Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 31.08.2023 18:01

Stadtpolitik in Zeiten „des um sich greifenden Wahnsinns”

AZ: Sehr geehrter Herr Habermann, ein Platz auf einer Dachterrasse hat schon was. Genießen Sie kurz den Ausblick über die Stadt. Sie selbst werden vermutlich nicht sehr oft die Gelegenheit dazu bekommen. Oder ziehen auch Sie ins neue Verwaltungsgebäude? Platz wäre ja hoffentlich genug da künftig...

Habermann: Ich selbst bleibe auf alle Fälle im historischen Rathaus. Da fühle ich mich ganz wohl. Aber es stimmt schon, zu oft werde ich nicht hier oben stehen.

AZ: Wann wird die Einweihung der Erweiterung des Verwaltungsgebäudes sein?

Habermann: Wir gehen derzeit davon aus, dass wir Anfang 2025 umziehen können. Das hängt aber auch noch davon ab, wie wir mit dem Bestandsgebäude hier am Tandlmarkt umgehen.

AZ: Da muss wohl noch einiges gemacht werden. Unter anderem war immer vom Brandschutz die Rede.

Habermann: Die Verbindungen zum Neubau müssen hergestellt werden. Dazu kommt das neue Trauungszimmer, das im Altbestand bleibt. Nicht zu vergessen Heizung und Elektrik. Ja, da ist noch viel zu tun.

AZ: Was kostet der Spaß letztlich?

Habermann: Wissen wir noch nicht. Das hängt vor allem davon ab, ob wir die Maßnahmen im Altbau auf mehrere Abschnitte aufteilen oder in einem Ruck durchziehen. Ich denke, wir sind da noch mit ein bis zwei Millionen Euro dabei. Inklusive Anbau dürften wir am Ende bei rund acht Millionen Euro liegen.

AZ: Dass dieses Interview an dieser Stelle stattfinden kann, muss man eigentlich als „Zufall“ bezeichnen. Die Pläne für den Erweiterungsbau waren im Stadtrat lange Zeit umstritten, am Ende gab eine einzige Stimme den Ausschlag…

Habermann: Das ist wahr. Wenn ich auf die 27 Jahre meiner Amtszeit zurückblicke, ist das eine der Abstimmungen, über die ich mich massiv ärgere. In die Erweiterung an dieser Stelle wurde bis dahin bereits sehr viel Zeit und Geld investiert. Erst wurde das Grundstück gekauft, dann eine komplette Planung erstellt. Und plötzlich wurde alles in Frage gestellt. Aus meiner Sicht ist die jetzige Variante funktional, ein städtebaulicher Gewinn und zudem auch noch die kostengünstigste Lösung.

AZ: Den Ausschlag gab ausgerechnet eine Stimme der Grünen, denen Sie schon seit geraumer Zeit nicht gerade freundschaftlich verbunden sind, um es mal vorsichtig auszudrücken. Von den Grünen gibt es aber auch nach wie vor Kritik...

Habermann: ... weil wir kein Satteldach gemacht haben. Das Flachdach hat sich letztlich aus dem Raumbedarf ergeben. Es ist aber auch städtebaulich vernünftig – kein riesiger Klotz oder so eine Art Chinesische Mauer, die alles erschlägt. Ich gehe fest davon aus, dass der Nachbar irgendwann auch mal mit Flachdach bauen wird.

AZ: Gibt es da Planungsansätze?

Habermann: Momentan ist mir nichts bekannt.

AZ: Die Städte sollen verpflichtet werden, sich auf den Klimawandel vorzubereiten. Eine Herkulesaufgabe. Fangen wir bei Nahwärmenetzen an. Aichach hat das Biomasseheizkraftwerk in Aichach-Nord. Das wird aber nicht reichen…

Habermann: Das ist ein wunder Punkt, der mich auch als Sozialdemokrat maßlos ärgert. Man drückt uns jetzt einfach die kommunale Wärmeplanung aufs Auge. Das wird viele Kommunen überfordern und ist letztlich nur eine Gelddruckmaschine für Ingenieurbüros. Wir haben ja zumindest schon den Digitalen Energienutzungsplan. Jetzt mussten wir schon das schnelle Internet realisieren, sind für die Ganztagsbetreuung in den Kindergärten und künftig auch an den Schulen zuständig, und nun soll auch noch die Wärmeversorgung eine kommunale Pflichtaufgabe werden. Der Bürger wird jedenfalls fragen, wo bitteschön ist das Wärmenetz, sobald seine Heizung ausgetauscht wird.

