Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung

Angela Merkel in Augsburg: Prosit und Protest

Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht Augsburg. Ihr Auftritt auf einer Wahlkampfveranstaltung der CSU wird begleitet von Beifall, aber auch von lautstarkem Protest. Am Zelt-Einlass geht kurzzeitig gar nichts mehr, die „Hau-ab”-Fraktion grölt im Biergarten, andere vermissen den Hubschrauber.

Vier Männer gehen am Holzzaun des Augsburger Plärrers entlang. Unzufriedenheit zeichnet ihre Gesichter, sie hatten sich offenbar mehr vom Abend erwartet. Aus Sicht des Quartetts Schuld daran: eine Fehlinformation in den Medien. „Wo issa jetzt, da Hubschrauber?”, zürnt einer. „I sig koan”, entgegnet einer seiner Kumpel, während die Gruppe ins Dunkel verschwindet.
Freilich landete der Hubschrauber der Bundeskanzlerin nicht spektakulär vor dem Schallerzelt zwischen den Resten des soeben zu Ende gegangenen Plärrers. Der rund 40-minütige Auftritt Angela Merkels auf einer Wahlkampfveranstaltung der CSU ging aber letztlich auch ohne Heli-Landung oder eine sich abseilende Kanzlerin mit einer Menge Aufregung einher.

Bereits lange vor Merkels Rede drängen sich Menschen in Richtung der Eingänge, wie man es vom Münchner Oktoberfest, weniger vom Augsburger Plärrer kennt. Von 4000 Besuchern wird die CSU später sprechen. 2300 finden einen Platz im Zelt. „Einlass-Stopp”, verkündet ein Ordner bereits eine Stunde vor der Kanzlerinnenansprache. Davon betroffen ist selbst Augsburgs Finanzbürgermeisterin Eva Weber, die sich in der Schlange anstellt. Landrat Martin Sailer zückt etwas bedröppelt dreinschauend umgehend das Smartphone.
Im Regen bringen sich derweil Polizeitruppen in Stellung, die beiden Späher auf dem Dach des nahen Fitnessstudios werden umtriebig. Vor dem Zelt positionieren sich zudem rund 30 Männer und Frauen in hellgrünen Jacken, halten modifizierte Verkehrsschilder hoch und einen prallen Ballon. „Diesel, Gesundheitsgefahr” und „Verkehrswende, jetzt”, prangen darauf. So stehen sie Spalier für die von vier Polizeimotorrädern begleitete Fahrzeugkolonne der Kanzlerin.

Angela Merkel wird sogleich von einem feixenden und selig grinsenden Oberbürgermeister Kurt Gribl begrüßt und schlendert vergnügt an den Demonstranten vorbei. Untermalt von Hust-Geräuschen aus der grünen Greenpeace-Wand und schrillem Trillerpfeifen-Pfeifen von der gegenüberliegenden Seite. Ein hochgewachsener Mann mit Vokuhila-Frisur und Trainingshose plustert sich hinter dem Politiker-Tross auf, spuckt Merkel einige unschöne Worte hinterher. An der lächelnden Kanzlerin in ihrem roten Jackett prallt das alles ab, sie flaniert in Richtung Zelt, als laufe der Plärrer noch und rechts und links von ihr stünden Süßer Tempel und Autoscooter.

Drinnen jedoch entsteht dieser Eindruck durchaus. Manche Besucher tragen Lederhosen und Janker, kräftige Kellnerinnen stemmen im Bierzeltdunst Tabletts mit Tellern, die Blasmusikkapelle ruft zum „Prosit” auf. Ungemütlicher gestaltet sich die Atmosphäre im Biergarten des Zelts. Dort hat sich die „Hau-ab-Fraktion” versammelt. Mehr als 100 Menschen krakeelen während der Rede - die mehr als 15 Minuten früher als angekündigt beginnt - „Merkel muss weg”, andere zeigen Plakate, auf denen Dinge wie „Eidbrecherin” stehen, schrilles Pfeifen schmerzt in den Ohren. Eingekreist sind die Protestler von hochgehaltenen Smartphones, die filmend nach einer Eskalation gieren. Die bleibt jedoch aus.
Drinnen lässt sich von dem Aufruhr niemand stören. Ab und an brandet Beifall auf für Merkel, die zwischen Kapelle und zahlreichen TV-Kameras spricht. Störgeräusche aus dem Publikum sind dort keine zu vernehmen. Draußen pressen einige die Ohren gegen die Zeltwand. Viele, die Merkel einfach nur mal sehen wollten, ziehen indes ab. Hinter dem Zelt reiht sich mittlerweile die Greenpeace-Abordnung auf. Auch eine Gruppe in weißen T-Shirts wartet dort. Ihre Mitglieder sind am Klinikum Augsburg angestellt. „Wir stehen wie immer im Regen”, klagt Ksenija. Die junge Frau und ihre Mitstreiter hoffen auf mehr Personal und bessere Bezahlung in ihrer Branche. Die vierspurige Straße am Plärrer ist da bereits von Polizeiautos abgeriegelt. Während die Nationalhymne durch die Zeltwände dringt, wird im Schritttempo eine Tram mit Blaulicht durch die Sperrzone eskortiert - ein ungewollt staatstragendes Schauspiel.

Umgehend danach öffnet sich neben dem Zelt ein Stück Bauzaun. Eine schwarze Limousine schießt aus der Lücke. Darin sitzt die Kanzlerin. Greenpeace rollt sein Banner ein, das Klinikum-Personal skandiert trotzig seinen Schlachtruf, von den vielen Einsatzkräften, die eben noch das Bild prägten, ist mit einem Mal keiner mehr zu sehen, Menschen drängen in eine Straßenbahn wie zuvor ins Zelt.
Der Trubel ist schlagartig vorbei. Eine Frau fragt am Festplatz-Eingang einen der wenigen übriggebliebenen Polizisten: „Kann man ab Donnerstag wieder auf dem Plärrer parken?”


David Libossek
David Libossek

Sportredakteur

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