„Spiel ohne Grenzen” war ein Straßenfeger. Auch 1979, als Aichach in den Ring stieg. Besser gesagt: in die Arena. Die Paarstädter hatten sich nämlich für die TV-Wettkämpfe in Estoril qualifiziert. Die portugiesische Stadt nahe Lissabon baute ihre Stierkampf-Arena zur Fernsehbühne um, und tatsächlich mussten die Aichacher einen schweren Stier bändigen - allerdings nur einen aus Plüsch. Den galt es, gegen alle Widerstände eine schiefe Rampe hinauf zu wuchten. „A Mordsarbeit”, erinnert sich Robert Held, der zusammen mit dreien seiner kräftigen Ringer-Kollegen die Aufgabe in Bestzeit meisterte.Robert Held, Bundesliga-Ringer in den 1980er-Jahren, saß kürzlich im Bürgermeisterzimmer des Rathauses und schwelgte zusammen mit Klaus und Brigitte Laske in Erinnerungen. Warum sie zusammentrafen: Nach 42 Jahren war unverhofft das Mannschafts-Taferl aufgetaucht, mit dem das Aichacher Team zu den nationalen Vorausscheidungen in Augsburg einmarschiert war. Die Holztafel mit dem Konterfei Jakob Fuggers und einem großbuchstabigen „Ai” stand plötzlich an der Baustelle am Aichacher Milchwerk. Dort fiel es dem Unterschneitbacher Heimatforscher Wolfgang Brander auf, der das Relikt flugs sicherte, denn: „Das muss ins Stadtmuseum, und wenn es bloß im Depot bleibt.” Das Taferl sei einzigartig, es erzähle aus der neueren Aichacher Geschichte und es symbolisiere Zeitgeschehen.In der Tat war „Spiel ohne Grenzen” besonders. Nicht wegen seiner Gaudi-Spiele, bei denen die Akteure schon mal in riesigen Styropor-Schuhen übers Wasser marschierten oder in Fantasiekostümen über seifenglitschige drehende Scheiben balancierten. „Spiel ohne Grenzen” galt als mediales Großereignis, das die Völker Europas nach dem Zweiten Weltkrieg spielerisch zusammenführte. Denn Urlaubsreisen nach Jugoslawien waren damals noch selten, Städtefreundschaften mit Frankreich gab es noch keine. Doch bei „Spiel ohne Grenzen” kamen die Nationen zusammen. „In Estoril haben wir jeden Tag mit den anderen Mannschaften gefeiert und uns dabei mit Händen und Füßen verständigt”, lacht Klaus Laske. Er war damals Sportreferent der Stadt Aichach und zusammen mit Bürgermeister Alfred Riepl Teil der Delegation, die mit nach Portugal reiste. „Die haben uns empfangen wie die Könige”, schwärmt der langjährige TSV-Vorsitzende. „Einquartiert im Fünf-Sterne-Hotel mit Schwimmbad, im Spielcasino fielen die falschen Geldscheine von der Decke. Jede Delegation hatte ein Auto zur freien Verfügung, zu essen gab es nur vom Feinsten.” Ja, bestätigt Robert Held, zwei seiner Ringerkollegen hätten in den fünf Tagen in Portugal so zugenommen, dass sie beim nächsten Rundenkampf in Mietraching fast nicht antreten konnten. Sie waren zu schwer für ihre Gewichtsklasse ...Monatelang bereiteten sich die Aichacher auf „Spiel ohne Grenzen” vor. Rund 30 Sportlerinnen und Sportler hatten sich beworben, um ins Team zu kommen. Vier Frauen und acht Männer aus Aichach, Ecknach, Griesbeckerzell, Hollenbach und Hörzhausen wurden schließlich nach einem Bewerbungstraining auserkoren. Brigitte Laske machte Traudl Herger, Hannelore Hoppenthaler, Angelika Ettner und Hanni Etzelsdorfer für die „Schmierseifen-Olympiade” fit, Herbert Braun trainierte die Herren mit Helmut Plank, Heinz Herold, Rudi Hoffmann, Hans Strobl, Erwin Bichelmeier, Michael Plapperer, Robert Held und Erwin Schmid. Ihren ersten Einsatz hatten die wackeren Zwölf bei der Vorausscheidung in Augsburg. Im Curt-Frenzel-Stadion traten sie im Juni 1979 vor 7000 Zuschauern gegen Unterschleißheim, Starnberg, Mering und Augsburg an. Sie schafften trotz Platz 4 die Qualifikation für die internationale Runde in Estoril. Für Aichach war die Reise an den Atlantik ein Riesen-Event. „Aichach jetzt in ganz Europa bekannt”, titelte die AICHACHER ZEITUNG am 10. September 1979. Deutschland sei „in der Skala der Beliebtheit geklettert”, kommentierte der damalige Redaktionsleiter Peter E. Mossack und verwies auf die wirtschaftliche Bedeutung des Ereignisses: Die Übertragung von „Spiel ohne Grenzen” war die erste Farb-Sendung, die das portugiesische Fernsehen ausstrahlte. Damit wurde das deutsche PAL-System getestet, das auf der iberischen Halbinsel eingeführt werden sollte. Dass die Portugiesen ihrerseits die internationalen Sportler-Delegationen so hofierte, sogar eine Staffel der Luftwaffe zeigte eine Show-Einlage über Lissabon, hatte auch seinen Grund: Der Staat hatte sich erst wenige Jahre zuvor von der Militärdiktatur befreit. Nun sollte den europäischen Nachbarn die Modernität und Weltoffenheit der jungen Republik demonstriert werden.Das Aichacher Team schaffte in der Stierkampf-Arena Cascais an diesem 5. September den vierten Platz - und verpasste knapp die nächste Runde. Machte aber nichts. Die Akteure und die rund 30 Schlachtenbummler, die mit einer Chartermaschine nach Lissabon mitgeflogen waren, hängten zwei erholsame Urlaubstage am Meer dran. Und wie kam jetzt das Mannschafts-Taferl aufs Milchwerksgelände? „Das lag die ganze Zeit bei uns im Keller zusammen mit ein paar alten Rohren”, verrät Hilde Braun, Ehefrau des inzwischen verstorbenen Trainers Herbert Braun. Ihr Sohn Karlheinz räumte vor einiger Zeit den Keller aus, dabei kam das Holztaferl zum Vorschein. Es landete mit anderen Dingen auf dem Sperrmüll vor dem Haus. „Dort muss es einer mitgenommen haben”, sinniert Hilde Braun, es liefen ja öfters Müllsammler rum in Aichach. Offensichtlich hat es der Finder dann am Milchwerkgelände aufgestellt, wo es Wolfgang Brander entdeckte und für die Nachwelt rettete. „Aichach ist jetzt europaweit bekannt”