Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 19.01.2023 14:23

Krisen stürzen Arme in die Krise

<b>Das Team der Schuldnerberatung</b> der Caritas im Landkreis Aichach-Friedberg. Stefanie Kilian und Andreas Lelitto werden unterstützt von der Bankfachfrau Anita Dolezal (von links). (Foto: Wolfgang Glas)
Das Team der Schuldnerberatung der Caritas im Landkreis Aichach-Friedberg. Stefanie Kilian und Andreas Lelitto werden unterstützt von der Bankfachfrau Anita Dolezal (von links). (Foto: Wolfgang Glas)
Das Team der Schuldnerberatung der Caritas im Landkreis Aichach-Friedberg. Stefanie Kilian und Andreas Lelitto werden unterstützt von der Bankfachfrau Anita Dolezal (von links). (Foto: Wolfgang Glas)
Das Team der Schuldnerberatung der Caritas im Landkreis Aichach-Friedberg. Stefanie Kilian und Andreas Lelitto werden unterstützt von der Bankfachfrau Anita Dolezal (von links). (Foto: Wolfgang Glas)
Das Team der Schuldnerberatung der Caritas im Landkreis Aichach-Friedberg. Stefanie Kilian und Andreas Lelitto werden unterstützt von der Bankfachfrau Anita Dolezal (von links). (Foto: Wolfgang Glas)

Es kommt gar nicht so selten vor, dass einer mit einer Bananen-Kiste zu Andreas Jelitto kommt. Darin stapeln sich hunderte Briefe. Sie haben im Laufe von Jahren angesammelt. Aber der Empfänger hat sie nie geöffnet. Aus Angst vor unbezahlten Rechnungen, Angst vor einem Schreiben des Gerichtsvollziehers, Angst vor einer Mahnung eines vielleicht dubiosen Inkassobüros. "Jeder unserer Klienten geht anders mit Schulden um", sagt Andreas Jelitto. Eine mögliche Reaktion ist, die vermeintlich ausweglose Situation zu verdrängen. "Da liegen dann Rechnungen und Mahnungen in einem Sack hinter der Couch, weil die Leute wissen: Ich hab sowieso kein Geld, um sie zu bezahlen."

Andreas Lelitto, promovierter Diplom-Pädagoge und Sozialwirt, leitet die Schuldnerberatung der Caritas am Aichacher Bahnhof. Er und seine Kollegin Stefanie Kilian in der Friedberger Hermann-Löns-Straße kümmern sich um Menschen, denen ihr Einkommen nicht zum Leben reicht. Rund 300 Klientinnen und Klienten kommen pro Jahr zur Caritas, um sich einen Weg aus den Miesen zeigen zu lassen. Seit Corona sind es mehr geworden. Liegt vielleicht daran, dass mehr auf Pump eingekauft wurde im Internet, als die Geschäfte geschlossen hatten und man in Kurzarbeit war; oder daran, dass viele ihren Job aufgeben mussten. Auffällig, sagt Jelitto, sei, dass immer mehr Notleidende auch psychische Probleme hätten. Das sei noch eindrücklicher geworden in der Pandemie, die die Menschen in die Isolation zwang und in die Depression drückte.

Wie Frauen, Männer und Familien mit knappem Einkommen mit der jetzt starken Inflation zurechtkommen, lässt sich noch nicht sagen. Zu kurz währt die wertezerstörende Situation. "Menschen, die sich die gestiegenen Preise nicht mehr leisten können, kommen zu uns erst nach Monaten, vielleicht Jahren, wenn ihre letzten Ersparnisse aufgebraucht sind und sie von niemandem mehr Kredit bekommen", sagt Stefanie Kilian. Womit sie sich aber jetzt schon wiederholt beschäftigen musste: Unseriöse Stromanbieter gehen derzeit auf Kundenfang. Sie versprechen telefonisch attraktiv niedrige Abschlagszahlungen. Nach Vertragsabschluss stellt sich dann heraus: Der Abschlag liegt um das Vier- oder Fünffache höher als vereinbart. Die ohnehin finanziell Gebeutelten tappen in eine neue Falle, manchmal könne die Schuldnerberatung sie da rausholen.

Rund 6,2 Millionen Menschen in Deutschland sind überschuldet, hat der Sozialverband VdK ausrechnen lassen. Der Schuldneratlas der Creditreform für 2022 bestätigt: 6,5 Prozent der Bayern hängen im Defizit, jeder und jede Fünfzehnte. Auf den Landkreis Aichach-Friedberg gerechnet wären das 8710 Personen. Dass dennoch nur wenige Hundert sich professionelle Hilfe holen, erklärt Andreas Lelitto so: "Schulden sind schambehaftet." Betroffene haben Hemmungen, ihre Situation klarzulegen, und keine Hoffnung, das Ruder herumreißen zu können. Lelitto: "Diese Angst lähmt. Sie kann sogar zu Depressionen und psychischen Problemen führen." Die Schuldnerberatung der Caritas – die übrigens kostenlos ist – versteht sich deshalb auch als soziales Angebot und vermittelt weitere Hilfen innerhalb und außerhalb des Verbandes.

Zwischen 10▎000 und 25▎000 Euro – in dieser Größenordnung bewegen sich die Schulden der Menschen, die sich bei der Caritas im Wittelsbacher Land beraten lassen. Manchmal sind sie auch höher, sechsstellig vielleicht, wenn ein selbstständiger Unternehmer pleite gegangen ist. Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung listet auf: Knapp 20 Prozent der Betroffenen sind wegen Arbeitslosigkeit in die Überschuldung geraten, 18 Prozent wegen Krankheit oder Sucht, zwölf Prozent wegen Scheidung oder Tod eines Angehörigen. Bei knapp 15 Prozent liegt es daran, dass sie nicht mit Geld umgehen können. Also mehr ausgeben, als sie zur Verfügung haben.

Denen kann unter günstigen Umständen schnell geholfen werden. Manchmal reiche es, mittels eines Haushaltsbuches herauszufinden, wo es Einsparungsmöglichkeiten im Alltag gibt. "Wer nicht jeden Tag zum Mittagessen zwei Wurstsemmel und eine Getränk kauft, kann schon eine gewisse Summe vermeiden", erklärt Andreas Lelitto. "Andere können sparen, wenn sie ihrem Haustier nicht gerade das teuerste Futter servieren."

Bei vielen Klienten reicht es nicht mehr, den Lebensstandard herunterzuschrauben. Dann kann die Schuldnerberatung gesetzlich verankerte Maßnahmen vermitteln. Überschuldeten steht nämlich ein nicht pfändbares monatliches Mindesteinkommen von 1340 Euro zu, auch ein nicht pfändbares Konto. Das alles muss allerdings beantragt werden, was manche Betroffene nicht wissen. Oder wovor sie sich fürchten.

Ein Haushaltsbuch ist der erste Schritt aus der Schuldenfalle

Banken und Gläubiger akzeptieren regelmäßig auch Vergleiche und erlassen einen Teil der Verpflichtungen. Das allein helfe oft, erklärt Stefanie Kilian: "Manche Klienten haben 30 Gläubiger und mehr, da kommt was zusammen." Letzter Ausweg ist die Verbraucherinsolvenz, die beim Insolvenzgericht beantragt werden muss: Während einer dreijährigen "Wohlverhaltensphase" müssen Betroffene soweit möglich Schulden abtragen und dürfen keine neuen mehr machen. Danach sind sie schuldenfrei.

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