Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung

Weihnachten in der Fremde

Der Christbaum steht schon seit Tagen, die Papiersterne sind aufgehängt: Im Gemeinschaftsraum, der im ehemaligen Saal der Obergriesbacher Schlosswirtschaft hergerichtet wurde, feiern die ukrainischen Familien heute Abend Weihnachten. Die bairische. Weihnachten nach orthodoxem Ritus ist allerdings erst am 6. Januar. Auch dieses Fest wird begangen.  (Foto: Wolfgang Glas)
Der Christbaum steht schon seit Tagen, die Papiersterne sind aufgehängt: Im Gemeinschaftsraum, der im ehemaligen Saal der Obergriesbacher Schlosswirtschaft hergerichtet wurde, feiern die ukrainischen Familien heute Abend Weihnachten. Die bairische. Weihnachten nach orthodoxem Ritus ist allerdings erst am 6. Januar. Auch dieses Fest wird begangen. (Foto: Wolfgang Glas)
Der Christbaum steht schon seit Tagen, die Papiersterne sind aufgehängt: Im Gemeinschaftsraum, der im ehemaligen Saal der Obergriesbacher Schlosswirtschaft hergerichtet wurde, feiern die ukrainischen Familien heute Abend Weihnachten. Die bairische. Weihnachten nach orthodoxem Ritus ist allerdings erst am 6. Januar. Auch dieses Fest wird begangen. (Foto: Wolfgang Glas)
Der Christbaum steht schon seit Tagen, die Papiersterne sind aufgehängt: Im Gemeinschaftsraum, der im ehemaligen Saal der Obergriesbacher Schlosswirtschaft hergerichtet wurde, feiern die ukrainischen Familien heute Abend Weihnachten. Die bairische. Weihnachten nach orthodoxem Ritus ist allerdings erst am 6. Januar. Auch dieses Fest wird begangen. (Foto: Wolfgang Glas)
Der Christbaum steht schon seit Tagen, die Papiersterne sind aufgehängt: Im Gemeinschaftsraum, der im ehemaligen Saal der Obergriesbacher Schlosswirtschaft hergerichtet wurde, feiern die ukrainischen Familien heute Abend Weihnachten. Die bairische. Weihnachten nach orthodoxem Ritus ist allerdings erst am 6. Januar. Auch dieses Fest wird begangen. (Foto: Wolfgang Glas)

Täglich telefoniert Kateryna Druszenets mit ihrem Mann Volodymyr. Auch heute, an Heiligabend, wird sie das tun. In die Arme nehmen kann sie ihn nicht, ihm nicht ein Geschenk in die Hand drücken oder einen Kuss auf die Wange. Denn Volodymyr ist 2000 Kilometer weit weg. Er lebt in Sumy, einer Stadt etwas kleiner als Augsburg im Osten der Ukraine. Dort muss er bleiben. Weil Krieg ist. Und weil wehrtaugliche Männer zwischen 18 und 60 das Land nicht verlassen dürfen. Kateryna hat genau das getan: Zusammen mit Tochter Anna und ihrer Mutter Alla Sharapova floh sie in den Westen. Sie landete in Obergriesbach. Zusammen mit 14 weiteren Geflüchteten leben die drei jetzt in der ehemaligen Schlosswirtschaft. "Wir sind sehr traurig", sagt sie. "Wir vermissen Volodymyr so sehr. Ich meinen Mann, Anna ihren Vater."

Seit März gibt es die Flüchtlingsunterkunft in Obergriesbach. Das mächtige Gebäude im Ortszentrum, vor dem die weißblaue bayerische und die blaugelbe ukrainische Flagge wehen, wird längst nicht mehr als Gasthaus genutzt. Die Indie-Band Kalaska hat sich dort eingemietet, richtete Proberäume und Lager fürs Equipment ein. Als vor genau neun Monaten, am 24. Februar, die Russen in die Ukraine einmarschierten und die Menschen dort mit Bomben vertrieben, entschlossen sich Kevin Conen, Michi Edler und Markus Haberer, die Räume Geflüchteten zu überlassen. Mehr noch: Sie bauten Saal, Nebenzimmer und Gaststube um, renovierten und schufen sechs Familienzimmer und eine Gemeinschaftsküche. Bad und Toiletten blieben auf dem Gang, aber es gibt ein gemeinsam genutzten Kinderzimmer mit Kicker, Billardtisch, Bastelecke und großem Bildschirm für Videospiele. Auch ein gut gestimmtes Klavier steht drin. Das Kinderzimmer war einst der Probenraum der Band.

"Wir sind den jungen Männern sehr dankbar. Sie haben uns sehr geholfen", erzählt Kateryna Druzehnets. Die Jungs unterstützten bei Behördengängen, sie sammelten Spenden, organisierten Benefiz-Veranstaltungen. "Uns fehlt es hier an nichts", sagt Kateryna zufrieden. "Wir sind gekommen nur mit einem Koffer und dem, was wir an Kleidung anhatten." Jetzt lebe man in einer gut funktionierenden Wohngemeinschaft: Fünf Familien unter einem Dach, gekocht wird in der Gemeinschaftsküche. Die Theke, an der früher das Bier für die Wirtsgäste im Saal ausgeschänkt wurde, steht nach wie vor. Die Bierhähne sind demontiert, dafür wurden ein Backofen, ein Herd und Kochplatten angeschlossen. Die alten Wirtshausmöbel tun gute Dienste. Jetzt, auf Weihnachten hin, haben die Mütter mit ihren Kindern – zehn leben in der Schlosswirtschaft – den Gemeinschaftsraum geschmückt: Luftballons und Papiersterne baumeln von der Decke, der Christbaum leuchtet, auf den Tischen stehen Kerzen.

