwache Tritte als einen starken Tritt zu setzen”, sagte die Frau damals der Polizei.

Aus Angst um ihr eigenes Leben habe sie durch die Fluchttür den Tatort wieder verlassen und holte das Sicherheitspersonal zu Hilfe. Dieses musste den Angeklagten mit Gewalt vom Opfer wegzerren. Die Schädelprellung und ein Riss in der Nase belasten den 25-Jährigen weniger. „Am schlimmsten ist die psychische Geschichte”, sagt er. Seit diesem Vorfall habe er Schlafstörungen und fühle sich in der Öffentlichkeit unwohl. „In Alltagssituationen bekomme ich immer wieder Panik, wenn sich jemand von hinten nähert”, erklärt der Mitarbeiter des Jobcenters in Bezug auf einen Einkauf beim Bäcker.

„Es tut mir leid, normal bin ich nicht so”, beteuert der Angeklagte mit mehreren einschlägigen Vorstrafen, unter anderem wegen Körperverletzung. Diese im Jobcenter sollte auch nicht seine Letzte sein, denn im November vergangenen Jahres hielt er sich gemeinsam mit seinem Halbbruder und seiner Mutter in ihrer Wohnung in Stadtbergen auf. Der 27-jährige Angeklagte hat einen Vater, der aus Bosnien-Herzegowina stammt und sein 16 Jahre älterer Halbbruder einen kroatischen Vater.

„Sie haben den Balkankrieg im Familienverband fortgesetzt”, umschreibt Verteidiger Swoboda die familiären Verhältnisse. Oft sei es zu Sticheleien zwischen den Halbgeschwistern gekommen und der 43-Jährige habe sich immer als besseren Menschen darstellen wollen, erklärt Swoboda. Der Angeklagte nahm ein Brotzeitbrett und schlug es dem Pöbler einige Male gegen den Kopf. Als dieser blutete, ließ der 27-Jährige ab und flüchtete ins Badezimmer. Der 43-jährige Kroate folgte dem jungen Mann in das Zimmer, das nicht abgeschlossen werden kann, und stach mit einem zerbrochenen Weizenglas auf den jüngeren Bruder ein.

Das belegen die Narben am Körper des Angeklagten. Kurz schiebt er seinen Rollkragen-Pullover zur Seite und eine riesige Narbe am Hals kommt zum Vorschein. Weitere Stiche bekam er in Schulter, Arme und Brust. Er wurde in das Krankenhaus eingeliefert und musste notoperiert werden.

Der Halbbruder verweigert eine Aussage, da gegen ihn in wenigen Wochen separat verhandelt wird. Auch die 63-jährige Mutter der will vor Gericht keine Angaben machen. „Wie kann ich als Zeugin gegen meine Kinder aussagen?”, fragt sie weinend in den Saal. Unter Tränen verabschiedet sie ihren Sohn nach der Verhandlung. Das Schöffengericht um Vorsitzenden Thomas Kirschner verurteilt den 27-Jährigen zu zwei Jahren und acht Monaten Gefängnis. Hinzu kommen noch offene Bewährungsstrafen aus vorherigen Urteilen, die nun widerrufen werden, und ein offenes Verfahren wegen Beleidigung.

An den 25-jährigen Mitarbeiter des Jobcenters, der ab diesem Vorfall in einer anderen Abteilung arbeitet, muss der Angeklagte nach Haftentlassung 10 000 Euro Schmerzensgeld zahlen.”Der Angeklagte hat Glück, dass er wegen Körperverletzung und nicht wegen eines versuchten Tötungsdeliktes angeklagt ist”, sagt Nebenklägervertreterin Marion Zech abschließend. „Am schlimmsten ist die psychische Geschichte”


Von Patrick Bruckner
north