Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 31.10.2022 16:28

Die Stimme der Toten

Karten verraten ihr etwas über die Zukunft:   Anna Stetskamp in ihrem Praxiszimmer, in dem sie Botschaften aus dem Jenseits zu erspüren sucht. Immer dabei: Figuren und Bilder von Engeln und die indianische Trommel für schamanische Behandlungen. 	Foto: Wolfgang Glas (Foto: Wolfgang Glas)
Karten verraten ihr etwas über die Zukunft: Anna Stetskamp in ihrem Praxiszimmer, in dem sie Botschaften aus dem Jenseits zu erspüren sucht. Immer dabei: Figuren und Bilder von Engeln und die indianische Trommel für schamanische Behandlungen. Foto: Wolfgang Glas (Foto: Wolfgang Glas)
Karten verraten ihr etwas über die Zukunft: Anna Stetskamp in ihrem Praxiszimmer, in dem sie Botschaften aus dem Jenseits zu erspüren sucht. Immer dabei: Figuren und Bilder von Engeln und die indianische Trommel für schamanische Behandlungen. Foto: Wolfgang Glas (Foto: Wolfgang Glas)
Karten verraten ihr etwas über die Zukunft: Anna Stetskamp in ihrem Praxiszimmer, in dem sie Botschaften aus dem Jenseits zu erspüren sucht. Immer dabei: Figuren und Bilder von Engeln und die indianische Trommel für schamanische Behandlungen. Foto: Wolfgang Glas (Foto: Wolfgang Glas)
Karten verraten ihr etwas über die Zukunft: Anna Stetskamp in ihrem Praxiszimmer, in dem sie Botschaften aus dem Jenseits zu erspüren sucht. Immer dabei: Figuren und Bilder von Engeln und die indianische Trommel für schamanische Behandlungen. Foto: Wolfgang Glas (Foto: Wolfgang Glas)

Heute nennt sich Anna Stetskamp, 57, Landwirtstocher, gelernte Textilnäherin, verheiratete Mutter zweier Kinder, ein Medium. Also einen Kanal von der physischen in die geistige Welt. Sie sagt, sie könne Kontakt zu den Seelen im Jenseits herstellen, auch zu Engeln oder verstorbenen Tieren. Seit 15 Jahren kommen Menschen zu ihr nach Axtbrunn, um mit Weggegangenen zu sprechen. „Viele wollen wissen, wie es dem Papa im Jenseits geht,” erzählt Anna Stetskamp. „Manche möchten auf diesem Weg auch um Verzeihung bitten für etwas, was sie zu Lebzeiten versäumt haben.” Tragisch seien die Schicksale von Müttern, die ihr ungeborenes Kinder verloren haben und den Verlust nun verarbeiten müssen. Manchmal kämen aber auch Erben, die aufgeklärt werden wollten, wo bestimmte Dinge versteckt sind. Oder warum sie so schlecht im Testament bedacht wurden ...

Für ihre katholische Erziehung sei sie „sehr dankbar”, versichert die gottgläubige Weltenmittlerin. Dafür, dass die Kirche ihr die Engel nahegebracht hat, den Glauben an ein ewiges Leben und an die Existenz einer unsterblichen Seele. Deshalb beginnt sie jede ihrer Sitzungen mit einem Gebet. Das (oder eine Meditation) stelle die Verbindung zwischen der irdischen und der geistigen Welt her. Mehr könne sie nicht beeinflussen, nichts könne sie erzwingen. „Ich bin bloß Übersetzerin. Ich sehe die reale Person, die vor mir sitzt, mit der ich rede. Und in meinem Kopf entsteht gleichzeitig ein Bild aus der geistigen Welt”, beschreibt sie ihre Gefühle. Seelen erkenne sie als konkrete Personen. Was auch wichtig sei. Denn nur so könne sie „beweisen”, welche Seele gerade Kontakt aufgenommen hat: „Ich sehe einen Mann im Anzug und mit brauner Aktentasche oder eine Frau, die gerade einen Apfel isst. Anhand dieser Details - der Aktentasche, mit der der Verstorbene immer zur Arbeit ging, oder der Lieblingsspeise der Toten - können wir feststellen, wer sich aus dem Jenseits meldet.”