AZ: Privatinitiativen aus der Landwirtschaft werden derweil ausgebremst. Die Pläne für das Klingener Nahwärmenetz wurden aufgrund der schwierigen Rahmenbedingungen verbunden mit bürokratischen Hemmnissen zumindest auf Eis gelegt, in Ecknach schaut es wohl nicht besser aus? Der Süden Aichachs hätte beide Netze sehr gut gebrauchen können.

Habermann: Es ist schon verrückt. Private Investoren, die durchaus in der Lage gewesen wären, die Projekte umzusetzen, springen aufgrund fehlender Planungssicherheit und der bürokratischen Hürden ab. Und uns Kommunen will man die Wärmeversorgung aufzwingen. Das ärgert mich maßlos. Wir tun doch eh, was wir können. Für die neue Kindertagesstätte an der Holzgartenstraße versuchen wir, aus Abwasser Wärme zu gewinnen. Gerade bei Neubauten und auch neuen Baugebieten wird eine Kommune stets bemüht sein, voranzugehen. Das ist doch keine Frage. Es wird aber schlicht nicht möglich sein, eine Stadt mit 16 Ortsteilen an ein Fernwärmenetz anzuschließen. Nur am Rande erwähnt: Wir werden uns auch beim Biomasseheizkraftwerk überlegen müssen, wie es weitergeht. Aufgrund des neuen Wärmegesetzes werden wir nach Lage der Dinge den Biomasseanteil deutlich reduzieren müssen.

AZ: Was bedeutet das konkret?

Habermann: Wenn wir den Biomasseanteil auf 25 Prozent herunterfahren müssen, und danach sieht es aus, brauchen wir für die restlichen 75 Prozent andere Energieträger. Wir sind dabei, von einem Gutachter ausloten zu lassen, was dazu ökologisch und ökonomisch sinnvoll wäre.

AZ: Geothermie oder Wärmepumpen anstelle von Hackschnitzeln?

Habermann: Das muss man sehen, da wird alles abgeklopft. Nachvollziehbar ist diese Kehrtwende jedenfalls nicht.

AZ: Zu einem anderen „Wärme”-Thema. Die Umgestaltung des Oberen Stadtplatzes könnte einen Beitrag zum „Sommer in der Stadt“ leisten. Mehr Grün und viel Wasser für die Gluthitze. Warum gibt es schon wieder so viel Wirbel um die Pläne?

Habermann: Es ist leider ein Politikum geworden.

AZ: Sie meinen die Parkplätze, die vor dem Rathaus wegfallen würden. Es geht doch ohnehin nur um ein „bisserl autofreie Zone“ für Aichach. Eine Fußgängerzone light quasi. Glauben Sie eigentlich noch daran oder haben Sie aufgegeben?

Habermann: Andere Städte machen es uns doch vor, dass es funktioniert. Es wäre ein Gewinn für die Bürger, aber auch für den Einzelhandel. Davon bin ich fest überzeugt. Wir reden ja tatsächlich nicht von einem autofreien Stadtplatz, wir reden von rund 1200 Quadratmetern vor dem Rathaus, die nutzerfreundlicher gestaltet werden sollen.

AZ: Zumindest die Busse werden jetzt dann verschwinden. Bleibt es beim Zeitplan zum 1. Januar?

Habermann: Ja natürlich.

AZ: Wann soll über die Brunnen- beziehungsweise Wasserspiel-Pläne entschieden werden?

Habermann: Im Spätherbst soll das Integrierte Stadtentwicklungskonzept stehen. Ich hoffe, dann schnell wieder in die Städtebauförderung zu kommen. Das wäre der richtige Zeitpunkt für eine Entscheidung. Klar ist: Auch eine solche Umgestaltung muss finanziert werden. Das ist ohne eine Förderung in Höhe von 60 Prozent schwer vorstellbar.

AZ: Nun zur Erzeugung regenerativer Energie, die dringend forciert werden muss. Mit den Solarparks hat Aichach nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Die Windräder im Blumenthaler Forst indes drehen sich brav und inzwischen auch „leise“, was man bei all dem Streit während der Genehmigungsphase nicht erwarten durfte. Wann kommen weitere Windräder dazu?

