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Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung

„Familie üben” in Reitenbuch: Wie das Josefsheim jungen Menschen und ihren Eltern hilft

Carmen Fink und Norbert Haban leiten das Josefsheim in Reitenbuch. (Foto: Markus Höck)
Carmen Fink und Norbert Haban leiten das Josefsheim in Reitenbuch. (Foto: Markus Höck)
Carmen Fink und Norbert Haban leiten das Josefsheim in Reitenbuch. (Foto: Markus Höck)
Carmen Fink und Norbert Haban leiten das Josefsheim in Reitenbuch. (Foto: Markus Höck)
Carmen Fink und Norbert Haban leiten das Josefsheim in Reitenbuch. (Foto: Markus Höck)

40 Kinder und Jugendliche, 40 Einzelschicksale. Allen gemein ist: Sie können nicht mehr in ihren Familien bleiben, aus verschiedenen Gründen. Aufnahme finden sie im Josefsheim in Reitenbuch im westlichen Landkreis Augsburg. Hier finden sie auch Begleiter auf dem Weg zurück in die Familie oder in ein eigenständiges Leben.

Norbert Haban und seine Stellvertreterin Carmen Fink leiten das Josefsheim. Die Einrichtung ist jüngst in die Schlagzeilen geraten aufgrund von Misshandlungen und Missbrauchsfällen, die sich dort zugetragen haben – vor 1980. Heute ist Reitenbuch ein anderer Ort. Statt 150 Kindern sind es noch rund 40. In den Wohngruppen kommen auf zehn Kinder fünf Fachkräfte, die auch ein anderes Selbstverständnis haben als ihre Vorgänger vor 40 Jahren.

Wohngruppen in Reitenbuch sind „gut organisierte Großfamilien”

Haban beschreibt die Wohngruppen als „gut organisierte Großfamilien”. Drei davon gibt es in Reitenbuch selbst, eine weitere in Augsburg. Ins Josefsheim kommen die Kinder und Jugendlichen aufgrund sehr verschiedener Problemlagen im eigentlichen Zuhause: „Krankheiten, Suchtproblematik, psychische Probleme, Überlastung, hoch-zerstrittene Eltern”, zählt Haban auf. Die Kinder wiederum reagieren mit Versagensängsten, Schulverweigerung, Weglaufen, Rückzug, Aggressionen bis hin zur Straffälligkeit und im Josefsheim treffen sie aufeinander. „Da ist der 16-Jährige, der immer schon um 18 Uhr zuhause sein muss und aus den strengen Regeln ausbrechen will”, beschreibt Haban. Und dann sei da einer, der bislang gar keine Regeln kenne, bis 5 Uhr morgens fernsehen darf, egal was läuft. Die hohe Kunst für das Team in Reitenbuch ist nun, diese individuellen Bedürfnisse an Aufmerksamkeit, an Betreuung unter einen Hut zu bringen. Dabei hilft ihnen das umfangreiche Angebot im Josefsheim: Disco, Werkraum, Turnhalle, ein eigenes Kino und weil wegen Corona das Freibad in Fischach geschlossen hatte, wurde ein großer Pool angeschafft.

Tiere und Gemüseacker: Therapieprogramm im Josefsheim

„Seit Kurzem haben wir wieder ein paar Tiere”, sagt Norbert Haban. Esel, Ziegen, Hasen – ein paar Schafe sollen noch dazukommen. Einen Gemüseacker gibt es auch. „Es ist wichtig für die Kinder, dass sie in der Tierversorgung lernen, Verantwortung zu übernehmen”, sagt Haban. Und sie sollen wissen, dass Kartoffeln nicht auf Bäumen wachsen. Früher war die Landwirtschaft für das Heim überlebenswichtig, heute gehört sie zum Therapieprogramm. Gerade die Tiere seien für die Bewohner manchmal der perfekte Rückzugsort, falls eben doch mal ein Streit eskaliert – wie es in jeder Familie eben vorkommt.

Fähigkeiten mit auf den Weg geben

„Familie üben”, das meinen Fink und Haban nämlich ganz wörtlich. Zum einen freilich das Zusammenleben in der Wohngruppe, wo etwa das gemeinsame Abendessen um 18 Uhr einen absoluten Fixpunkt im Alltag bietet und jeder auch seine Aufgaben hat. Da räumt dann auch mal die Dreijährige die Spülmaschine aus – „aber das klappt”, versichert Familientherapeutin Fink. Wichtig ist ihr, dass sie den Kindern und Jugendlichen auch Fähigkeiten mit auf den Weg geben: Kochen, Wäsche waschen, handwerkliches Wissen, das alles können sie aus dem Josefsheim mitnehmen – entweder in die eigene Familie mit hinein oder in ein eigenständiges Leben. Denn: „Unser oberstes Ziel ist es, dass die Kinder wieder nach Hause können”, stellt Carmen Fink fest. Dabei hilft, dass auch die Eltern im Josefsheim übernachten können und die Möglichkeit haben, Familie zu üben. Haban berichtet, dass hier manche Väter und Mütter Scheu haben und sich beobachtet fühlen. Aber genau andersherum sei es gedacht: „Es geht darum, dass die Eltern beobachten, was wir hier vielleicht anders machen.”

„Dann weiß ich, wir machen vieles richtig”

Im Schnitt bleiben Kinder mehrere Jahre ihres Lebens in Reitenbuch, bevor sie wieder zurück in ihre Familien gehen. Aber wie die Gründe für den Aufenthalt, sei auch dessen Dauer absolut individuell. Gemeinsam mit dem Jungendamt werden die Maßnahmen auf ihre Notwendigkeit geprüft und entschieden, ob ein Kind eventuell das Josefsheim wieder verlässt. Die finanzielle Komponente – pro Kind und Tag entstehen 180 Euro an Kosten – sei natürlich vorhanden, räumt Haban ein, aber er und seine Stellvertreterin sind sich einig: „Zuerst kommt der Mensch, dann das Geld.” Vieles sei auch nur aufgrund von Spenden möglich, etwa wenn der Fachdienst Erlebnispädagogik mit den Kindern im Kanu die Zusam erkundet. Auch das dient dazu, „die Fähigkeiten und Ressourcen der Kinder zu fördern und zu stärken”, wie Norbert Haban erklärt. Und wenn dann die Mutter eines Kindes, das vor zehn Jahren in Reitenbuch war, anruft und stolz vom bestandenen Abschluss oder der eingeschlagenen Berufslaufbahn erzählt, „das ist einfach was Schönes”, erzählt Carmen Fink. „Dann weiß ich, wir machen vieles richtig.”


Markus Höck
Markus Höck

Redakteur Augsburg-Redaktion

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