Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 16.11.2022 14:55

WM-Fieber? Nicht so richtig

In drei Tagen startet die Fußball-Weltmeisterschaft. Das übliche WM-Fieber, das Deutschland alle vier Jahre befällt, will sich in diesem Jahr aber nicht so recht einstellen. Denn in diesem Jahr ist vieles anders. Ausgetragen wird der Wettbewerb in einem Land, das hauptsächlich aus Wüste und einem langen Küstenabschnitt besteht: Katar am Persischen Golf. Fußballmäßig trat der Wüstenstaat bislang kaum bis gar nicht in Erscheinung. Zudem ist das Gastgeberland wegen verschiedener Menschenrechtsverletzungen, Korruptionsvorwürfen und einer nur geschönten Ökobilanz höchst umstritten.

Am Arbeitsplatz und im Freundeskreis wird deshalb dieser Tage viel diskutiert, wie man mit dem Sport-Spektakel umgehen soll. Während es die persönliche Entscheidung jedes einzelnen ist, ob er die Weltmeisterschaft anschaut oder nicht, müssen Gastronomen für sich auch die ökonomischen Folgen abschätzen. Folgen sie dem Aufruf der Fan-Initiative "#BoycottQatar2022", dem sich bereits zahlreiche Gaststätten in Deutschland angeschlossen haben, und lassen ihre Bildschirme zwischen dem 20. November und 18. Dezember aus? Oder zeigen sie die Übertragung der Spiele und hoffen darauf, dass sich die WM-Euphorie noch im Laufe des Turniers einstellen wird? Die Wirte und Wirtinnen im Aichacher und Dachauer Land vertreten dazu eine unterschiedliche Haltung.

Bei früheren Europa- und Weltmeisterschaften im Sommer gehörte "Public Viewing", also die Übertragung auf Großleinwänden, zum festen Veranstaltungsprogramm in Aichacher. Erste Anlaufstelle war der Biergarten des Orient-Express an der Bahnhofstraße. Der wurde bekanntlich vor einiger Zeit abgerissen. An der gleichen Stelle steht mittlerweile der Rohbau eines Wohn- und Geschäftshaus. Abgesehen von einer schnellen Baustellenhalbe lässt sich auf dem Erol-Duman-Gelände also nur noch schlecht feiern. Doch es gibt ja noch das spanische Restaurant Tio Pepe Bar Tapas am Aichacher Stadtplatz. Der dortige Innenhof war in der Vergangenheit nicht selten ein Ort, an dem mitgefiebert und ausgelassen gejubelt wurde. In diesem Jahr bleibt der Hof aber leer, wie Gastronom José Barrera auf Nachfrage mitteilt.

Er hätte die Spiele gerne draußen gezeigt, sagt der Spanier. Mit den Eigentümern des Innenhofes sei es aber zu keiner Einigung gekommen. "Deshalb übertragen wir die WM jetzt einfach im Lokal", sagt Barrera und fügt trotzig hinzu: "Ich werde alle Spiele komplett zeigen, soweit es geht." Die Kritik an der Austragung in Katar, die in Deutschland in den vergangenen Wochen laut geworden ist, hält er für geheuchelt. "Viele, die da dagegen sind, schauen dann halt heimlich zu Hause", ist er überzeugt. Seiner Meinung nach hätte die Kritik nach der Vergabe vehementer ausfallen sollen. "Jetzt ist es zu spät." Seine WM-Begeisterung will sich der Aichacher Gastronom jedenfalls nicht madig machen lassen. Er stellt einen großer 86 Zoll-Bildschirm auf und hofft, dass viele Gäste die Euphorie mit ihm teilen.

Als fußballverrückt, bezeichnet sich Nevenka Isemann aus Altomünster. Die gebürtige Kroatin ist Inhaberin des "Barwerk 3". Sie und ihre Familie lebten Fußball, sagt Isemann. Dass die WM an einen Staat wie Katar vergeben wurde, findet sie einen Skandal. Nach zwei Einnahme schwachen Pandemie-Jahren kann sie sich einen Boykott der Großveranstaltung allerdings auch nicht leisten. "Es wäre wirtschaftlich unsinnig, wenn ich es nicht mache." Sollten Spiele um 14 Uhr oder früher kommen, werde sie ihre Bar zwar nicht extra aufsperren. "Wenn die Anpfiff-Zeiten passen und die Gäste zum Beispiel ein Deutschland-Spiel sehen wollen, werde ich die Fernseher aber mit Sicherheit einschalten", sagt die Altomünstererin überzeugt.

Moralisch will sie als Wirtin nicht für einen Fehler geradestehen müssen, den andere zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt zu verantworten hätten, dann nämlich, als Katar von der FIFA als Ausrichter der Fußball-WM 2022 bestimmt wurde, sagt Nevenka Isemann. Unglücklich findet sie an dem Turnier zudem, dass es in die Vorweihnachtszeit fällt. "Wenn die üblichen Weihnachtsfeiern der Vereine bei mir stattfinden, werde ich vermutlich kein Fußball zeigen können."

Claus Ferber von Ferber's im Klinger-Stadl an der Donauwörther Straße in Aichach sagt, er habe sich bisher noch keine großen Gedanken über die WM gemacht. Das Interesse an dem Spektakel, findet Ferber, liege in diesem Jahr aber ohnehin bei 0,0 Prozent. "Eventuell, wenn Deutschland spielt, kann ich mir vorstellen, den Fernseher stumm laufen zu lassen", sagt der Aichacher. Und wenn eine Mehrheit auf eine Fußball-Übertragung bestehe, werde er vielleicht auch den Ton dazuschalten – "ansonsten nicht". Aktiv bewerben will er die WM definitiv nicht. "Ich werde sicher nicht auf WM-Held machen", so Ferber. Dazu sei das ganze Drumherum einfach zu schwierig.

Hubert Ruisinger betreibt die Lips Club-Bar-Lounge in Pöttmes. Er findet: "An der WM 2022 passt überhaupt nichts: Nicht die Jahreszeit, nicht die Zeiten der Spiele und überhaupt." Er selbst und niemand aus seinem Umfeld fiebere dem Ereignis entgegen, "die Begeisterung ist gleich null". Obwohl er bei früheren Turnieren die Spiele im Biergarten übertragen habe – mit großem Zuspruch, wie er betont, werde er heuer auf eine Übertragung verzichten. Das wäre nur rausgeschmissenes Geld, meint Ruisinger.

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