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19-Jährigem in den Kopf geschossen: Mutmaßlicher Schütze erzählt vor Gericht seine Version

Es geht um einen Fall, der 2017 für Aufsehen sorgte: An der Adelzhauser Kapelle St. Salvator, auf einem Pendlerparkplatz an der A8, schoss ein Mann einem 19-Jährigen in den Kopf. Die Polizei berichtete von einem geplatzten Waffenverkauf. Nun wird der Fall vor dem Augsburger Landgericht verhandelt. Sieben Verhandlungstermine sind insgesamt angesetzt, der erste davon fand gestern statt.
Der heute 40-jährige Angeklagte erscheint mit drei Verteidigern im Gerichtssaal, trägt ein weinfarbenes Jacket über einem weißen Hemd. Seine Meldeadresse befindet sich im Landkreis Dachau, doch in den letzten drei Monaten hat er in Brasilien gelebt. Seine brasilianische Adresse schreibt er auf einen Zettel, damit sie auch richtig zu Protokoll gegeben werden kann. Der Vorsitzende Richter Michael Schneider liest sie nochmal vor, witzelt über seine eigene falsche Aussprache. Der Angeklagte lächelt leicht, doch die Anspannung ist ihm anzumerken, auch wenn er dem Gericht kurz später gefasst seine Version der Geschichte erzählt.

Am 1. August 2017 wurde der gebürtige Dachauer festgenommen, am 23. November 2017 wurde der Haftbefehl gegen Auflagen wieder aufgehoben. Er ist verheiratet, arbeitet laut eigenen Angaben als Programmierer und Unternehmer, ist nicht vorbestraft. „Das war eine vollkommen surreale Situation”, sagt er über den Abend des 31. Juli 2017.

Mit seiner Frau wollte der Angeklagte schon damals nach Brasilien auswandern. Da er einen Jagdschein gemacht hatte, besaß er auch drei legale Waffen, die er nicht mit nach Brasilien nehmen konnte und verkaufen wollte. Über ein spezielles Online-Portal wurde er eine Langwaffe schnell los, doch für die beiden anderen Waffen, einen Revolver und eine Glock 17 Pistole, habe sich lange kein Käufer gefunden. Schließlich zeigte ein Mann Interesse, der im Internet unter dem Namen „Graf” mit dem Angeklagten kommunizierte. Er habe den Angeklagten zunächst gebeten, ihm die Waffe per Sonderversand zu schicken. Der 39-Jährige forderte ein Foto seiner Waffenbesitzkarte. Als der Käufer bat, die Waffe statt an ihn selbst an seinen Schwager zu schicken, lehnte der Angeklagte dies ab. Daraufhin wollte „Herr Graf” die Waffe doch persönlich abholen. Die Berechtigung des Käufers wollte der Angeklagte dann vor Ort überprüfen.

„An dem Tag hab ich noch ein Spielhaus aus dem Garten verkauft, bei Ebay Kleinanzeigen”, erzählt der Mann auf der Anklagebank. Am Abend habe er sich dann mit den Waffen und Dokumenten auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt, der Kapelle St. Salvator, gemacht. Auf dem Parkplatz traf er einen jungen Mann, der ihn mit seinem Nachnamen ansprach. Allerdings handelte es sich nicht um Herrn Graf, und er wollte auch die Waffen nicht kaufen. Stattdessen sei er selbst gekommen, um dem Angeklagten seine Armbrust zu verkaufen.

„Ich habe dann so die Theorie gehabt, dass irgendein Dritter uns beide da hingelockt hatte”, erzählt der Dachauer. Der weitere vermeintliche Verkäufer habe sehr niedergeschlagen darüber gewirkt, dass er die weite Anfahrt umsonst gemacht hatte. Die beiden hätten Nummern ausgetauscht, dann habe der Angeklagte sich auf den Weg nach Hause gemacht. Noch auf der Autobahn erreichte ihn dann ein Anruf des 19-Jährigen. „Er klang noch niedergeschlagener”, so der 40-Jährige, erzählte, nun springe auch noch sein Auto nicht an. Er bat um Hilfe beim Starten. Der Angeklagte habe ein mulmiges Gefühl gehabt, fuhr aber zurück zur Kapelle. Allerdings lud er zuvor das Magazin der Pistole mit drei Patronen und behielt die Waffe in der rechten, das Magazin in der linken Hosentasche.

Auf dem Parkplatz habe der 19-Jährige seine Motorhaube bereits geöffnet. „Da stand er auf einmal vor mir und hat mit der Armbrust auf meinen Kopf gezielt. Ich konnte den Pfeil erkennen in der Armbrust, und auch, dass sie gespannt war.” Der Angeklagte habe die Waffe weggeschlagen. Da sei der Pfeil an seinem Kopf vorbei geflogen. „In dem Moment war mir klar, dass er mich in die Falle gelockt hatte, meine Waffe wollte und dass er dafür auch töten würde.”

Alles sei dann unglaublich schnell gegangen, „schneller, als ich das jetzt erzählen kann.” Der 19-Jährige sei auf ihn zugesprungen und habe ihn auf den Boden gedrückt. „Ich hatte in diesem Moment echt Todesangst.” Der Angreifer habe ihn im Schwitzkasten gehalten, doch die Hände des Angeklagten blieben frei. Er habe es geschafft, seine Waffe zu laden. „Ich konnte seine Hände nicht sehen und stellte mir vor, dass er vielleicht gerade eine Waffe zieht, ein Messer oder so”, erzählt der 40-Jährige. Es sei ihm klar gewesen, dass der andere Mann die Pistole nicht bekommen darf. Er habe keine andere Möglichkeit gesehen, als abzudrücken.

Er traf den 19-Jährigen in den Kopf. Danach sei ihm sofort bewusst gewesen, dass er Hilfe holen muss. Er alarmierte den Notruf. Dadurch konnte das Leben des 19-Jährigen gerettet werden. Allerdings sind 30 Prozent seines Gehirns geschädigt, er ist auf einem Auge blind und kann nicht mehr selbstständig laufen. „Ich wollte nie auf Menschen schießen, und ich wünschte, der Herr wäre heute noch gesund”, sagt der 40-Jährige. „Ich wünschte, wir hätten uns nie kennengelernt.”

Noch wurden keine Zeugen gehört. Am 13. Mai geht der Prozess weiter.


Von Laura Türk
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