Habermann: Wir denken aktuell darüber nach, das Heft das Handelns selbst in die Hand zu nehmen. Das ist als Einzelkämpfer nur schwer möglich, aber vielleicht im Verbund mit anderen Kommunen.

AZ: Was meinen Sie mit „Verbund”?

Habermann: Vielleicht die Gründung einer eigenen Gesellschaft, die Windräder baut und betreibt.

AZ: Die Stadt will also selbst Bürgerwindräder hinstellen?

Habermann: Man könnte selber Windräder bauen und damit an den Gewinnen beteiligt sein – gerne auch mit entsprechender Bürgerbeteiligung.

AZ: Potenzielle Flächen gäbe es, auch wenn Aichach auf die erneute Ausweisung von Konzentrationsflächen verzichtet hat. Der Bereich zwischen Hiesling, Oberschneitbach und Igenhausen und auch ein Areal östlich von Untergriesbach und westlich von Allenberg firmieren im Regionalplan als sogenannte „Vorbehaltsgebiete“. Dort ist der Windenergienutzung „besonderes Gewicht beizumessen“, wie es so schön heißt. Bei Hiesling liegt bekanntlich auch der Spitalwald. Dort könnte die Stadt letztlich je nach Herangehensweise besonders stark finanziell profitieren – über die Gewerbesteuer, über den „Windpfennig“, als Waldbesitzer und damit Verpächter oder gleich als Betreiber.

Habermann: Die Vorbehaltsflächen sind nach wie vor im Regionalplan. Eigene Flächen wären natürlich das Nonplusultra. Das muss man ausloten.

AZ: Gibt es konkrete Anfragen für Windräder im Stadtgebiet?

Habermann: Es gibt die eine oder andere Anfrage, aber noch keinen konkreten Antrag. Unabhängig davon habe ich als Bürgermeister Gespräche über einen möglichen Verbund geführt. Dazu wollen wir im September nochmals in die Gremien des Stadtrates gehen. Eine erste Information gab es bereits.

AZ: Das muss nichtöffentlich gewesen sein?

Habermann: Ja. Deshalb kann ich dazu im Moment auch nicht mehr sagen. Natürlich wird zu gegebener Zeit auch die Öffentlichkeit informiert.

AZ: Viele Gemeinden wollen Flächen für Windenergie ausweisen und damit die politischen Vorgaben von Bund und Freistaat erfüllen. Ausgerechnet von den sogenannten Trägern öffentlicher Belange kommt nun aber starker Gegenwind. Erstaunlicher Teil des Bürokratiewahnsinns in Deutschland?

Habermann: Es ist alles unwahrscheinlich schwierig geworden. Trotz eines gewissen Bewusstseinswandels ist nach wie vor nicht jeder von der Idee begeistert, Windräder vor der eigenen Haustüre zu haben. Zum anderen hemmt besagte Bürokratie.

AZ: Die Welt spielt verrückt, immer mehr Menschen zweifeln inzwischen daran, dass der Staat noch alles im Griff hat. Keine rosigen Aussichten, zumal längst auch den Städten und Gemeinden das Personal abhanden kommt.

Habermann: In Baden-Württemberg gibt es eine Kommune, in der sich der Bürgermeister und der komplette Gemeinderat verabschiedet haben. Sie sind zurückgetreten, weil sie ihre Pflichtaufgaben nicht mehr finanzieren können. Das ist ein deutliches Signal. Man sollte den Kommunen nicht alles aufbürden.

AZ: Auch beim Thema Bauplätze haben Sie erst kürzlich Grund zum Granteln gehabt. Das Urteil des Bundesverwaltungerichtes, das beschleunigte Bebauungsplanverfahren nicht mit EU-Recht vereinbar hält, hat auch Aichach erwischt. Das Baugebiet „Himmelreich“ in Ecknach muss eine Ehrenrunde drehen. Ein Jahr Wartezeit für die Bauherren…

Habermann: Ein absolutes Ärgernis. Hier hatte ausnahmsweise die Politik versucht, etwas zu beschleunigen, und dann grätscht ein Gericht dazwischen. Es kann doch nicht zielführend sein, ein bis zwei Jahre Zeit zu brauchen, um überhaupt erst mal Baurecht zu schaffen. Dabei wird Wohnraum bekanntlich dringend benötigt...

AZ: Wann ärgern Sie sich am meisten über Bürokratie?

