Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 11.10.2022 15:27

Risiken und Nebenwirkungen

"Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihre Gemeindeverwaltung und ihren Steuerberater." So oder so ähnlich könnte man derzeit einen allseits bekannten Slogan aus der Arzneimittelbranche abwandeln. Zumindest wenn es um die neue Grundsteuer geht. Der Countdown zur Abgabe der notwendigen Daten bis Ende Oktober läuft, die Verwirrung bei vielen Haus- und Grundbesitzern ist entsprechend groß. Und nicht nur sie könnten Beruhigungspillen beim Ausfüllen der Formulare brauchen. Auch in den Gemeindeverwaltungen sorgt der eigentlich als "einfach, unbürokratisch und transparent" deklarierte Verwaltungsakt für angeschlagene Nervenkostüme. Dort schlagen Hilfesuchende auf, oder kritisieren bereits vermeintlich gestiegene Grundsteuern. Unnötige, wenngleich menschliche Nebenwirkungen einer Reform, die eigentlich erst 2025 greifen soll.

Über Sinn und Unsinn neuer Bewertungsgrundlagen für die Grundsteuern wurde viel gestritten, seit das Bundesverfassungsgericht das aktuelle Besteuerungssystem von Grundstücken und Gebäuden 2018 für verfassungswidrig erklärt hat. Die alten Einheitswerte sollen deshalb Ende 2024 der Vergangenheit angehören und durch neue Messbescheide ersetzt werden. Bayern hat sich für eine wertunabhängige Vorgehensweise entschieden. Will heißen: Der jeweilige Bodenrichtwert beziehungsweise Grundstückspreis spielt keine Rolle, es geht ausschließlich um die physischen Größen, also die Fläche von Grund und Boden sowie die eigentliche Wohnfläche. So weit, so gut. Was sich einfach anhört, hat freilich seine Tücken. Weil man etwa Probleme damit hat, das Beamtendeutsch der Formulare richtig zu übersetzen, oder sich am PC im Elster-Steuerportal online verirrt hat.

Womit wir beim ersten Irrtum angelangt wären: Den Grundsteuermessbescheid erstellt das Finanzamt, nicht die Kommune. Dort Hilfe zu bekommen, ist also so gesehen eine freiwillige Serviceleistung. Die grundsätzlich im Rahmen der Möglichkeiten auch geleistet werde, wie Rita März von der Finanzverwaltung der Stadt Aichach betont. Zuletzt wurde das Team im Rathaus allerdings regelrecht überrollt. Nicht nur überforderte Antragsteller stehen mit den meist nur spärlich ausgefüllten Formularen vor der Tür, auch bereits vom Finanzamt zugestellte neue Grundsteuermessbescheide landen auf dem Tisch von Rita März. Ganz offensichtlich arbeitet das digitale Elster-Portal ihr Programm zügig ab. Und nun wollen die Empfänger umgehend wissen, wie hoch ihre Grundsteuer künftig sein wird, oder sie haben sogar bereits selbst auf Basis der aktuellen Hebesätze zu rechnen begonnen und sind ob vermeintlicher explosionsartiger Steigerungen verärgert. Damit nicht genug: Ein Teil der Hausbesitzer hat – ganz offensichtlich auf Empfehlung von Steuerfachleuten – bereits Widerspruch gegen den Bescheid eingelegt. Prophylaktisch quasi, um ja keinen Fehler zu begehen.

"Wir kommen nicht mehr zum Tagesgeschäft", sagt Rita März zum unerhofften Beratungsbedarf. Auch wenn sie wollte, sie kann den Bürgern den künftigen Hebesatz schlicht und ergreifend noch nicht nennen. Aus einem einfachen Grund: "Wir kennen ihn einfach nicht", so März. Der Stadtrat wird ihn erst im vierten Quartal 2024 festlegen. Erst ab 2025 gilt das neue Grundsteuergesetz.