Für die unkrainischen Gäste ist es ein Weihnachten in der Fremde. Ein Fest der Liebe ohne die Liebsten. Ein ganz anderes, als sie es aus ihrer Heimat gewohnt sind. Die Kirche dort ist eine orthodoxe. Sie begeht ihre Gedenktage nicht nach dem gregorianischen, sondern nach dem alten julianischen Kalender. Bei dem fällt Weihnachten auf den 6. Januar. "Religion hat in der Ukraine aber keine große Bedeutung", erzählt Druszenets. Gefeiert werden die kirchlichen Feste dennoch: Nikolaus am 19. Dezember (da gibt es Geschenke für die Kinder), Neujahr am 31. Dezember (da gibt es von "Väterchen Frost" noch mehr Geschenke für die Kinder) und eben Weihnachten. Die Familie besucht einen Gottesdienst, es gibt – wieder mal – Geschenke und man sitzt in großer Runde zusammen beim Essen. In traditionellen Familien wird eine Menü mit zwölf Gerichten aufgetischt. Die Feier kann also schon mal bis tief in die Nacht dauern.

In der Straße vor dem Haus fuhren die Panzer auf und ab und beschossen sich gegenseitig

In Obergriesbach muss die Feier bescheidener ausfallen. Sie wird weniger fröhlich sein. Weil die Verwandten fehlen, die Freunde und die Ehemänner. Der von Alina Khrin, der Arzt beim Militär ist. Und die der beiden Schwestern Viktoria Bilous und Inna Lobunka, die aus der schlimm verwüsteten Region Saporischschja stammen. Ihre Männer, Industriearbeiter der eine, Hubschraubermechaniker der andere, mussten im Land bleiben. Sie arbeiten beide wie zu Friedenszeiten, zur Armee eingezogen wurden sie nicht.

In keiner der Obergriesbacher Familien gibt es bisher Kriegstote. Wohl aber Menschen mit Traumata, mit schlimmen Erinnerungen, die sie nicht loslassen. "Es war schrecklich," erzählt Kateryna Druszenets. Am 24. Februar wollten sie uns ihr Mann ganz normal zur Arbeit gehen. Am Morgen dann der Anruf: Bleibt zuhause, die Russen kommen. Innerhalb von Stunden seien in ihrer Heimatstadt Sumy, 30 Kilometer von der russischen grenze entfernt, die Panzer gerollt: "Auf der Straße direkt vor unserem Haus. Und sie haben aufeinander geschossen."

Das Haus bleib unversehrt, doch das Leben der Druzenets änderte sich innerhalb eines Augenblicks. "Als dann die Flugzeuge mit den Bomben kamen, mussten wir in den Keller. 14 Tage lang blieben wir dort ohne Heizung." Die Mutter verließ "immer nur für ein paar Minuten" die Schutzräume, um Lebensmittel zu besorgen, Vater Volodymyr organisierte das Lebensnotwendige mit dem Fahrrad. "Benzin gab es ja nicht mehr."

Am 15. März floh Kateryna Druszenets mit ihrer siebenjährigen Tochter Anna und ihrer 60-jährigen Mutter. Erst im Bus nach Lemberg, dann nach Polen, schließlich mit einem Münchener Hilfstransport nach Obergriesbach. Wie sie verließen Zigtausende die Stadt. Allein am 9. März machten sich 44▎000 Menschen in 10▎000 Privatautos und 85 Bussen auf den Weg Richtung Westen. Volodymyr Druszenets blieb. Er wohnt nach wie vor im Haus der Familie. Von dort aus arbeitet der Bauingenieur am Computer. Allerdings nur zwei Stunden, bis der Strom wieder abgedreht wird. Erst nach vier Stunden fließt er wieder. Auch Katerynas Vater ist in der Ukraine geblieben. Der Rentner, der als Holzkünstler arbeitet, ist wohlauf.

Katerina Druszenets spricht sehr gut Deutsch. Die 38-Jährige ist studierte Bibliothekarin und Privatlehrerin für Deutsch und Englisch. Inzwischen ist sie als Lehrerin angestellt: 25 Stunden wöchentlich unterrichtet sie die Kinder an Schulen in Griesbeckerzell, Aichach und Dasing. Ihre erwachsenen Mitbewohnerinnen hingegen sind noch auf Arbeitssuche. Aber sie lernen fleißig. Sie besuchen den Deutsch-Unterricht im alten Obergriesbacher Schulhaus, vier Stunden jeden Werktag, danach müssen Hausaufgaben gemacht werden.

Wann die Obergriesbacher Flüchtlinge wieder in die Ukraine zurück können, weiß niemand. Mag sein, dass manche da auch gar nicht zurück wollen. Kateryna: "Es ist alles zerstört, auch die Schulen für die Kinder. Für die gibt es da keine Zukunft."

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