Habermann: Wenn jeder normale Menschenverstand sofort sagt, da stimmt was nicht. Ein Paradebeispiel: Als jetzt die Ecknachbrücke an der Augsburger Straße verbreitert wurde, hat man das Geländer der Brücke anstatt wie bisher innen nun außen angeschraubt. Mit der kuriosen Folge, dass ein landschaftspflegerischer Begleitplan notwendig wurde. Und weil es so schön ist, gleich noch ein Beispiel: die Fußgängerbrücke über die Paar bei Unterschneitbach. Sie wurde barrierefrei gemacht. Dazu mussten kleine Rampen zur Brücke hin angebracht werden. Als Genehmigungsvoraussetzung mussten wir eine naturschutzrechtliche Ausgleichsfläche bereitstellen und zusätzlichen Retentionsraum schaffen. Allein das Gutachten dafür hat 700 Euro gekostet, die Umsetzung dann 500 Euro. Das zeigt den Wahnsinn, der inzwischen um sich greift.

AZ: Apropos Bauen: Wie steht es denn nun um das gemeinsame Projekt der Stadt mit der Eleonore-Beck-Stiftung an der Franz-Beck-Straße? Seit Jahren soll dort günstiger Wohnraum für Aichach entstehen, bis jetzt gibt es nicht mal den Bebauungsplan dazu.

Habermann: Da bin ich tatsächlich unglücklich. Erst hat es unwahrscheinlich lange gedauert, bis der städtebauliche Vertrag mit der Stiftung passte, jetzt muss das städtebauliche Konzept in einen konkreten Bebauungsplan überführt werden. Dazu gab es vor ein paar Wochen einen runden Tisch mit allen Beteiligten. Ich hoffe, spätestens Mitte 2024 zum Satzungsbeschluss zu kommen.

AZ: Gleich noch ein „heißes Eisen“, das Ihre fünfte Amtszeit „abrunden“ wird: die Aichacher Kläranlage. Dass sie saniert beziehungsweise aufgerüstet werden muss, ist kein Geheimnis. Die Opposition mahnt schon seit geraumer Zeit zum Sparen, weil man dafür sehr viel Geld brauche. Nun hat der Stadtrat erst kürzlich hinter verschlossenen Türen getagt und dem Vernehmen nach genau dieses Thema beackert. Stimmt das?

Habermann: Das ist richtig. Wir haben mögliche Grundlagen vorgestellt, auch Möglichkeiten der Finanzierung. Das könnte durchaus außerhalb des laufenden Haushaltes erfolgen. Wir hatten jetzt noch einmal ein Gespräch beim Wasserwirtschaftsamt, es könnte sich ein Plan B abzeichnen. Mehr kann ich dazu leider im Moment nicht sagen.

AZ: Es wird so oder so eine teure Angelegenheit werden. Von wie vielen Millionen sprechen wir?

Habermann: Wir bewegen uns im zweistelligen Millionenbereich.

AZ: Womit wir beim lieben Geld angelangt wären. Der Stadtrat hat vergangenes Jahr eigens eine Strukturkommission eingesetzt. Hat sie überhaupt mal getagt?

Habermann: Nein, weil es uns ja auch nicht weitergebracht hätte. Der Stadtrat hat angesichts der zahlreichen anstehenden Projekte und der dadurch entstehenden finanziellen Belastungen stattdessen beschlossen, eine Prioritätenliste zu erstellen.

AZ: Stimmt. Wie ist der Zeitplan?

Habermann: Wir werden im September eine Klausurtagung des Stadtrates haben, dabei werden wir uns die mittelfristige Finanzplanung gemeinsam im Detail ansehen.

AZ: Sie haben immer wieder gesagt, dass es angesichts der zahlreichen Herausforderungen ohne den Verkauf von „Filetgrundstücken“ nicht gehen wird, und dabei die alte Feuerwehr-Zentrale an der Martinstraße ins Spiel gebracht. Gibt es denn schon einen Beschluss, das Gelände zu verkaufen?

Habermann: Wer über Ausgaben redet, der muss auch darüber sprechen, wie man mögliche Einnahmen generieren kann.

AZ: Eine Entscheidung ist also noch nicht gefallen?

