Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 18.09.2022 11:30
vergessene orte (Foto: Richard Bauch)
vergessene orte (Foto: Richard Bauch)
vergessene orte (Foto: Richard Bauch)
vergessene orte (Foto: Richard Bauch)
vergessene orte (Foto: Richard Bauch)

Wie hoch muss ein Hügel mindestens sein, um dort noch einigermaßen Schlitten fahren zu können? Generationen von Aichacher Schulkindern kennen die Antwort: etwa 1,20 Meter genügen! Die Rede ist vom legendären Bunkerbergerl im östlichen Stadtgebiet.

Es ist Teil einer parkähnlichen Anlage, die umgrenzt wird von der Ludwigstraße, der Krankenhausstraße und der Freisinger Straße. Im Schatten von Bäumen lädt eine Bank zum Ausruhen ein. Die Erhebung fällt erst bei näherem Hinsehen auf. Die Ausmaße können wegen der Grasbedeckung und der Böschung nur vage angegeben werden. Eine grobe Abmessung ergibt ein Rechteck von circa 28 Metern Länge und acht Metern Breite. An der Westseite, der Grenze zur ehemaligen Bäckerei Bauer (heute Arztpraxis), ist das Bergerl relativ steil, wohingegen die anderen drei Seiten etwas flacher sind, besonders die zur Ludwigstraße hin. Schon von Weitem erkennt man, in farbigen Kleinbuchstaben gehalten, den Schriftzug „aichach“. Nimmt man das Objekt genauer unter die Lupe, kann man noch Betoneinfassungen erkennen, die aus der Grasnarbe hervorlugen. Eine umrahmt eine stattliche Eiche, eine andere grenzt an ein graffitibedecktes Transformatorhäuschen. Schon ist die Neugier geweckt: Welcher Befund liegt hier vor?

Wenn man erforschen will, was es mit dem „Bergerl“ auf sich hat, muss man sich zunächst in die 1930er Jahre zurückversetzen. Was sich heute im östlichen Teil der Stadt als bebautes Siedlungsgelände präsentiert, war damals weitgehend Agrarland. Zu erkennen ist das sehr schön auf dem Februar-Blatt des diesjährigen Kalenders „Aichach im Wandel“. In der Ludwigstraße, einst „Untergriesbacher Feldweg“, steht linker Hand stadtauswärts das Kapfhamer-Anwesen, das nach wie vor den Hausnamen „Garaus“ trägt. Es ist bekannt, dass sich dort einst eine Brauerei und ein Gasthaus befanden (später Marien-Apotheke, heute leerstehend), dem sich eine Mulde anschloss, die gut einen Meter unter dem heutigen Straßenniveau lag (zu erkennen heute noch in der Dekan-Reiter-Straße). Anlieger erinnern sich, dass dort lange Zeit Staunässe herrschte, was zur Folge hatte, dass manche Grundstücke aufgefüllt werden mussten. So kam es nicht von ungefähr, dass die Brauerei dort einen Eisweiher angelegt hatte und einen Hopfengarten und eine Viehweide beziehungsweise eine Pferdekoppel unterhielt. Das Gelände reichte bis zur heutigen Krankenhausstraße, vormals Deutschherrenstraße. Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass dort der Postbote Greif ein Häuschen hatte, sodass, bevor noch von einem „Bunkerbergerl“ die Rede sein konnte, die Kinder am „Greifbergerl“ rodelten.

Ab 1934 rückte die Besiedlung Stück für Stück nach Osten vor. An der Freisinger Straße wurden nach und nach die sogenannten „Stadthäuser“ Nr. 12, 14, 16, 20, 33, 35 und 37 gebaut. In der Zeit des Zweiten Weltkriegs als die Bombardierung deutscher Städte zunahm, waren größere Orte bedroht, umso mehr, wenn sie wie Augsburg Rüstungsindustrie besaßen. Doch auch kleinere Städte wie Aichach mussten Vorkehrungen treffen. In der Zeitung wurden die Verdunkelungszeiten angegeben, so wie heute der tägliche Sonnenauf- und -untergang.

