Die Ankündigung Kurt Gribls, nicht mehr für das Amt des Oberbürgermeisters kandidieren zu wollen, hat sehr unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. In die überwiegend respektvolle Anerkennung mischen sich kritische Stimmen, Gribl hätte vor allem Schulden gemacht und würde sich nun aus dem Staub machen. Zeit für einen nüchternen Blick zurück auf die vergangenen elf Jahre im Augsburger Rathaus.Als Mister X trat der zunächst parteilose Kurt Gribl in der Kommunalwahl 2008 als politischer Quereinsteiger für die CSU gegen SPD-Amtsinhaber Paul Wengert an - und siegte in einer Stichwahl überraschend deutlich. Mitentscheidend damals für seinen Sieg war ein Großprojekt, das Gribl und seine Berater geschickt für den eigenen Wahlkampf zu nutzen wussten und das den Oberbürgermeister seitdem begleitet hat: die Mobilitätsdrehscheibe Augsburg (MDA) und ihre Teilstücke Königsplatzumbau, Tramtunnel unter dem Hauptbahnhof sowie der Bau der Straßenbahnlinien 5 und 6.
Im November 2007 hatten die Augsburger in einem Bürgerentscheid für den von der CSU unterstützten Vorschlag zum Umbau des Königsplatzes gestimmt, das SPD-geführte Regenbogen-Bündnis im Rathaus erholte sich bis zur Wahl nicht mehr von dieser Schlappe. Doch schon im Juli 2008, knapp drei Monate nach seiner Vereidigung, machte sich Gribl im Stadtteil Hochzoll eben wegen der MDA unbeliebt. Grund war der Rückbau der ehemals vierspurigen Friedberger Straße weitestgehend nach den Plänen der Vorgängerregierung, um Platz für die Linie 6 zu gewinnen - Gribl schuf hier nicht nur das geflügelte Wort von der gefühlten Vierspurigkeit, sondern für sich selbst eine dauerhafte Opposition innerhalb der Augsburger Stadtgesellschaft, die ihm vorhielten, sein Wahlversprechen gebrochen zu haben.
Mit diesem bürgerlichen Widerstand musste sich OB Gribl immer wieder auseinandersetzen und so avancierte Augsburg zur Hauptstadt der Bürgerbegehren - für die Jahre 2008 bis 2016 listet der Verein „Mehr Demokratie” 19 Bürgerbegehren in der Fuggerstadt auf. Eines davon bescherte Gribl seine größte politische Niederlage. Als ein Bürgerentscheid 2015 die Fusion der Stadtwerke-Energiesparte mit dem Unternehmen Erdgas Schwaben verhinderte, war das auch als klares Signal an Kurt Gribl gedacht: Die Augsburger verlangten nach mehr Transparenz in politischen Prozessen. Inzwischen ist die Beteiligung und Information der Bürger an städtischen Vorhaben - Theatersanierung, Kulturkonzept, Trassenführung der Linie 5 - fast zur Selbstverständlichkeit geworden.
Leicht hatte es Kurt Gribl nicht in den vergangenen elf Jahren. Seine Amtsvorgänger hinterließen ihm nicht nur die Mobilitätsdrehscheibe, sondern viele, sehr viele weitere Baustellen: Der Kongresshalle drohte aus Brandschutzgründen die Schließung, genau wie dem Großen Haus des Theaters. Die Staats- und Stadtbibliothek (Stabi) bedurfte einer dringenden Sanierung, die Messe Augsburg musste neue Hallen errichten, um wettbewerbsfähig zu bleiben und gleichzeitig verrotteten die Augsburger Schulen, um nur einige der akuten Fälle aufzuzählen.
Was hinterlässt Gribl? Die Kongresshalle wurde im Mai 2012 nach umfassender energetischer und technischer Sanierung wieder eröffnet. Die Arbeiten zur Sanierung des Großen Hauses beginnen offiziell am heutigen Montag. Die Stabi ist in die Trägerschaft des Freistaats übergegangen, der nun den Bau für mehr als 20 Millionen Euro saniert. Auf der Messe Augsburg stehen die neuen Hallen 4 und 5, eine neue Halle 2 befindet sich im Bau. Und für die Schulen hat Augsburg mittlerweile ein Förderprogramm auf die Beine gestellt, das vorsieht, bis 2030 300 Millionen Euro in die Schulen zu investieren - hauptsächlich in die bauliche Modernisierung.
Dazu kommt der Aufbau des Innovationsparks in Augsburg, die Aufwertung des Klinikums zur Universitätsklinik, die Umwandlung des Theaters zum Staatstheater und die abgeschlossene Neugestaltung der Fußgängerzone. Der neue Königsplatz und der Verkehrsfluss an ihm vorbei funktioniert allen Unkenrufe zum Trotz und Augsburg selbst wurde als drittgrößte Stadt zur Metropole hochgestuft.
Freilich war das nicht alles allein Gribls Verdienst. Doch ihm ist gelungen, insbesondere für die zweite Amtsperiode durch die Koalition mit der SPD und die Kooperation mit den Grünen, im Augsburger Stadtrat stabile Mehrheiten zu finden und gleichzeitig große Akzeptanz in der Bevölkerung herzustellen. Und so ist das durchaus umstrittene Megavorhaben, die Untertunnelung des Hauptbahnhofs, auf den Weg gebracht und die Theatersanierung kann nun beginnen.
Profitiert hat Gribl von seinen guten Kontakten nach München. Obwohl ohne politisches Netzwerk gestartet, konnte er schon 2009 einen ersten Erfolg verzeichnen: Im Februar verewigte sich der damalige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer im Goldenen Buch der Stadt mit den Worten „Die Uniklinik kommt!!!” Die Zusage wurde eingehalten, längst nicht die einzige Unterstützung aus München für Augsburg, wie sie unter Gribls Vorgängern, egal welcher Parteicouleur, unmöglich schienen. Bei Seehofer revanchierte sich Gribl 2019 mit der Ehrenbürgerwürde, es ist ein Nehmen und Geben. Viel hat Kurt Gribl in Augsburg bewegt - und das hat seinen Preis. Finanzreferentin Eva Weber musste eine Rekordverschuldung von 421 Millionen Euro bis Ende 2018 melden - vor allem sind es Sonderkredite für den Schulausbau und für die Theatersanierung. Weil insbesondere der Finanzierungsplan für das Theater vorsieht, dass die Tilgung der Kredite bis 2039 laufen soll, folgte Gribls Erklärung, nicht mehr kandidieren zu wollen, die Kritik, er würde Augsburg nur Schulden hinterlassen - doch immerhin stehen den Schulden enorme Summen an Fördermitteln gegenüber, mit denen sich Freistaat und Bund in Augsburg beteiligen.
Noch ist nicht absehbar, ob die Kritiker Recht behalten und Augsburg sich mit den Schulden unter OB Kurt Gribl übernommen hat oder am Ende doch alles gut ausgeht. Sicher ist nur, dass Eva Weber an das Finanzierungskonzept glaubt, sonst hätte sie nicht ihre Bereitschaft zur OB-Kandidatur kund getan. Und als amtierende Finanzreferentin sollte sie genügend Überblick über Augsburgs Kassen haben.