Den Glauben an Jenseitskontakte gibt es in zahlreichen Kulturen der Welt. Die Indianer haben ihre Medizinmänner, afrikanische Stämme tanzen sich in Trance, um Geister zu befrieden. In Sibirien haben derzeit Schamanen Hochkonjunktur, die befragt werden, wie es den zwangsrekrutierten Söhnen im Ukraine-Krieg ergehen wird. Und auch die christliche Bibel nennt geistige Erscheinungen. Zum Beispiel die: Gott selbst übermittelt Moses die Zehn Gebote via geistiger Versendung. An Allerheiligen gedenken die Gläubigen den vorbildlichen Gotteskindern im Himmel (mehr als 6650 Heilige kennt die katholische Kirche), an Allerseelen sollen Gebete und Spenden den „armen Seelen” die Zeit „im Fegefeuer” verkürzen. Sogar ganz konkrete Erwartungen hat man an die 14 Nothelfer. Sie werden um ihren Beitrag in unterschiedlichsten Situationen angerufen: Ägidius von stillenden Müttern, Barbara von Feuerwehrleuten und Totengräbern, Blasius bei Halsleiden oder Vitus unter anderem bei Bettnässen.

Das Vertrauen in übersinnliche Wesen ist also so alt wie der Homo Sapiens. Dennoch treffen Menschen, die sich ihrer Kontakte ins Jenseits sicher sind, auf Skepsis. Anna Stetskamp brauchte fast 20 Jahre und ein tragisches Ereignis, ehe sie ihre Fähigkeiten akzeptierte. „Ich hab' zwar immer gespürt, dass da was da ist. Eine Art Energie. Ein undeutbares Gefühl, wenn ich andere Menschen getroffen habe. Als ob ich wüsste, was in denen vorgeht”, erzählt sie. Aber verraten hat sie das niemandem, nicht mal ihrem Mann. Bis eben zu dem Tag, als der Unfall passierte.

Das Ehepaar machte mit seiner dreijährigen Tochter und dem drei Monate alten Sohn einen Ausflug in den Stuttgarter Zoo. Aus einer Ahnung heraus habe sie den Säugling aber kurz hinter Axtbrunn aus dem vermeintlich sicheren Kindersitz auf dem Beifahrersitz heraus- und zu sich auf die Rückbank geholt. In die Tragetasche. Wenig später fuhr ein anderes Auto der Familie in den Wagen - frontal in die rechte Seite. Das Baby im Maxicosi wäre tot gewesen, ist die Mutter überzeugt. Doch so blieb es unversehrt. Anna Stetskamp selbst wurde schwer verletzt. „Ich hatte eine Nahtod-Erfahrung”, beschreibt sie. „Genauso, wie man sich das vorstellt: Ich verließ meinen Körper und sah mich selbst da liegen. Ich sah ein helles, warmes Licht und war frei von Angst.”

Dass sie den Unfall überlebte, glaubt sie ihrem Schutzengel zu verdanken. „Jeder Mensch hat einen Schutzengel”, ist sie sich sicher - und damit wiederum im Einklang mit der katholischen Kirche. In Aichach beispielsweise wird regelmäßig zum Schutzengel-Gebet eingeladen, inklusive Einzelsegen für die „Fürsprache der guten Geister Gottes”. In ihrer Praxis für psychologische Lebensberatung veranstaltet die Axtbrunnerin ähnlich Rituelles: meditative Seminare, bei denen Willige ihren persönlichen Schutzengel erkennen und ihm einen Namen geben können. Oder das Identifizieren des „Geistführers”, den sie als „ständig wachsamen Begleiter und Helfer” bezeichnet, und den besten Freund, den man je haben wird oder hatte.

„Haben wird oder hatte”? Zukunft und Vergangenheit?