Luftschutz in Aichach: In der Paarstadt existierten diverse Schutzräume. Eine Luftschutzzentrale gab es im Keller der Sparkasse am Adolf-Hitler-Platz (heute Stadtplatz). Sie war splittersicher gebaut und telefonisch mit einem Beobachtungsposten verbunden, der sich im Kirchturm befand. Gewerbelehrer Hans Schmid war seinerzeit Luftschutzbeauftragter, der zusammen mit Ignaz Finkenzeller, Franz Anneser, Baumeister Rappel und Dr. Schemmel Lehrgänge für Behördenangestellte, Hauswarte und Bürgermeister abhielt. Im „Kaminkehrer-Mayer-Garten“, heute neue Sparkasse, war zu diesem Zweck ein Übungsdachboden aufgestellt. Im Haus der Firma Michael Rappel in der Donauwörther Straße konnte ein Muster-Luftschutzkeller besichtigt werden. Das Unternehmen war spezialisiert auf Bunkertechnik und Splitterschutz. Weitere Schutzräume befanden sich auf dem Gelände der Aktienkunstmühle sowie unter der Mädchenschule in der Martinstraße. Hausbesitzer, die solide Keller besaßen, boten Nachbarn Unterschlupf. Dank der Schulungen und auch aus der Zeitung wusste die Bevölkerung über die Sirenensignale Bescheid: dreimal hoher Dauerton pro Minute bedeutete „Feindflieger im Anflug ohne Gefahr eines Großangriffes“, eine Minute lang auf- und abschwellender Heulton wies auf eine ebensolche hin.

Der Bunker in der Freisinger Straße: Damaliger Besitzer des Grundstücks war ein gewisser Stephan Heinrich, Hausname „Ruapp“, der in der Martinstraße ein landwirtschaftliches Anwesen besaß (heute Moschee). Um es vorwegzunehmen: Viele der Geschehnisse liegen im Dunkel der Zeitgeschichte. Fest steht, und das bestätigen die Erinnerungen der Zeitzeugen, dass 1944 in der Freisinger Straße ein Bunker errichtet wurde. Das Fundament wurde mangels schwerer Baufahrzeuge, so wie wir sie heute kennen, mit Hacke und Schaufel von Hand ausgehoben. Auch viele Keller von privaten Bauherren entstanden auf diese Weise. Man konnte sich schon glücklich schätzen, wenn ein Förderband vorhanden war, welches das Erdreich beseitigte. Der Beton wurde oft vor Ort angerührt, wobei bei Bunkern die vorgeschriebene Mauerstärke 50 cm betrug, wohingegen sonst 35 cm reichten. Man darf annehmen, dass sich die Arbeiten über Monate hinwegzogen. Dabei ließen sich die Ausführenden aus gutem Grund nicht in die Karten schauen. Schließlich handelte es sich um ein kriegswichtiges Objekt. So kann heute nicht mehr ermittelt werden, wer den Bunker eigentlich errichtete, ob eine ortsansässige Firma oder ein staatliches Unternehmen. Es kann durchaus sein, dass ein PG (Parteigenosse), der UK (unabkömmlich) gemeldet war, die Bauarbeiten leitete. Da viele Männer im Krieg waren, darf angenommen werden, dass auch zahlreiche Frauen eingesetzt waren. Auch Gefangene der Strafanstalt sollen dorthin verpflichtet worden sein. Hermann Plöckl erinnert sich, dass die Kinder regelmäßig verjagt wurden, wenn sie zuschauen wollten.

Der fertige Bunker war mit zwei Handpumpen zur Notentwässerung ausgestattet und besaß an der Decke Lüftungsrohre mit einem Deckel. Es gab zwei Zugänge, einen an der Freisinger Straße und einen gegenüberliegend am Untergriesbacher Feldweg. Dies hatte einen guten Grund: Wäre ein Eingang verschüttet worden, hätte man den anderen benutzen können. Die Zugänge waren mit Metalltüren verschlossen. Sie waren mit einer zweifachen Verriegelung und umlaufenden Dichtungen ausgestattet. Die Anlage wurde abschließend zur Tarnung mit Graswasen abgedeckt.

