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Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung

„Ein Theater ohne Zuschauer”: Vier bedeutende Theatergruppen kommen zu Augsburger Brechtfestival

Das Brechtfestival 2019 rückt näher. Während sich zahlreiche Augsburger Künstler vorbereiten, zieht das Thema Bertolt Brecht auch weitere Kreise. Denn vier der erfolgreichsten Regie-Kollektive des deutschsprachigen Raums besuchen zwischen dem 22. Februar und 3. März die Fuggerstadt. Erst vor kurzem wurde sogar bekannt, dass zwei der Gastspiele als Teil der „zehn bemerkenswerten Inszenierungen” auch am diesjährigen Theatertreffen der Berliner Festspiele teilnehmen dürfen.
Schon bei Brechts Stücken sollten Zuschauer zum Nachdenken angeregt werden, die Inszenierung mit emotionalem Abstand betrachten und hinterfragen. Diesen Ansatz führt zeitgenössisches Performance-Theater weiter. Es bindet die Zuschauer mit ein und arbeitet mit neuen Erzählformen. Die vier eingeladenen Gruppen bringen Produktionen mit, die, so die Veranstalter, „Brechts Theatertheorie und seine Ästhetik fortführen”.

Ein beeindruckendes Beispiel dürfte „Antigone:: Comeback” des Kollektivs „Raum+Zeit” werden. In ihren Installationen bewegt sich der Zuschauer durch fiktive Bühnenräume oder reale Gebäude. Er wird damit, so die Gruppe, „an eine Grenze geführt, an der es fraglich wird, ob er nur Beobachter oder schon Teil der Inszenierung ist”. In „Antigone:: Comeback” gehen einzelne Zuschauer auf Zeitreise und erleben, ausgestattet mit einer VR-Brille, eine Probe von 1948 mit Bertolt Brecht und seiner Frau, der Schauspielerin Helene Weigel. Unter den Konflikt des geprobten Stückes schiebt sich der Kampf zwischen Brecht und Weigel. Die Einzeltermine starten alle zwölf Minuten vom 24. bis 27. Februar zwischen 17.36 und 21.48 Uhr. Wenige Tickets sind noch erhältlich.

Die Produktion „Böse Häuser” des Kollektivs „Turbo Pascal” aus Berlin beschäftigt sich am 24. und 25. Februar mit einer aktuellen Frage: Wie geht das Publikum mit denen um, die anders denken? Welchen Gedankengängen kann es folgen, wo geht es in den Widerstand? Dabei geht es in dem Stück weniger um die Spaltung der Gesellschaft, als um die Spaltung im eigenen Denken: Sind dem Besucher bestimmte politische oder philosophische Glaubenssätze vielleicht gar nicht so fremd, wie er glaubt?

Die Zuschauer bekommen per Kopfhörer Gedanken-Anordnungen zu hören. „Versuche, in den anderen um dich herum Ungläubige zu sehen”, könnten diese zum Beispiel lauten. Als „Experimente im Um- und Andersdenken” bezeichnet das Turbo Pascal. „Wir hatten noch nie so extrem auseinander gehende Reaktionen auf eine unserer Arbeiten”, erzählt Kollektiv-Mitglied Frank Oberhäußer. „Also eine Bandbreite von großer Begeisterung bis zu starker Ablehnung.” Das habe sicher damit zu tun, dass der Abend die Besucher auf ihr eigenes Denken blicken lässt - und gleichzeitig die eigene gedankliche Verführbarkeit spürbar mache.

Für weniger experimentierfreudige Zuschauer bietet das in Frankfurt gegründete Kollektiv „andcompany&Co” am 27. und 28. Februar mit „Colonia Digital: The Empire Feeds Back!” eine Frontalaufführung. An einem dystopischen Ort nach dem Datencrash suchen drei Männer nach einer Antwort auf die Frage, wie aus der sozialistischen Utopie einer Kommunikation, die gleichwertige Individuen vereint, das Gegenteil werden konnte. Wer sich einloggt, hinterlässt Spuren und erhält maßgeschneiderte Angebote, die sorgen für Konsum, Konsum schafft Wachstum. Doch wer hat am Ende noch die Kontrolle? Das Stück nimmt auch die Anfänge des Internets unter die Lupe.

Das Performancekollektiv „She She Pop” gehört zu den Aushängeschildern des experimentellen Theaters. 2019 erhält es den Theaterpreis Berlin für seine „besonderen Verdienste um das deutschsprachige Theater” und nimmt am Theatertreffen teil. Beim Brechtfestival am 2. und 3. März zeigt die Gruppe „Oratorium - Kollektive Andacht zu einem wohlgehüteten Geheimnis”. Die These: Nichts bestimmt und trennt die Gesellschaft mehr als das Eigentum. Das Publikum betrachtet seine eigenen Besitzverhältnisse und wird zu einem uneinigen Sprechchor. Wer darf sprechen, wer wird repräsentiert? Die Produktion passt perfekt zum Brechtfestival, denn sie ist inspiriert von Brechts Lehrstücktheorie.
 
She She Pop hat seit 1998 eine lange Geschichte der Zuschauerpartizipation, erzählt Schauspielerin Ilia Papatheodorou. „Doch die Beschäftigung mit den Lehrstücken gab uns erneut Anlass, über ein Theater ohne Zuschauer nachzudenken”. Im Zentrum von Oratorium stehe die Selbstbefragung der zufällig versammelten Gemeinschaft. Die Zuschauer müssten bereit sein, als Beispiel zu fungieren und bestimmte Haltungen laut auszusprechen. Dabei versucht das Kollektiv bei jeder Aufführung, die jeweilige Gemeinschaft anzusprechen. „Vieles versuchen wir vorauszuahnen”, erzählt die Schauspielerin. „Jede und jeder soll sich wiederfinden.” Manchmal komme es aber doch zu Überraschungen. Nicht erwartet habe das Kollektiv zum Beispiel, wie wenige Menschen sich in Santiago de Chile zur Gruppe „Katholik” bekennen wollten. „Überraschend war auch, wie groß der Chor der ,gutsituierten Rentner' in Hannover tatsächlich war”, erinnert sich Papatheodorou. Weniger überraschend, doch immer wieder schockierend sei dagegen, dass die „schlechtsituierten Rentner” im Theater kaum oder gar nicht anwesend seien.

Auch eine zweite Aufführung, die für das Brechtfestival nach Augsburg kommt, ist 2019 eine der „zehn bemerkenswerten Inszenierungen” beim Theatertreffen Berlin: Am 3. März ist Thorsten Lensings Interpretation des Buches „Unendlicher Spaß” von David Foster Wallace im Martini-Park zu sehen. Weitere Informationen und Tickets zum Brechtfestival unter www.brechtfestival.de.

Außerdem stellt Festival-Leiter Patrick Wengenroth am 15. Februar, 20 Uhr, in Brechts Bistro Interessierten das Programm vor.


Von Laura Türk
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