Stetskamp geht davon aus, dass Seelen mehrmals auf die Erde kommen. Dass sie also wiedergeboren werden, ehe sie schließlich ewig glücklich im Jenseits bleiben. „Ich vergleiche das gerne mit einem Sanatorium”, erklärt die Geistruferin. „Manche Seelen müssen geheilt werden. Vielleicht haben sie in ihrem irdischen Dasein Fehler gemacht, aus denen sie lernen sollen.” Um sich erneut zu bewähren und weise zu werden, brauchten sie weitere Besuche in der hiesigen Welt. In einem anderen Körper dann, in einer anderen Umgebung, in einer anderen Zeit. Das erkläre auch, warum manche Menschen sich so fühlen, als ob sie früher schon einmal gelebt hätten. Die Ängste und Erkenntnisse von damals seien nicht verloren-, sondern ins Jetzt übergegangen. Mit diesem Wissen könnte ein Medium Hilfesuchende in ein früheres Leben zurückführen, um sie so von ihren Unklarheiten zu befreien. Spiritisten gehen davon aus, dass jeder mit der Geistwelt Kontakt aufnehmen kann. Diese Fähigkeit sei bei den Menschen unterschiedlich ausgeprägt und in der modernen, wissenschaftlichen Welt zunehmend verloren gegangen. Man könne dieses Talent aber wieder entdecken und verfeinern. Auch Anna Stetskamp stieg erst nach dem glimpflich verlaufen Unfall tiefer in transzendente Praktiken ein. Sie pendelte bestimmte Fragen aus, legte Karten, denen eine geistige Bedeutung zugeschrieben wird. „Ich war selbst überrascht, dass das funktionierte”, gesteht sie. Doch es sollte noch Jahre dauern, bis sie ihrer Begabung so vertraute, dass sie ihre Dienste den Hilfesuchenden anbot.

In dem Haus, in dem sie seit ihrer Kindheit lebt (im Dorf nennt man das Anwesen „Beim Schoatn”) empfängt Anna Stetskamp Menschen, die Kontakt mit dem Jenseits suchen. Bisher sei es ihr noch immer gelungen, diesen Kontakt herzustellen. „Manchmal kommt nicht die Seele, die sich meine Kunden wünschen. Manchmal kommen auch mehrere Seelen gleichzeitig”, erzählt sie. Denn es seien nicht die Irdischen, die eine Seele herbeirufen könnten, es seien die Jenseitigen, die einen Bezug zum Hier möchten. Diese Geistwesen kommunizieren mit Stetskamp nicht über Worte, schreiben auch keine Notizzettel. „Das, was sie sagen wollen, weiß ich einfach”, meint die 57-Jährige. „Das ist einfach drin bei mir im Kopf.”

Der vermutlich erfolgreichste Kinofilm, der sich mit den Kräften zwischen dem Dies- und dem Jenseits beschäftigt, ist „Ghost - Nachricht von Sam” aus dem Jahr 1990. Schauspielerin Whoopi Goldberg mimt darin das Medium Oda Mae Brown, das zwischen dem verstorbenen Sam Wheat (Patrick Swayze) und seiner großen Liebe Molly Jensen (Demi Moore) vermittelt. Sie macht das nur ungern, denn das energetisch ausufernde Channeling bringt sie regelmäßig an den Rand des körperlichen Zusammenbruchs. „Mich nicht”, lacht Anna Stetskamp. „Nach einer Sitzung bin ich eher energiegeladen und fühle mich ganz leicht. Und sehr dankbar. Es ist doch wunderschön, Menschen in unserer Welt helfen zu können.”

Gleichwohl zeigen sich bei ihren Jenseitsbesuchen bisweilen körperliche Reaktionen: „Ich spüre, wenn der Mensch, dessen Seele zu Gast ist, gelitten hat. Mir tut dann zum Beispiel das Knie weh, das sich der Verstorbene verletzt hatte.” Deshalb muss sie Kontaktaufnahmen mit den Seelen von Alkoholikern oder Drogensüchtigen meist abbrechen: „Mir wird dann immer so unangenehm schwindelig dabei...” Was die Seelen zu sagen haben, „ist bei mir einfach drin im Kopf” Nahtod-Erfahrung nach Unfall mit der Familie

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