Geheimhaltung war das Gebot der Stunde und selbstredend wurde auch in der Presse nicht darüber berichtet. Man wusste ja nie, wer da mitlas. Doch manchmal kommt der Zufall zu Hilfe, wenn nach akribischem Suchen dem Verfasser das Forscherglück hold ist. Es manifestiert sich in folgendem Artikel aus der Aichacher Zeitung vom 14. Juni 1944.


(( Hier bitte Abbildung 20220906 122220 platzieren ))


Wie Zeitzeugen bestätigen, kann es sich bei „der Baustelle“ nur um den Bunker gehandelt haben, da in diesem Zeitraum sonst in der Freisinger Straße nichts gebaut wurde. Die erwähnten „Flegel“ sind Plöckl in „angstvoller“ Erinnerung. Sie stammten allerdings nicht aus der Freisinger Straße. Sie sind mittlerweile alle verstorben. (Repro: Archiv der Stadt Aichach)

Das war es auch schon mit der Berichterstattung. Weitere Daten und Zeitangaben, etwa über die Fertigstellung, konnten nicht ermittelt werden. Eine weitere Frage, die sich erhebt, ist: Wurde der Bunker überhaupt benutzt, und wenn ja, von wem? Es wurde gemunkelt, dass die Nähe der Stadtbeamtenhäuser eine Rolle für den Standort spielte, wohnten hier doch einige wichtige Personen des öffentlichen Lebens, VIPs würde man heute sagen. Eine ehemalige Anliegerin sagte, sie könne sich nicht erinnern, dass Menschen dorthin strömten. Immerhin hätten bis zu 50 Personen Platz gefunden, wobei nicht herauszufinden war, ob eventuell Sitzbänke vorhanden waren und der Raum beleuchtet war. „Wer einen eigenen Keller besaß, ging da runter“, meinte sie. Ein anderer Zeitzeuge hingegen, Jahrgang 1933, und mittlerweile verstorben, erzählte später seiner Frau, dass er regelmäßig bei Fliegeralarm in den Bunker musste, was besonders lästig war, wenn es, oft auch mehrmals, nachts passierte, obwohl er nur etwa 200 Meter davon entfernt wohnte.

Zum Glück blieb es nur bei den Warnungen: Aichach selbst musste keinen Bombenangriff erleiden, wenngleich der verheerende Luftangriff auf Augsburg in der Nacht vom 24. auf den 25. Februar 1944 in der Paarstadt Angst und Schrecken auslöste. Lediglich Teile der Bahnstrecke wurden von Tieffliegern beschossen. Einige Bombentrichter, beispielsweise bei Obergriesbach und Mauerbach, sind wohl das Ergebnis von Notabwürfen gewesen.

Der Vollständigkeit sollte kurz auf die letzten Kriegstage eingegangen werden, wobei diese in anderen Schriften gut dokumentiert sind. Wie bekannt, rückten die Amerikaner von Oberbernbach her vor, wobei es in der Donauwörther Straße, vielleicht auf Grund eines Missverständnisses, zu der tragischen „Maschinengewehrgarbe“ kam, bei der eine Frau zusammen mit einem Kleinkind auf dem Arm erschossen wurde. Dem Vernehmen nach wollte ein Bürger sogar versuchen, mit einem Kleinkalibergewehr die Panzer aufzuhalten! Dies erzürnte die Soldaten dermaßen, dass sie wild um sich schossen, als sie über die Freisinger Straße Richtung Schiltberg weiterfuhren. Die Einschusslöcher, auch im Inneren der Häuser, waren noch jahrelang zu sehen. Einige GIs hatten in einem Keller selbst angesetzten Wein gefunden und waren schlichtweg sturzbetrunken. In den folgenden Wochen waren die Häuser 14, 16 und 18 in der Freisinger Straße von der US-Militärkommandantur besetzt und der Bunker von ihnen eingezäunt worden. Eine No-Go-Area, deren Betreten strengstens verboten war!

