Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 30.08.2015 14:00

Der Esel und ich

So geht&#39;s: Barbara Birle erklärt, wie sie das Halfter anlegt.<br>Foto: Höck (Foto: Höck)
So geht's: Barbara Birle erklärt, wie sie das Halfter anlegt.
Foto: Höck (Foto: Höck)
So geht's: Barbara Birle erklärt, wie sie das Halfter anlegt.
Foto: Höck (Foto: Höck)
So geht's: Barbara Birle erklärt, wie sie das Halfter anlegt.
Foto: Höck (Foto: Höck)
So geht's: Barbara Birle erklärt, wie sie das Halfter anlegt.
Foto: Höck (Foto: Höck)

Kinder haben ihren eigenen Kopf. Doch sind Geduld und guter Wille am Ende, hilft es, in die Eselswelt einzutauchen, findet Barbara Birle von der „Eselalpe” in Mittelneufnach.

Samstag, 9.30 Uhr: Statt in Ruhe meinen Kaffee zu trinken, stehe ich vor einem Gartenhäuschen in Mittelneufnach. Mein Plan: einen „Eselgestützten Elternkurs” absolvieren. Der soll meine Führungstalente als Mutter stärken. Im Halbschatten der „Eselalpe”, gleich neben Heidschnucken, Hühnern, Ziegen und den Hauptdarstellern, den zwei Eseln, mache ich Bekanntschaft mit einem Ehepaar aus Augsburg. Drei weitere Mütter gesellen sich zu uns und alles setzt sich an den großen Holztisch.

Jeder von ihnen kennt das Problem: Es ist kurz vor knapp und die vierjährige Tochter weigert sich, die Hose anzuziehen, da sie lieber im Sommerkleid gehen möchte. Sie benimmt sich wie ein sturer Esel. Warum? Eine Antwort gibt Barbara Birle, Erzieherin und sogenannte SAFE-Mentorin (Sichere Ausbildung für Eltern Mentorin). Sie hat eine logotherapeutische Ausbildung absolviert, ebenso die Eselschule Elke Willems in Köln. „Ein störrisches Kind ist eine Frage”, erklärt sie uns. Genau wie Esel. Diese fragen alle drei Sekunden nach einem Plan, nach der Führung - und tun eben nichts, wenn sie irritiert sind.

Die Reise in die Eselswelt beginnt: Ich erfahre, dass der Esel, das Fluchttier, in großer Not zunächst kämpft, dann flüchtet und sich tot stellt. Not heißt hier, außerhalb der Komfortzone sein. Ich lerne, dass ich innerhalb „kleiner” Beziehungen nur „kleine” Aufgaben fordern kann, dass Kinder und Esel im Hier und Jetzt leben, weshalb sie sich stets rückversichern müssen, dass Esel und Kinder 100 Prozent Präsenz fordern. Kurz: „Ein Esel macht nur das, was für ihn Sinn ergibt. Wenn das Vertrauen, die Beziehung da sind, dann geht er mit”, sagt Birle.

Zu den Eseln kommt Barbara Birle 2010. Obwohl sie mit drei Kindern ausgelastet ist, wünscht sie sich eine weitere Aufgabe. Die Interessengemeinschaft der Esel- und Mulifreunde (IGEM) vermittelt Birle zwei Tiere und kurz darauf ziehen die Esel Peppita und Guiseppe auf den Hof. Erst dann habe sie die Eselschule besucht, erinnert sich Birle. Noch heute arbeitet sie mit der St. Gregor Jugendhilfe zusammen, bietet für Eltern und deren Kinder Eselkurse an. Der Kurs an diesem Tag ist der erste offene.

Endlich dürfen wir Kontakt mit den Eseln aufnehmen. Doch im Stall frage ich mich: Wie lerne ich einen Esel kennen? Peppita und der zottelige Guiseppe (17 und 13 Jahre alt) lassen sich von uns kein bisschen beeindrucken. Eine Mutter traut sich, geht in die Hocke, auf Augenhöhe zum Esel. Die anderen, ich auch, bleiben, wo sie sind. Das ist der Eseldame zu blöd. Sie trabt vorwärts, begrüßt einen nach dem anderen. Sogar zu mir kommt sie. Sie stupst mich, schubst mich, dass ich genötigt bin, den Platz zu wechseln.

