Zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft ist gestern ein 33-jähriger Seminarleiter eines Versicherungsunternehmens verurteilt worden. Während einer Schulung in Bobingen im Juli 2017 hatte der Familienvater eine 26-jährige Teilnehmerin vergewaltigt. Während das Opfer vor Gericht schilderte, wie der Mann sie in einem Bobinger Hotelzimmer gegen ihren Willen festhielt und sexuelle Handlungen an ihr verübte, behauptete der Angeklagte, alles, was zwischen ihnen passiert sei, sei einvernehmlich geschehen. Richter Baptist Michale und die beiden Schöffen des Amtsgerichts hielten am Ende die Aussage der 26-Jährigen für glaubwürdiger.
An jenem Abend im vergangenen Juli war die junge Frau nach dem Schulungstag gemeinsam mit anderen Seminarteilnehmern und dem Referenten in eine Bobinger Bar gegangen. Man hatte dem Alkohol ausgiebig zugesprochen, bis schließlich gegen Morgen nur noch die 26-Jährige, der Angeklagte und ein weiterer Kollege anwesend gewesen waren. Da dieser sehr betrunken war, habe man ihn gemeinsam in sein Hotelzimmer begleitet. Bis zu diesem Punkt stimmen die Geschichten von Opfer und Täter überein.
Wie die 26-Jährige dem Gericht bereits am ersten Verhandlungstag geschildert hatte, sei sie anschließend in ihr eigenes Zimmer gegangen. Weil der Angeklagte noch ein Glas Wasser wollte, habe sie ihn kurz hereingebeten. Dort habe der 33-Jährige begonnen, sie zu massieren. Obwohl sie sagte, dass sie das nicht wolle, habe er nicht aufgehört, sie festgehalten und zuerst an den Brüsten, dann im Intimbereich berührt und schließlich seine Finger in sie eingeführt.
Der Angeklagte hingegen erläuterte in seiner Aussage und auch noch in seinem letzten Wort, er habe zu keinem Zeitpunkt gedacht, dass er gegen den Willen der 26-Jährigen gehandelt habe. „Sie hat nie deutlich gemacht, dass es für sie nicht im Einvernehmen war. Das ist für mich nicht klar geworden”, sagte er. Es sei vielmehr ein „gegenseitiges Befummeln” gewesen. Dass er die Frau mit seinen Fingern penetriert hatte, stritt er komplett ab. Für das Strafmaß war dieser Punkt entscheidend, da sich darauf der Vergewaltigungsverdacht begründete.
An insgesamt drei Verhandlungstagen rief das Gericht zahlreiche Zeugen auf, um die Glaubwürdigkeit der beiden Geschichten beurteilen zu können. Mehrere Polizisten beschrieben ausnahmslos das Verhalten der 26-Jährigen als „authentisch” und „glaubwürdig”. Der Angeklagte hingegen sei vor allem dadurch aufgefallen, dass er zunächst abgestritten hatte, dass es überhaupt zu sexuellem Kontakt gekommen sei. Schließlich habe er mehrfach versucht, seine Hände und Fingernägel zu reinigen, nachdem die Beamten ihn mit dem Vergewaltigungsvorwurf konfrontiert hatten. Ein Gutachter erklärte zudem, dass man im BH und Slip des Opfers DNA-Spuren des Angeklagten gefunden habe. Ein Seminarteilnehmer, zu dem sich die 26-Jährige nach dem Übergriff geflüchtet und der sie zur Polizei begleitet hatte, schilderte schließlich gestern ausführlich, wie sich die Geschädigte ihm unter Tränen anvertraut habe.
Die wenigen Zeugen, die zugunsten des Angeklagten aussagten, sollten eher - wie es der Richter auch in seiner Urteilsbegründung formulierte - „ein schlechtes Licht auf die Geschädigte werfen”. So wurde etwa extra ein Seminarleiter aus München vor das Amtsgericht zitiert, um zu berichten, wie er die 26-Jährige während eines anderen Seminars im November dabei beobachtet habe, wie sie trotz Verbots Alkohol trank. „Das hat mit dem Vorfall nun wirklich nichts zu tun”, urteilte Michale.
Das Gericht müsse in Fällen wie diesem danach urteilen, welche Seite glaubwürdiger sei, sagte der Richter. „Und wir glauben der Geschädigten zu einhundert Prozent.” Sie habe sich in keinerlei Widersprüche verstrickt, wie die Verteidigung in ihrem Abschlussplädoyer Glauben machen wollte. Die zahlreichen Zeugenaussagen hätten ihre Version der Geschichte bestätigt. Besonders die Beschreibung der Polizisten, wie der Angeklagte versucht habe, durch Händewaschen Spuren zu vernichten, habe ihn weiter belastet. „Da muss man sich schon fragen: Macht das ein Unschuldiger? Wir glauben das nicht”, sagte Michale nachdrücklich.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Strafe von zwei Jahren und acht Monaten sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 10 000 Euro gefordert, die Verteidigung plädierte auf Freispruch. Das Gericht setzte in seinem Urteil eine Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten sowie ein Schmerzensgeld über 8000 Euro fest. (von Kristin Deibl)