Die Bunkeranlage in der Nachkriegszeit:Auch hier liegen kaum schriftliche Quellen vor. Belegt ist lediglich, dass Gastronom und Speiseeishersteller Max Klinger das Gebäude in den Jahren 1947 und 1948 zur Lagerung von Natureisstangen gepachtet hatte. Sie wurden am Kellerberg erzeugt (wir berichteten), in den Bunker transportiert und von dort in seinen Betrieb in der Donauwörther Straße. Dies geht aus Sitzungsprotokollen des Aichacher Stadtrates vom Dezember 1947 hervor, als eine Verlängerung des Mietvertrages beantragt und genehmigt wurde. Lange war Klinger wohl nicht auf diese Art der Kühlung angewiesen, da er bereits im September 1949 mit den neuartigen Linde-Gefriergeräten arbeitete. Der „Flüchtlingsbetrieb“ Klinger vertrat damit sogar den Landkreis Aichach auf der Leistungsschau der Heimatvertriebenen in München!

Die Bunkeranlage war in den kommenden Jahren dem Verfall preisgegeben. Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre wurden über die Treppenabgänge Holzabdeckungen gebaut. Herbert Köppel erinnert sich, dass die Kinder dort Passanten mit einem beliebten Streich tratzten: Aus der sicheren Deckung des Verschlages heraus präparierten sie Geldbeutel mit einer Schnur, an der sie zogen, wenn sich Vorbeigehende nach der Börse bückten.
Irgendjemand schaffte es, die Metalltüren so weit aufzustemmen, dass man ins Innere schlüpfen konnte. Für die Kinder war das eine Mutprobe, da immer die Angst mitschwang, absichtlich oder aus Versehen eingesperrt zu werden. Ein Zeitzeuge erinnert sich an den bestialischen Gestank, der dem Bunker entströmte. So mancher Zeitgenosse erledigte hier seine kleine oder große Notdurft oder entsorgte Müll. Die Stadt wollte das nicht länger dulden, sodass die Anlage in den 1980ern endgültig verschlossen wurde, indem die Zugänge verfüllt wurden. Nur besagte Betonreste weisen heute noch darauf hin.
Das Bunkerbergerl wurde zum Spielplatz: im Winter rodelte man oder rutschte auf Schulranzen herum, im Sommer wurde geschussert. So manche Rauferei wurde dort nach Schulschluss ausgetragen. Dem Bauern Ruapp war diese kindliche Betätigung nicht immer recht, da er das Gras der Anlage für seine Tiere brauchte. Auch die Schlittenkufen sorgten für eine gewisse Erosion. Zum großen Bedauern mancher wurde der Platz aufgefüllt, sodass auch das Greifbergerl verschwand. Aber es gab ja noch den Kellerberg und andere Hügel.
Fest steht: Der Hohlraum als solcher ist noch vorhanden, der Bunker wurde nicht verfüllt. Archäologisch gibt er nicht viel her, und man darf hier keine Sensationen erwarten. Was verwundert, ist die Tatsache, wie wenig über den Ort berichtet wurde. Nicht einmal der schon erwähnte Luftschutzwart Hans Schmid, der später als Heimatchronist zahlreiche Artikel veröffentlichte, hat den Bunker jemals erwähnt. Wer, wenn nicht er, hätte wohl bestens Bescheid gewusst? So ranken sich viele Geheimnisse um das Bergerl. Ein vergessener Ort halt…

Der Verfasser dieses Artikels möchte sich herzlich bei allen Gewährsleuten bedanken, die ihm Informationen zukommen ließen. Dies war umso wichtiger, als eine schriftliche Materiallage praktisch nicht existiert. In keiner der einschlägigen Heimatveröffentlichungen, sofern sie dem Verf. vorliegen, wird das im Folgenden zu beschreibende Objekt erwähnt. Ein besonderer Dank gilt Frau Seefried vom Stadtarchiv Aichach, Kreisarchivpfleger Wolfgang Brandner und den Herren Herbert Köppel und Hermann Plöckl. Letztgenannte verbrachten ihre Kindheit in der näheren Umgebung des Ortes und wohnen heute noch dort. Ihre Erinnerungen bilden das Fundament für diese Abhandlung.

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