Birle nennt die Aufgabe: Wir sollen den Esel bewegen, zum Beispiel aus dem Stall. Die Richtung können wir beeinflussen, erklärt die Erzieherin. Schaue ich einen Esel direkt an, wirke das wie eine Bremse. Besser sei es, in die Richtung zu sehen, in die es gehen soll. Um die eigene Zone zu verteidigen, sollen wir mit der Hand hin und her wedeln, was dem Schwanzwedeln des Esels gleichkommt und „Geh weg”, „Mach Platz” bedeutet. Was immer gut ankommt, ist Freundlichkeit, ausgedrückt in rhythmischem Streicheln.

Am Anfang steht die Idee. Nur so bringe ich den Esel dazu, etwas zu tun, zum Beispiel mit mir bis zum Ende der Koppel zu gehen. Gut. Ich entscheide mich für das Eselmännchen - Peppita scheint mir zu forsch, schließlich habe ich gehört, dass sie ihren Mann bei der Morgentoilette, beim Bürsten und Hufe Putzen, nicht duldet.

Ich stelle mir das Ziel vor, den Zaun, male mir aus, wie ich mit Guiseppe voran marschiere.

In der Realität interessiert sich Guiseppe nicht für mich. Zu lecker ist das Gras, das spärlich zu seinen Hufen wächst. Kein Gedanke, kein Rufen, Schnalzen oder Tätscheln kann ihn dazu bringen, den Weg einzuschlagen, den ich vorgesehen habe. Ich versuche es mit Schmeicheleien, Streicheleien, mit verständigen Worten. Eine Teilnehmerin erbarmt sich meiner und tritt dazu. Zusammen schaffen wir es, Guiseppe auf die Spur zu bringen, zumindest bis zum Sonnenschirm.

Laut Birle ist der Esel das Auto unter den Tieren. Das Lenkrad sitzt zwischen den Schulterblättern, das Gaspedal über dem Schwanz. Also drückt meine Retterin konsequent hinten drauf. Es geht vorwärts. Endlich. Guiseppe büxt aus, will nach links. „Du musst mit der Hand wedeln”, ruft Birle. So könne ich den Esel lenken. Und tatsächlich. Der Esel mag es nicht, wenn ich vor seiner Nase mit dem Arm winke und er weicht aus, zum Ziel. Wir hinken weiter, Schritt für Schritt. Als wir das Ende der Koppel erreichen, streicheln wir den Esel, loben ihn. Zu zweit ist der Rückweg ein Kinderspiel. Ich bin zufrieden. Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt.

Für die weiteren Übungen müssen wir den Tieren ein Halfter anlegen. Birle zeigt uns, wie wir mit dem Seil, die Esel führen können. „Nicht, dass ihr nach Hause geht und euren Kindern die Halfter anlegt”, scherzt Birle.

Peppita soll rückwärtsgehen. Birle stellt sich vor den Esel. Die rechte Hand umfasst das Seil knapp am Ende. Zunächst genüge es, den Finger hin und her zu bewegen. „Immer klein anfangen”, sagt Birle. Das Seil trage die Energie zum Esel, zuerst die kleine Fingerenergie, dann die Kraft aus dem Handgelenk, dem Arm. Das Seil schwingt und Peppita gehorcht.

Als die Reihe an mir ist, reagiert Guiseppe nicht. Ich beginne von vorn, der Esel läuft - aber nicht rückwärts. Er führt mich in den Stall. Dort versuche ich es weiter, ich weiß nicht wie lange. Ich mache meinem Ärger Luft und erkläre dem Esel, dass er nach hinten gehen soll, jetzt gleich. Ich wiederhole meine Worte, versuche geduldig zu bleiben. Und er hört. Zumindest zucken die Ohren. Nach weiteren fünfzig Augenblicken stakst Guiseppe rückwärts.

Zu dritt wagen wir uns als nächstes an Peppita. Es ist die letzte Aufgabe, bevor es mit den Eseln auf die Wiese geht. Einer hält das Seil, der zweite steht an der Seite, der dritte bedient das Gaspedal. Derart lässt sich die Eseldame leicht überzeugen - sie soll zur anderen Seite der Koppel gehen. Flugs stehen wir im Ziel. Beim Schlusswort scheinen alle zufrieden, auch Birle. „Wenn die Verbindung echt und wohlwollend ist, dann lässt sich der Esel darauf ein.”

Was wir vom heutigen Tag mitnehmen, will Birle wissen. Dass drei Führungspersonen überzeugender sind als eine? Dass ich Seil und Halfter für meinen Mann und die Kinder besorgen muss? Eins nehme ich zumindest mit: Präsent zu sein - und dass ich keine Wunder erwarten darf, wenn ich nichts dafür getan habe - weder bei Eseln, noch bei Kindern. (Natascha Höck)


Von Natascha Höck
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