Habermann: Nein. Was das Feuerwehrgelände angeht, könnte ich mir eine mögliche Konzeptausschreibung vorstellen. Das bedeutet, es wird nicht zwingend an den Meistbietenden verkauft. Als Vorgabe gibt es vielmehr ein Konzept, das der Innenstadt nützt. Im Erdgeschoss eines Neubaus könnte ich mir jedenfalls einzelhandelsaffine Flächen als Frequenzbringer für die Innenstadt vorstellen.

AZ: Das alte Feuerwehrgelände an der Martinstraße ist weiterhin ihr Favorit, wenn es um Mittelbeschaffung geht?

Habermann: Ja. Aber natürlich kann man auch über Teile des San-Depots sprechen. Das haben wir 1997 äußerst günstig eingekauft, es hat inzwischen sicher den x-fachen Grundstückswert erreicht. Etwas abgeben könnte man zudem am Neusa-Gelände. Das Jugendzentrum muss ohnehin irgendwann mal angepackt werden, dazu brauche ich aber Geld. Im Gegenzug könnte man möglicherweise einen Teil der Fläche für altersgerechtes Wohnen verkaufen. Das wäre damit eine Win-win-Situation. Die Stadt würde städtebaulich profitieren, gleichzeitig käme Geld in die Kasse, um andere, für das Gemeinwesen notwendige Investitionen, sprich ein Jugendzentrum, tätigen zu können.

AZ: Wenn das San-Depot verkauft werden würde, hätte das in Aichach sicherlich einen Aufstand zur Folge...

Habermann: Wir reden ja nicht über das gesamte Areal, sondern über einen Teil und dann wohl eher im Bereich des Neusa-Geländes. Noch mal: Es geht schlicht um die stillen Reserven im Haushalt, von denen man die eine oder andere mal heben muss. Eine andere Alternative wäre, man stellt alles Wünschenswerte oder vielleicht auch Notwendige zurück.

AZ: Notwendiges zurückstellen wird nicht gehen. An der Sanierung der Kläranlage wird man nicht vorbeikommen. Aber eine Stadthalle wird es auf absehbare Zeit nicht geben...

Habermann: Die wird sich so schnell nicht realisieren lassen. Auch wenn ich sie mir noch gewünscht hätte in meiner letzten Amtszeit.

AZ: Keine Geldfrage ist in der Regel Personal. Es gibt dennoch zu wenig. Aichach richtet regelmäßig neue Kindergartengruppen ein, schon bald fällt der Baustart für den Kinder-Campus an der Holzgartenstraße. Dabei haben Sie schon jetzt Probleme, ausreichend Personal zu finden…

Habermann: Das ist ein Thema, das mir neben der überbordenden Bürokratie regelmäßig schlaflose Nächte bereitet. Ich sehe die Not der Eltern, ich muss aber feststellen, dass der Markt nicht mehr hergibt. Zwischen 2015 und 2021 sind in Bayern 31 000 neue Stellen für die Kinderbetreuung geschaffen worden. Im selben Zeitraum ist die Zahl der Kinder um weit mehr als 100 000 angestiegen. Es wird immer schwieriger, Fachpersonal zu finden. Nicht nur in Aichach.

AZ: Eltern, die berufstätig und zwingend auf die Betreuung ihrer Kindern angewiesen sind, hilft das wenig. Sie verlassen sich eigentlich auf den gesetzlichen Anspruch auf einen Kindergartenplatz…

Habermann: Ich verstehe die Eltern, aber ich sehe keine schnelle Lösung.

AZ: Wird die neue Fachakademie an der Berufsschule Abhilfe schaffen?

Habermann: Darauf baue ich ein Stück weit, ganz klar. Der Fachkräftemangel greift halt aber nicht nur bei der Kinderbetreuung um sich.

AZ: Eben, die Kommunen klagen allgemein und suchen fieberhaft. Auch im Aichacher Land. Was kann man tun?

Habermann: Wir denken darüber nach, uns bei anstehenden Bauvorhaben doch wieder ein paar städtische Wohnungen zuzulegen, um sie für städtisches Personal anbieten zu können.

AZ: Themenwechsel. Das Stadtfest hatte heuer mit einer besonderen Mischung zu kämpfen: Regen und vor allem Kälte. Letztlich ging es doch gut, obwohl der Sonntagsfrühschoppen angesichts einer Sturmwarnung abgeblasen wurde. Wurden Sie geschimpft, weil der Frühschoppen ausfiel und die Weißwürste in den Kesseln „verhungerten“?

