Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 28.01.2019 12:00

Strom vom Nachbarn angezapft

Die Angeklagte zeigte sich geständig. Anfang August des vergangenen Jahres sei ihr der Strom abgeschaltet worden, weil sie sich zu spät um die Überweisung einer Nachzahlung gekümmert habe, die das Jobcenter zu veranlassen hatte. Die Frau ist Aufstockerin, sprich sie bezieht Hartz IV. Zunächst hatte sie, die im Erdgeschoss eines Mehrparteienhauses lebt, mit Erlaubnis Strom von ihrer Nachbarin einen Stock über ihr beziehen können.

Weil ein Ausflug mit ihren Kindern geplant war, habe sie dieses Abkommen aufgekündigt, weil sie gedacht habe, sie könne einen Tag lang ohne Strom auskommen, wie sie vor Gericht ausführte. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Frau allein in der Wohnung, die Kinder waren bei deren Vater, von dem sie getrennt lebt. Der habe den Nachwuchs allerdings früher als geplant wieder nach Hause gebracht, im Gepäck Dreckwäsche, wie die Heilpädagogin vor Gericht erklärte.

Weil es ihr peinlich gewesen sei, die Nachbarin noch einmal um Hilfe zu bitten, schloss die 43-Jährige daraufhin ein Verlängerungskabel an der Steckdose im offenen Kellerabteil eines weiteren Nachbarn an und verlegte es über das Kellerfenster in ihrem Abteil in ihre Wohnung. Nach eigenen Angaben habe sie dann mit diesem Strom lediglich zweimal Wäsche gewaschen und die Kinder hätten ferngesehen.

Auf die Schliche gekommen ist der Tat der Hausmeister der Wohnanlage, der den Geschädigten auf seine Beobachtung, dass ein Kabel aus seinem Keller heraus verlegt sei, aufmerksam machte. Der 47-jährige Fertigungshelfer, dessen Strom angezapft wurde, alarmierte daraufhin die Polizei. Er wisse gar nicht, wie viel finanzieller Schaden ihm dadurch entstanden sei, erklärte er Amtsgerichtsdirektor Walter Hell. Es sei auch „weniger der Schaden als die Frechheit, die dahintersteckt”, gab der Richter zu verstehen.

Laut Verteidiger Klaus Rödl dürfte es sich bei den entstandenen Stromkosten tatsächlich nur um etwa einen Euro handeln. Aus diesem Grund gab der Geschädigte vor Gericht auch zu verstehen, dass er nichts gegen die Nutzung seines Stroms einzuwenden gehabt hätte, wäre er zuvor gefragt worden.

Die Angeklagte entschuldigte sich bei Gericht bei ihrem Nachbarn. Sie habe nicht gewusst, um wessen Stromleitung es sich handle und habe ihm „nicht persönlich schaden” wollen.

Da das Vorstrafenregister der 43-Jährigen bereits 13 Straftaten zählt und sie derzeit schon wegen Betrugs in Haft ist, kam nur eine Freiheitsstrafe in Betracht, wie sogar ihr Verteidiger resümierte. Es sei „eine Dummheit, eine Unverschämtheit” gewesen, doch die kriminelle Energie der Angeklagten sei gering, zudem habe sie sich in einer Notsituation befunden. Er plädierte für „eine milde Strafe”.

Staatsanwältin Katharina Stoll attestierte der Frau aufgrund der zahlreichen Vorstrafen und der hohen Rückfall-Geschwindigkeit „keine günstige Sozialprognose”. Sie forderte eine Freiheitsstrafe von vier Monaten.

„Ich weiß auch nicht, warum ich so blöd bin, so etwas zu machen. Ich arbeite jetzt an mir”, beteuerte die Angeklagte, bevor Richter Walter Hell das Urteil sprach: eine zweimonatige Freiheitsstrafe. Die Tat sei an sich eine Bagatelle, „aber so geht's natürlich nicht”. Gerade für die Kinder der Frau sei die Erfahrung, dass ihre Mutter im Gefängnis sei, tragisch. Doch bei weiteren Straftaten käme sie nicht vor noch höheren Haftstrafen herum, gab er ihr mit auf den Weg.

Die 43-Jährige erklärte Rechtsmittelverzicht, das Urteil ist somit rechtskräftig. Richter Walter Hell: „Es ist weniger der Schaden als die Frechheit, die dahintersteckt” Verlängerungskabel in Steckdose in offenem Kellerabteil eines Mehrparteienhauses gesteckt


Von Nayra Weber
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