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Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung

„Und dann war die Hölle los”: Wie mein Opa die Bombardierung Augsburgs 1944 erlebte

Mein Opa war 15 Jahre alt, als Augsburg im Februar 1944 zum Ziel verheerender Bombenangriffe wurde. Als Flakhelfer war er auf dem Gelände der Messerschmitt-Werke eingesetzt. Diese wurden am Nachmittag des 25. Februar 1944 von US-Flugzeugen angegriffen, die Spreng- und Brandbomben über dem Rüstungsbetrieb abwarfen. In der darauffolgenden Nacht folgte das britische Bomberkommando, das die Augsburger Altstadt in ein Flammenmeer verwandelte. Heute blickt mein Opa zurück und erzählt mir, warum dieser Tag für ihn auch „ein zweiter Geburtstag” war.
Er und seine Kameraden seien an jenem kalten Februartag auf der Plattform des Flakturms versammelt gewesen, als es am frühen Nachmittag Fliegeralarm gab, erzählt mein Opa. „Wir waren mindestens zu siebt”, sagt er nach kurzem Überlegen. Ganz genau könne er das nicht mehr sagen. „Manches krankt an der Erinnerung.” Kein Wunder, jährt sich der Tag, an dem Teile der Fuggerstadt komplett zerstört wurden, heuer doch bereits zum 75. Mal. Kalendereintragungen, ein Tagebuch und ein Fotoalbum helfen dem Gedächtnis auf die Sprünge.

„Von Osten her kam Motorenlärm”, berichtet mein Opa weiter. „Dann kamen die ersten Pulks von viermotorigen Bombern in Sicht. Man hätte uns eigentlich in Deckung schicken sollen. Mit unseren Kanönchen konnten wir da gar nichts ausrichten.” Das sei aber nicht passiert. „Der Geschützführer stand mit dem Fernglas da und sah diese Pulks kommen. Ein anderer Kamerad sagte: ,Herr Obergefreiter, lassen Sie mich auch mal sehen.' Als Antwort schrie der Geschützführer: ,Volle Deckung'. Dann fing es an zu rauschen, immer stärker, immer stärker. Und dann war die Hölle los.”

Dann seien die Sprengbomben eingeschlagen. Der Bombenteppich sei über das gesamte Gelände gegangen. Der Flakturm, auf dem sich mein Opa befand, wurde selbst nicht getroffen. Jedoch schlugen unmittelbar rechts und links des Turms zwei Bomben ein. „Ich bin heute überzeugt, wäre es nur eine gewesen, wär der Turm umgefallen. Aber weil beide gleichzeitig einschlugen, ist er stehengeblieben. Ich sag immer, das ist mein zweiter Geburtstag.”

Er und seine Kameraden seien auf der Plattform gelegen, während die Bomben fielen. „Ein endlos erscheinender Hagel aus Steinen und Erde ging auf uns nieder”, schildert mein Opa. Sobald es möglich gewesen sei, hätten sie die Plattform verlassen und sich unten in einem der Bombentrichter gesammelt. Seine Kollegen seien vom Messerschmitt-Gelände geflohen, über ein daneben liegendes Feld.

Das Gelände der Messerschmitt AG und das umliegende Gebiet wurden an jenem Tag von 199 US-Flugzeugen angegriffen, die insgesamt 370 Tonnen Sprengbomben und 134 Tonnen Brandbomben abwarfen. Viele Beschäftigte des Werks suchten im nahe gelegenen Siebentischwald Schutz. Doch auch dort waren die Menschen nicht sicher vor den Angriffen. Unter anderem kamen dort 58 KZ-Häftlinge, die bei Messerschmitt Zwangsarbeit leisteten, ums Leben. Eine Bombe war direkt in dem Graben gelandet, in dem sie Deckung gesucht hatten. In der nahen Volkssiedlung starben weitere 60 Menschen. Sie wurden von Bomben zerfetzt, von Trümmern erschlagen oder verschüttet.

Dieses Schicksal sollten in der darauffolgenden Nacht noch 730 weitere Augsburger erleiden. So viele Menschen starben in der Fuggerstadt, als diese vom 25. auf den 26. Februar von britischen Flugzeugen bombardiert wurde. Rund 1300 weitere wurden verletzt, mindestens 80 000 Menschen verloren ihr Zuhause.

Mein Opa und seine Kameraden befanden sich auf dem Messerschmitt-Gelände, als es um kurz vor 22 Uhr erneut Fliegeralarm gab. „Als nachts der Angriff auf Augsburg losging, wurden wir in Schutzunterstände auf dem Flugplatzgelände geschickt”, erzählt er. „Wir haben von dort aus gehört, wie Augsburg zerbombt wurde.” Ob Familie und Freunde die nächtlichen Angriffe überlebt hatten, erfuhren mein Opa und seine Kollegen erst am nächsten Tag. „Dann durften wir nach Hause und schauen, was los ist.” Das Haus seiner Familie in der Baumgartnerstraße hatte die Bombardierung unbeschadet überstanden. Während eines späteren Angriffs im selben Jahr wurde das Grundstück getroffen, das Wohnhaus selbst steht aber bis heute.

Mein Opa ist nun 90 Jahre alt. Diesen runden Geburtstag hat er im Oktober groß mit der Familie gefeiert. Heute nun jährt sich sein zweiter Geburtstag zum 75. Mal. Es ist kein Tag zum Feiern, aber es ist ein Tag, um zu gedenken, um sich zu erinnern und um diese Erinnerungen mit nachfolgenden Generationen zu teilen. 


Von Kristin Deibl
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