Habermann: Nein, das hat jeder eingesehen. Das Wetter hätte es nicht möglich gemacht. Das ist schade, ich bin letztlich aber froh, dass wir das Stadtfest insgesamt so gut hinbekommen haben. Mit zwei Regenschauern am Samstag kann man gut leben. Das hat der guten Stimmung keinen Abbruch getan.

AZ: Im Vorfeld war die Rede, dass Aichach den Einzelhandel zu sehr strapaziere mit den zahlreichen Festen. Jetzt stehen die Mittelalterlichen Markttage an, da haben die Geschäfte schon wieder mit Einschränkungen zu kämpfen…

Habermann: Die Geschäfte haben nach meiner Information überhaupt kein Problem damit. Wir schließen die Stadt im letzten Moment und räumen sofort wieder auf. Beim Stadtfest war am Sonntagmittag schon nix mehr zu sehen. Und auch nach den Mittelalterlichen Markttagen wird Montagmittag alles vorbei sein. Andere Städte feiern viel länger, Friedberg oder auch Schrobenhausen zum Beispiel. Ich bin in der Vergangenheit immer wieder angegangen worden, das Stadtfest zu verlängern. Ich habe mich stets dagegen gewehrt, weil ich es dem Einzelhandel und auch den Anwohnern nicht zumuten wollte. Es gibt nix Schlimmeres als eine tote Stadt, man darf den Bogen aber auch nicht überspannen.

AZ: Als was sind Sie heuer bei den Mittelalterlichen Markttagen unterwegs?

Habermann: Wie immer als Pfalzgraf Klaus. Zum letzten Mal in offizieller Mission...

AZ: Bleiben wir beim Feiern. Heuer war Kühbachs Baron erstmals auch selbst Festwirt beim Volksfest. Waren Sie zufrieden mit der Leistung?

Habermann: Es ist den Umständen entsprechend gut abgelaufen. Am Seniorennachmittag gab es gewisse logistische Probleme. Es gab ausreichend Bedienungen, die zudem sehr professionell und freundlich waren. Wenn halt 2000 Leute nahezu gleichzeitig einen Gockel haben wollen, ist das schwierig. Alles in allem muss man dennoch zufrieden sein.

AZ: In den sozialen Netzwerken gab es deutliche Kritik. An den Preisen im Zelt, an langen Wartezeiten und auch an der Qualität…

Habermann: Man kann immer kritisieren. Wenn man die Personalsituation in der Gastronomie betrachtet, muss man zufrieden sein, dass sich ein Volksfest überhaupt noch realisieren lässt. Das ist in ganz Deutschland so.

AZ: In Friedberg waren angeblich 40 000 Besucher beim zehntägigen Volksfest.

Habermann: Dort lief es gut. Stimmt. Man darf natürlich die Frage stellen, ob der Aichacher noch ein Volksfest will. Beantworten kann sie am Ende aber nur der Festwirt, wenn er die Zahlen vorliegen hat. Dann weiß er, ob sich der Aufwand gelohnt hat.

AZ: Der Vertrag mit Umberto von Beck-Peccoz ist ausgelaufen. Er selbst könnte sich eine Verlängerung vorstellen, hat aber auch umgehend eine Bedingung dafür genannt: einen früheren Termin. Wie sehen Sie die Ausgangslage für die Vertragsverhandlungen?

Habermann: Beim Termin sind wir relativ offen, wenn er nicht mit anderen Veranstaltungen kollidiert. Ich bin da relativ schmerzfrei, ich denke der Stadtrat auch. Abwarten.

AZ: Wir müssen unbedingt über das Thema Asylbewerber sprechen. Aichach versucht stets, einen wichtigen Beitrag zu leisten. Derzeit leben knapp 500 Flüchtlinge in 18 Unterkünften in der Paarstadt, ziemlich genau die Hälfte stammt aus der Ukraine. Überall, so heißt es, können die Gemeinden nicht mehr, seien sie am Limit. Wie beurteilen Sie die Situation? Ist sie tatsächlich so dramatisch?