Das Prozedere ist eigentlich bekannt: Nach momentanem Stand müssen die Grund- und Hausbesitzer ihre Grundsteuererklärung bis zum 31. Oktober eingereicht haben. An einer Fristverlängerung dürfte allerdings kein Weg vorbeiführen, zumal bis jetzt noch viele zu wenige Erklärungen abgeschickt wurden. Schätzungen gehen von einem Viertel bis zum einem Drittel der Grundeigentümer aus. Der Rest befindet sich in Habachtstellung. Bis 2024 sollen die Finanzämter alle Messbescheide erlassen haben. In Bayern werden dafür wertunabhängige Äquivalenzzahlen herangezogen. Diese betragen für die Grundstücksfläche vier Cent pro Quadratmeter und für Gebäudeflächen 50 Cent pro Quadratmeter. Für Wohnflächen wird ein Abschlag von 30 Prozent gewährt, so dass hier effektiv nur 0,35 Euro pro Quadratmeter angesetzt werden. Auf die so ermittelte Bemessungsgrundlage wenden die Gemeinden dann ihren jeweiligen Hebesatz an. Wohlgemerkt: ab 2025! Die Kommunen wurden angehalten, die Sätze so zu justieren, dass die generierten Einnahmen in etwa gleich bleiben.

Dass es Gewinner und Verlierer geben wird, steht dennoch fest. Kritiker des bayerischen Systems sprechen längst von großer Ungerechtigkeit. Angesichts des Verzichts auf werteabhängige Faktoren wie die Bodenrichtwerte zahlt der Besitzer der Villa in Schwabing genauso viel Steuer wie der Eigentümer eines sanierungsbedürftigen Einfamilienhauses am Stadtrand. Auf mögliche höhere Hebesätze für unbebaute, baureife Grundstücke – Stichwort: Grundsteuer C – hat Bayern ebenfalls verzichtet. Ob das Gesetz 2025 tatsächlich ohne Klagen und Veränderungen in Kraft gesetzt werden kann, wird sich deshalb wohl erst zeigen. So gesehen würde ein Widerspruch gegen den jetzt eintrudelnden Grundsteuermessbescheid rein verfahrensrechtlich gesehen tatsächlich Sinn machen. Denn: Bei diesem Papier handelt es sich um einen sogenannten Grundlagenbescheid, der nach Ablauf einer vierwöchigen Frist Rechtskraft erlangt. Punkt. Spätere Klagen etwa nach der Erlass des Steuerbescheids der Stadt wären dann zumindest schwieriger beziehungsweise wären auf Formfehler der Kommune beschränkt. Andererseits bringt ein Einspruch ohne Begründung kaum Zeitgewinn. Zumindest nicht bis Ende 2024, wenn die Stadt die Hebesätze festzurrt. So oder so gilt natürlich auch für diesen Fall: Einspruch einlegen könnte man nur beim Finanzamt, nicht bei der Kommune!

Rita März rät den Bürgern, in jedem Fall den Grundsteuermessbescheid genau zu prüfen. Stimmen die dort genannten Quadratmeterzahlen für die Wohnfläche oder das Grundstück nicht mit den eingereichten Daten überein, sei ein Einspruch natürlich wichtig – gerade weil es sich um einen Grundlagenbescheid handelt. Stimmen die Daten aber, so sieht die Expertin der städtischen Finanzverwaltung kaum Sinn in einem Einspruch – ohne faktische Begründung. Dann sei die "Angriffsfläche" jedenfalls gering, wie auch ein Steuerberater auf Nachfrage bestätigt, der namentlich aber nicht genannt werden will. Er habe so schon viel Arbeit mit dem Thema Grundsteuer.

Rita März kann jede Entlastung bei der Beratung gebrauchen. Sie muss sich selbst sputen. Schließlich ist auch eine Stadt wie Aichach Haus- und Grundbesitzer, muss also ebenfalls Grundsteuererklärungen abgeben. Im Falle der Paarstadt sind es rund 3000 Stück. In Worten: Dreitausend! Da dürfte es CSU-Landtagsabgeordneter Peter Tomaschko dann doch etwas einfacher haben. Der ist nach wie vor vom "einfachen, unbürokratischen und transparenten bayerischen Weg" überzeugt. Er will seine Grundsteuererklärung deshalb wie viele andere Bürger selbst abwickeln. Noch gehört er aber zum Heer der Haus- und Grundbesitzer, die den Kampf mit dem Formular vor sich haben.

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