Wunden schmerzen. Man kann sie heilen, aber es bleiben Narben. Das gilt für äußere wie für innere Wunden, für Enttäuschungen, schwere Erkrankungen, Verluste. Diese Narben aber soll man nicht verstecken. Denn sie gehören zum Menschen, sie sind eine Erinnerung, sie erzählen Geschichten. Genau das zeigt Helga Schröck mit „Die Schönheit der Narben”, ihrem Beitrag bei dem kollektiven Kunstprojekt „House of new realities“ in Augsburg.
Mit Wunden und Verletzungen kennt sich die Klingenerin aus. Sie ist selbstständige Trauerbegleiterin und weiß, dass Narben wertvoll sind. Wertvoll wie Gold. Um das zu verdeutlichen, greift sie bei ihren Trauerbegleitungen wie auch bei dem Augsburger Projekt auf die alte japanische Technik des Kintsugi zurück.
Das ist ein Verfahren, mit dem zerbrochenes Porzellan oder Keramik repariert wird. Dabei bleiben die Bruchstellen, also die Narben des Stücks, nicht nur sichtbar, sondern sie werden sogar mit Goldlack hervorgehoben. Die reparierte Tasse oder die wieder zusammengefügte Schale sind so wertvoller als vorher und haben eine ganz eigene Schönheit.
Diese Methode versinnbildlicht die Arbeit von Helga Schröck, und sie ist auch die Idee, die hinter dem Raum steht, den sie im House of new realities gestaltet. Das House of new realities ist ein kollektives Kunstprojekt und Pop-up-Museum in der Augsburger Bäckergasse 4. Acht leerstehende Wohnungen mit insgesamt 600 Quadratmetern in einem Haus, das kernsaniert wird, stehen anlässlich des Friedensfestes bis Mitte August Kreativen für ihre Ideen zur Verfügung.
Helga Schröck gehört zu den 50 Einzelpersonen oder Gruppen, die für das Projekt ausgewählt wurden und ein Zimmer in den Wohnungen gestalten können. Das House of new realities ist ein Gemeinschaftsvorhaben, für das sich nicht nur Künstler bewerben konnten, sondern alle Menschen, die eine kreative Idee zum Thema Frieden mit einem gesellschaftlichen Bezug hatten.
Der Raum, der der Klingenerin im ersten Stock zugeteilt wurde, könnte nicht besser zu ihrem Ansatz passen. Das Zimmer ist selbst eine Wunde. Der Boden herausgerissen und voller Schutt, der Putz an den Wänden abgeschlagen, die Leitungen liegen offen. Zwischen dem Dreck auf dem Boden: ein morscher Balken. Aber er schimmert golden.
Blickt der Besucher sich um, entdeckt er mehr Gold in der Schutthalde. Bemalte Scherben und Bruchstücke, auch Rohre, Schriftzüge an der Wand: „Welchen Sinn haben Narben?“ oder „Welche Geschichte erzählt Deine Narbe?“ liest man da. „Schutthalde oder verwunschene Landschaft?“ steht auf einem schwarzen Schild, das auf dem Boden zwischen den Bruchstücken und dem Staub liegt, darunter eine kleine, goldene Scherbe, auf der geschrieben ist: „Du“.
Wie in dem Raum sieht es in manchen Seelen aus. Zerstört, verwüstet, oder zumindest schwer beschädigt liegen sie in Trümmern, und nun geht es darum, daraus etwas Positives zu ziehen. Den Weg zu einer Heilung zu suchen, die aber nicht darin bestehen kann, alles zu überdecken, vorzugeben, dass wieder alles „gut“ und heil sei.
Es geht vielmehr darum, die Narben und Risse in Erinnerung zu behalten, sie schätzen zu lernen, aus ihren Geschichten zu lernen und aus ihnen eine neue Stärke zu ziehen. Das ist der Unterschied zu dem Raum: Der wird einmal fertig saniert sein, und von der Verwüstung werden die späteren Bewohner - wahrscheinlich - nichts mehr sehen und nichts davon wissen.
Die Menschen, die das House of new realities und den Raum von Helga Schröck in der „Wohngemeinschaft“ Anima gesehen haben, werden sich aber vielleicht daran erinnern, dass bei Menschen unter nach außen hin „sanierten“ Seelen Risse und Narben liegen; und dass man sie ruhig zeigen kann und soll, weil sie wertvoll sind.
Das House of new realities wird am Samstag, 22. Juli, eröffnet. Dann kann man die Räume von 16 bis 20 Uhr besuchen. Weitere Öffnungszeiten: Sonntag, 23. Juli, 16 bis 20 Uhr, Samstag, 29. Juli, 16 bis 20 Uhr, Sonntag, 30. Juli 16 bis 20 Uhr, Samstag, 5. August, 16 bis 20 Uhr Sonntag, 6. August, 16 bis 20 Uhr.