Habermann: Wir sind bisher sehr gut klargekommen, auch dank ehrenamtlicher Unterstützung. Wir dürfen aber auch feststellen, dass Aichach momentan die höchste Zahl an Flüchtlingen im gesamten Landkreis beherbergt. Das ergibt sich natürlich aus den Immobilien, die angeboten werden. Für die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine gibt es im ehemaligen Heim der Arbeiterwohlfahrt hervorragende Unterbringungsmöglichkeiten. Ich bin ohnehin nicht der, der da groß rumjammert. Wir haben die Aufgabe zu erfüllen, die uns zugeteilt wird. Genau dies werden wir weiterhin tun. Mein Wunsch an die Politik wäre gerade in Zeiten des Fachkräftemangels allerdings schon, die Flüchtlinge schneller und in ausreichender Anzahl in Arbeit zu bringen.

AZ: Die meisten würden gerne arbeiten...

Habermann: Sicherlich. Es gibt viele, bei denen lediglich bürokratische Hürden entgegenstehen. Wenn ich sehe, dass in den Niederlanden 70 Prozent der Flüchtlinge in Arbeit sind und bei uns sind es 17 Prozent, dann ist das nicht nachvollziehbar. Oftmals werden Ausbildungen nicht anerkannt. Auf der anderen Seite muss man aber schon auch konstatieren, dass es Flüchtlinge gibt, die schon seit vielen Jahren hier sind und immer noch nicht in Arbeit stehen. In diesen Fällen muss man die Motivation erhöhen. Für mich gehört immer beides zusammen: fördern, aber auch fordern.

AZ: Die Situation ist also noch nicht als dramatisch einzustufen?

Habermann: Nein. Unser Landkreis hat im ehemaligen Impfzentrum im Gewerbepark Acht 300 in Dasing eine Auffangstation. Von den 150 bis 190 möglichen Plätzen sind im Schnitt 50 belegt. Es geht also noch. Aber natürlich ist das eine Herausforderung. Vor allen Dingen die Integration. Sie gelingt am besten im Kindergarten und in der Schule – und am Arbeitsplatz. Daran muss gearbeitet werden.

AZ: Die Runde der Aichacher Stadträte hat seit geraumer Zeit eine ganze Reihe von langfristigen Krankheitsfällen zu verkraften. Ist auch Lokalpolitik ein gesundheitsgefährdendes Geschäft?

Habermann: Das ist Zufall. Wir wünschen allen beste Genesung und hoffen, dass die Kollegen bald wieder zurückkommen.

AZ: Sie selbst waren heuer auch mehrere Monate lang betroffen. Sind Sie wirklich wieder fit?

Habermann: Ich bin fast wieder der Alte.

AZ: Sie haben erklärt, in jedem Fall auch noch die restlichen drei Amtsjahre absolvieren zu wollen. Damit können Sie erst Ihren 73. Geburtstag in „Freiheit“ feiern?

Habermann: Die Aussage steht nach wie vor. Ich habe momentan sogar fast das Gefühl, dass mir die Zeit davonläuft für all das, was ich mir noch vorgenommen hatte. Die ersten Jahre dieser Amtszeit standen im Zeichen der Pandemie, und auch der Krieg in der Ukraine war nicht dienlich für das Vorantreiben von Projekten. Es wird ja nichts einfacher...

AZ: Schon wieder Kritik an der Bürokratie? Gibt es ein konkretes Beispiel?

Habermann: Ich hatte gehofft, den Radlweg von Sielenbach nach Klingen noch hinzukriegen. Dankenswerter Weise hat das Staatliche Bauamt jetzt auch den Straßenbau priorisiert und die Planung entsprechend umgestellt. Beides muss parallel laufen. Nun taucht plötzlich die Frage auf, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung nötig wird. Unter Umständen braucht es sogar ein eigenes Planfeststellungsverfahren. Dann bauen wir die nächsten drei Jahre sicher nicht. Das muss man erst mal verstehen: Einerseits gibt es Förderprogramme für den Radwegebau, den wir Kommunen beschleunigen sollen, andererseits werden wir planungsrechtlich gebremst. Dazu kommen die Kosten. Ein Kilometer Radlweg wird heute mit 500 000 Euro kalkuliert. Geht's noch?

AZ: Sind Sie aktuell mit der Atmosphäre im Stadtrat zufrieden?

Habermann: Ja. Es läuft sehr zielorientiert und überwiegend sachlich. Das eine oder andere politische Gerangel gehört einfach mit dazu.

AZ: Um Ihre Nachfolge wird noch nicht gestritten, wohl gibt es zumindest einen potenziellen Bewerber aus den Reihen der CSU. Andere halten sich noch bedeckt. Wie steht es denn mit der SPD?

