Die Schließung des Modehauses Rübsamen ist für Aichach nicht nur von großer Bedeutung, weil damit ein – weiterer – Pfeiler des Einzelhandels erst einmal wegbricht. Das markante Gebäude an der Ecke von Stadtplatz und Hubmannstraße prägt auch das Bild der Innenstadt und hat eine lange Geschichte. So geht mit dem Rübsamen-Aus beispielweise eine 165-jährige Tradition zu Ende. Denn seit 1859 war dort Textil- und Kleidungshandel ansässig.
Viele Aichacher können sich noch erinnern, dass man früher „zum Bierling“ ging, so wie man später „zum Rübsamen“ schaute, um Hemden, Blusen, Hosen oder Unterwäsche zu kaufen. In manchem Aichacher Kleiderschrank hängen noch heute Kleiderbügel mit „Bierling“-Aufrdruck – und dreistelliger Telefonnummer. 1859 hatte der aus Altötting stammende Handelsmann Joseph Bierling das Gebäude gekauft und ließ es gleich ein Jahr später umbauen und um ein Stockwerk erhöhen. Nicht die erste und nicht die letzte Umgestaltung in der langen Geschichte des Hauses, die noch viel weiter, bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges zurückreicht.
Diese Geschichte kann man beispielsweise in dem Buch „Aichach. Einst und jetzt“ von Josef Müller, dem Aufsatz „Kaufhaus Bierling“ des ehemaligen Kreisheimatpflegers Hans Schmid im Aichacher Heimatblatt und der „Aichacher Zeitgeschichte“ von Ralph Andersson und Harald Jung verfolgen.
So weiß man, dass das Haus im Dreißigjährigen Krieg dem Handelsmann Leonhard Däsch gehörte, der es auch wiederaufbaute, als es 1634 im Zuge der Kriegshandlungen abbrannte. Allerdings dauerte es zehn Jahre, bis mit der Wiedererrichtung begonnen wurde. 60 Jahre später, 1704, brannte es wieder ab, als im Spanischen Erbfolge-Krieg holländische und englische Truppen wüteten und eine Feuerbrunst über Aichach zog. Auch dieses Mal dauerte der Wiederaufbau lange, bis 1729.
1740 kam das Haus schließlich in den Besitz eines historisch wichtigen Aichachers, Joseph Gotthardt Hubmann. Vorbesitzer war damals der Handelsmann Simon Aicher, über dessen Witwe es an Hubmann ging, der es als Handelshaus führte. Allerdings gab es damals, wie man bei Josef Müller nachlesen kann, zwar auch Tuche und Strümpfe, ansonsten unterschied sich das Sortiment aber sehr von der Mode, die man später dort kaufen konnte: Baumöl, Stockfische, Heringe, Kaffee, Fischleim, Spezereiwaren, Nägel, Stahl und Pulver zählt Müller beispielsweise auf.
Hubmann war ein sozial denkender und politisch engagierter Bürger. Laut Schmid firmierte er als Stadtrat und Zweiter Bürgermeister sowie als „senator und mercator“. Er überschrieb der Stadt unter anderem einen Betrag von fast 19 000 Gulden für eine Schulstiftung. Die Hubmann-Straße, an der das „Rübsamen-Haus“ steht, wurde nach ihm benannt.
Über mehrere weitere „Handelsmänner“ kam das Gebäude schließlich in Besitz von Bierling, womit sozusagen die moderne Geschichte des Hauses beginnt. Es folgte schließlich ein Neubau, auf den der dreistöckige Erker zurückgeht, der die Optik bestimmt. Seit 1934 hat das Gebäude im Wesentlichen sein heutiges Aussehen. Bei einem umfassenden Umbau wurde es mit dem Nachbargebäude, dem früheren Haus Nr. 43 am Stadtplatz, vereinigt.
Die Bautätigkeit war auch ein Ausdruck der geschäftlichen Expansion. Bierling-Filialen gab es in Oberbaar und Altomünster, der damalige Chef Alfons Kell übernahm auch Kaufhäuser in München und Passau.
1979 eröffnete schließlich das Augsburger Modehaus Rübsamen eine Filiale im Bierling-Haus, es war die erste überhaupt des Unternehmens. In gewissem Sinne schloss sich damit auch ein Kreis. Denn so wie Hubmann ein breites Warensortiment anbot, führte Rübsamen in seinen frühen Jahren unter anderem auch Wanderstöcke, Bierseidel, Kruzifixe und Schnupftücher. Das Unternehmen hatte zuletzt 100 Mitarbeiter und blickt mit einer mehr als 100-jährigen Tradition ebenfalls auf eine lange Geschichte zurück. Umso bitterer ist es, dass die erste Dependance jetzt als eine der ersten im Zuge der Insolvenz schließen muss.
Das historische Gebäude soll aber ein Ort des Handels in der Innenstadt bleiben. Das ist zumindest der Wunsch der Politik. Bürgermeister Klaus Habermann ist, wie berichtet, sowohl in Gesprächen mit der im Ausland lebenden Eigentümerin wie auch bereits mit einigen Interessenten. Er ist durchaus optimistisch, dass es mit Handel – welcher Waren auch immer – an Stadtplatz und Hubmannstraße weitergehen wird.
Und man darf fast sicher sein, dass der Bürgermeister auch noch einen Bierling-Kleiderbügel im Schrank hat.