Ein Mann mit Einkaufstüte hält an einer Straßenlaterne. Sein Blick bleibt an einem seltsamen goldenen Stück Metall hängen, das den Mast umschlingt. Als er die Inschrift gelesen hat, entfährt es ihm: „Der hat bei mir im Haus g'wohnt.” Dann stapft er über die Lindenstraße und verschwindet im Haus mit der Nummer 5.
Jenem Gebäude, in dem Liberat Hotz eine Zeit lang lebte. Er ist es, dem das sogenannte Erinnerungsband gilt, das die „Erinnerungswerkstatt Augsburg” am Laternenpfahl angebracht hat. Gegenüber der Adresse, an der Hotz kurz vor Weihnachten 1934 seinen letzten Wohnsitz in Augsburg bezieht. Nicht einmal vier Monate später wird er vom Landgericht als „ethisch defekter Mensch” zu „dauernder Sicherheitsverwahrung” verurteilt. Er durchläuft mehrere Konzentrations- und Arbeitslager, ehe er am 4. Mai 1943 im Vernichtungslager Auschwitz stirbt.
Angela Bachmair hat seinen Lebensweg recherchiert. Sie steht im Regen neben dem Laternen-Denkmal und erzählt. Davon, dass Hotz 48 Jahre alt ist, als das letztlich tödliche Urteil fällt. Dass er zuvor wegen zahlreicher Diebstähle in insgesamt 18 davon Haftstrafen hat absitzen müssen. Dass der Sohn einer Augsburger Arbeiterfamilie auch nicht davor zurückschreckte, Opferstöcke zu plündern. „Warum”, fragt Bachmair, „erinnert man an einen solchen Delinquenten, an einen Verbrecher als Naziopfer?” Sie antwortet, indem sie das Grundgesetz zitiert - die Würde des Menschen ist unantastbar. „Das gilt auch für die eines Delinquenten. Die Nazis aber sahen ihn als Schädling. Sie wollten ihn ausschließen und ihn vernichten. Dafür gibt es keine Rechtfertigung.”
Das bestätigt Herbert Veh. Der Präsident des Augsburger Landgerichts hebt seine Stimme, als er einräumt: „Auch die Justiz hat sich an Liberat Hotz schuldig gemacht; auch das Augsburger Landgericht.” Zwar sei es damals rechtens gewesen, die Sicherheitsverwahrung gegen Mehrfachtäter auszusprechen. Aber, betont Veh, kein Richter habe seinerzeit behaupten können, er wisse nicht, was sie bedeutet. Nämlich ein Todesurteil „unter möglichster Ausbeutung der noch vorhandenen Arbeitskraft”.
Auch heute, so schätzt Veh, würde ein Gericht einem Dieb wie Hotz, der 22 Vorstrafen angehäuft hat, eine ungünstige Sozialprognose stellen. Es würde ihm vermutlich gar gewerbsmäßige Kriminalität vorwerfen. „Und dennoch ist dieses Erinnerungsband richtig”, bekräftigt er.
Das metallene Zeichen am Lampenmast dient für Veh gleichzeitig als Mahnmal. „Das Schicksal Liberat Hotz' erinnert an das Gebot menschlichen Umgangs mit dem Unangepassten, auch mit dem Straftäter”, sagt Veh und präzisiert: „An das Gebot, jeden nach verbüßter Strafe wieder in die Gesellschaft aufzunehmen.” Das Ziel einer Sicherheitsverwahrung müsse stets Resozialisierung sein. „Niemand darf endgültig ausgegrenzt werden”, appelliert er.
Freilich funktioniere das nicht in jedem Fall. Allerdings müssen Therapie und Hilfe zu einem straflosen Leben stets gewährleistet sein. Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, findet Veh und merkt an, wie schwierig es etwa sei, Wohnungen für entlassene Straftäter zu finden.
Der Landgerichtspräsident verweist zudem auf den stetig lauter werdenden Ruf nach mehr Sicherheit. „Wir müssen uns ständig bewusst sein”, mahnt er, „dass absolute Sicherheit an Freiheitsschranken scheitert und scheitern muss”. All das prangt nun am Laternenmast gegenüber der Lindenstraße 5.