Habermann: Diese Frage kann ich nicht beantworten. Ich halte mich da raus. Es ist nicht meine Aufgabe, nach einem potenziellen Nachfolger zu suchen. Das muss die SPD selber entscheiden.

AZ: Die AfD war bisher noch kein Thema für Aichachs Stadtrat. Das könnte sich ändern bei der nächsten Kommunalwahl?

Habermann: Ich hoffe nicht, dass dies der Fall sein wird und bin auch nicht traurig, dass mir das erspart geblieben ist. Ich habe bei der letzten Landtagswahl ein Inserat geschaltet: „Aichach ist nicht braun!” Wir stehen für Vielfalt und für Toleranz. Der rechte Rand der AfD, der sogar vom Verfassungsschutz beobachtet wird, ist einem Gemeinwesen nicht dienlich.

AZ: Aichachs Hochwasserschutz funktioniert, was die Paar anbelangt. Sie haben erst kürzlich die Gewässer Dritter Ordnung, also die kleinen Bäche, als nächste drängende große Herausforderung bezeichnet. Warum geht nichts voran am Zeller Kulturgraben? Eigentlich sollte heuer doch in jedem Fall mit dem Bau des Rückhaltebeckens am Ortseingang von Edenried her kommend begonnen werden.

Habermann: Das ist richtig. Es gab erst vor wenigen Tagen wieder ein Gespräch mit dem Wasserwirtschaftsamt. Und siehe da: Voraussichtlich gibt es jetzt keine Förderung für die Maßnahme. Sie ist angeblich nicht wirtschaftlich. Der Schaden im Falle einer Überschwemmung ist demnach niedriger als der Aufwand für das Gesamtprojekt.

AZ: Wie bitte?

Habermann: Das muss man nicht verstehen. Ich habe es auch nicht verstanden. Wir wollten sofort einen Termin beim Umweltminister. Das hat leider bis dato nicht geklappt. Ich habe da einen richtig dicken Hals. Erst haben wir ein mehrjähriges Planfeststellungsverfahren durchlaufen, das der Freistaat selbst betrieben hat und jetzt heißt es, das Ganze ist nicht wirtschaftlich.

AZ: Kann Hochwasserschutz wirtschaftlich sein?

Habermann: Man muss sich wundern, aber es hilft uns nicht weiter. Wir kommen bei der Maßnahme auf Gesamtkosten von rund sieben Millionen Euro. Die kann eine Stadt wie Aichach nicht alleine meistern. Der vermeintliche Schaden ist auf nur drei Millionen Euro geschätzt worden.

AZ: Drei Millionen Euro Schaden, wenn Zell absäuft?

Habermann: Genau. Das wollen wir so nicht akzeptieren. Wir denken im Zweifel daran, den Gerichtsweg einzuschlagen.

AZ: Die alte Sparkasse am Stadtplatz wurde verkauft. Sind Sie zufrieden?

Habermann: Ein bisserl traurig bin ich schon. Ich hätte mir durchaus vorstellen können, dass wir als Sparkasse die Immobilie selber entwickeln. Auch wenn es natürlich nicht Kerngeschäft eines Geldinstituts ist. Ich baue jetzt einfach darauf, dass der Erwerber im Erdgeschoss einzelhandelsaffine Nutzung unterbringt. Dann wäre schon sehr viel gewonnen.

AZ: Am Schluss auch heuer ein kleiner Ausflug raus aus Aichach in eine andere Welt. Heute geht es auf eine (fast) einsame Insel. Wen würden Sie mitnehmen? Drei Plätze sind noch frei.

Habermann: Meine Frau und meine beiden Kinder.

AZ: Was würden Sie mitnehmen? Fünf Dinge passen in Ihren Rucksack.

Habermann: Ach du lieber Gott. Mit Sicherheit kein Handy.

AZ: Es würde gehen ohne Handy?

Habermann: Klar geht das.

AZ: Und kein Pfeifentabak?

Habermann: Ich habe das Rauchen aufgehört seit meiner Krankheit.

AZ: Auch kein Fernseher für die Spiele des 1. FC Nürnberg?

Habermann: Besser nicht!

AZ: Sie können die Aufenthaltsdauer selber wählen. Drei Tage, drei Wochen oder drei Monate. Wie lange glauben Sie, würden Sie es aushalten ohne das Rathaus und den Stadtrat?

Habermann: Maximal drei Tage!

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