Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung

Am Rathausplatz Messer in den Rücken gestochen: 20-Jähriger verurteilt

Im Juli vergangenen Jahres stach ein damals 19-Jähriger einem 25-Jährigen ein Messer acht Zentimeter tief in den Rücken und verletzte ihn damit lebensgefährlich. Nun stand er vor Gericht.

Der Angeklagte sieht jünger als 20 Jahre aus, als er in einem grauen T-Shirt, die Haare zum Sidecut geschnitten, auf der Anklagebank am Amtsgericht Platz nimmt. Er verhält sich still, lässt seinen Verteidiger für sich reden. Während Rechtsanwalt Dominik Hofmeister den Vorfall aus Sicht des Angeklagten schildert und seine mehrfachen Entschuldigungen vorträgt, blickt dieser auf den Tisch vor sich. Ja, er habe zwei junge Männer am 7. Juli 2018 bei den Treppen am Rathausplatz grundlos mit einem Messer angegriffen, gibt der Angeklagte so zu.
Laut Anklageschrift soll er während einer Auseinandersetzung zwischen zwei sich unbekannten Freundesgruppen zunächst einen 18-Jährigen am Arm verletzt und dann einem 25-Jährigen von hinten einen acht Zentimeter tiefen „gezielten Stich in den Rücken” versetzt haben. Damit habe der Angeklagte mindestens in Kauf genommen, dass er lebenswichtige Organe, insbesondere die Lunge, verletzt.

Eigentlich machte der heute 20-Jährige als Kind eine normale Entwicklung durch. Als „Arbeiterkind” sei er „recht gut in der Schule” gewesen, erzählt Psychiater Oliver Kistner während der Verhandlung am Montag. Auf der Realschule habe er ganz gute Noten erzielt. Mit 13 Jahren wurde er Bayerischer Meister in einer Einzelsportart. Doch in diesem Alter begannen schließlich seine Probleme. „Wenige Wochen nach der Meisterschaft kippte sein Leben”, sagt Kistner.

Vielleicht waren der Auslöser die damaligen Eheprobleme seiner Eltern. Der 13-Jährige suchte sich einen neuen Freundeskreis, begann zu rauchen und Alkohol zu trinken. Ab dem 14. Lebensjahr sei sein Leben dann „unglaublich aus dem Ruder gelaufen”, so Kistner. Er konsumierte nun auch Cannabis, doch Kräutermischungen seien ihm nach eigener Aussage noch lieber gewesen.

Der Angeklagte stamme aber nicht aus einem „desolaten Elternhaus”, betont der psychologische Gutachter. Die Eltern hätten an den Wochenenden versucht, etwas mit ihm und seiner Schwester zu unternehmen. Sie habe mitgemacht, er irgendwann nicht mehr. Im Oktober 2013 wurde er mit einer Kopfplatzwunde betrunken in ein Krankenhaus eingeliefert. Auch in der Schule fiel er nun negativ auf. Bis zu seiner ersten Verhaftung war eine Jugendhilfe in der Familie tätig. Eine Reha brach er ab.

Inzwischen hat der 20-Jährige fünf Eintragungen im Zentralregister, wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Sachbeschädigung, Beleidigung, Körperverletzung, dem vorsätzlichen Führen einer Schusswaffe und Leistungserschleichung. Die zur Bewährung ausgesetzte Haft für die vorangegangenen Taten wurde nach dem 7. Juli widerrufen, er kam zunächst bis November in Untersuchungshaft. Bis zur Verhandlung saß er nun seine Strafhaft ab, deren Ende für 2020 vorgesehen war.

In einem Rechtsgespräch einigt sich das Gericht auf ein Strafmaß zwischen fünfeinhalb und sechs Jahren, sollte der Angeklagte ein Geständnis ablegen und somit eine weitere Beweisaufnahme ersparen. Daraufhin räumt der Angeklagte die Vorwürfe über seinen Verteidiger ein. Er habe mit Freunden zu viel getrunken und Ecstasy konsumiert. Wie es zu dem Streit mit der anderen Gruppe kam, daran könne er sich nicht erinnern. Es habe aber keinen Grund gegeben, das Messer zu benutzen. Mit einem „nicht zielgerichteten Stich” habe er den 25-Jährigen zufällig im Rücken getroffen. Er habe „nicht mit der Absicht zugestochen, irgendjemanden zu töten”, beteuert Hofmeister.

Der heute 26-Jährige war an diesem Abend mit seinen Freunden unterwegs, auch sie waren betrunken. „Ein Junge” der anderen Gruppe habe sie beschimpft und ein Messer gezogen, erzählt der Syrer mit Hilfe eines Dolmetschers. Während er seinen Cousin vor der Waffe warnen wollte, habe er plötzlich gefühlt, wie etwas in seinen Körper eindrang. Durch den Messerstich fiel der linke Lungenflügel des 26-Jährigen zusammen. Dennoch habe er „von irgendwoher die Kraft genommen”, den flüchtenden Angreifer zu verfolgen und festzuhalten.

Eine Polizistin leistete Erste Hilfe am Tatort, bis der Verletzte ins Krankenhaus eingeliefert werden konnte. Dort war eine sechsstündige Operation nötig, um sein Leben zu retten. Nach einer Woche wurde noch einmal nachoperiert. Danach nahm der 26-Jährige lange Schmerzmittel, und kann noch immer keine langen Strecken laufen. Seine Arbeit als Trockenbauer habe er deshalb verloren. Niemand wolle ihn unter diesen Umständen einstellen.

Auch deshalb beantragt die Staatsanwaltschaft das volle Strafmaß von sechs Jahren für den Angeklagten. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sei dringend nötig, sonst werde er unter Suchtmitteleinfluss sicher weitere Straftaten begehen. Dass sein Mandant eine „schwere Straftat” begangen habe, räumt auch Hofmeister ein. Er sei aber nicht von Grund auf ein schlechter Mensch. „Bei ihm hat´s jetzt Klick gemacht”, ist Hofmeister sich sicher.

Unter Einbeziehung zweier vorangegangener Taten verurteilte das Schöffengericht unter Vorsitz von Günther Baumann den 20-Jährigen schließlich zu einer Einheitsjugendstrafe von fünf Jahren und neun Monaten. Mindestens 16 Monate soll er in Entziehungshaft verbringen.


Von Laura Türk
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