Kein Aufbruch, kein Stimmungsumschwung: Die Ergebnisse der aktuellen Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben sind kein Grund zur Freude. Doch IHK-Präsident Reinhold Braun und IHK-Hauptgeschäftsführer Marc Lucassen sind „Berufsoptimisten”, wie sie von sich selbst sagen. Daher haben sie Hoffnung, dass Europa wenn nicht alles, doch vieles zum Guten wenden könnte.
Mit der bevorstehenden Europawahl am 9. Juni wollen Braun und Lucassen die Gelegenheit nicht verpassen, auf die Bedeutung der EU für die bayerisch-schwäbische Wirtschaft hinzuweisen. Die Vorstellung der Umfrageergebnisse erscheint dafür der geeignete Rahmen. Denn zu den abgefragten Themen gehört natürlich auch das Auslandsgeschäft. Hier zeigt sich, wie wichtig der EU-Binnenmarkt ist. Im Jahr 2023 wurden Waren im Wert von 121 Milliarden Euro aus Bayern in die EU ausgeführt. Es folgen mit deutlichem Abstand die USA und das restliche Europa mit jeweils 28 Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund bezeichnet Lucassen den von mancher Partei geforderten Austritt Deutschlands aus der EU als „wirtschaftliche Geisterfahrt”. Im Gegenteil: „Wir leben mit und von Europa”, betont Lucassen. Doch: Das Potenzial, das der EU-Binnenmarkt biete, werde aktuell nicht gehoben. Dabei wären „positive Signale” gerade sehr wichtig für die Wirtschaft in Bayerisch-Schwaben. Denn die „Geschäftslage der bayerisch-schwäbischen Wirtschaft hat sich weiter verschlechtert”, sagt Lucassen. Und nur weil die Erwartungen der Unternehmen etwas weniger pessimistisch sind als zu Jahresbeginn, stagniert der IHK-Konjunkturindex, das geometrische Mittel aus Geschäftslage und Erwartungen, bei 101 Punkten, also knapp über der Wachstumsschwelle, die bei 100 Punkten liegt. Die gesamtwirtschaftliche Stimmung sei weiterhin unbefriedigend. „Die regionale Wirtschaft kommt nicht aus ihrem Stimmungsblues der Nach-Corona-Jahre”, so der IHK-Hauptgeschäftsführer. „Während viele europäische Volkswirtschaften die Verluste der Corona-Jahre bereits ausgleichen konnten, finden wir nicht auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurück.”
Das lässt sich auch am Investitionsverhalten der befragten Unternehmen erkennen. Im Inland stecken diese ihr Geld vor allem in die Erhaltung der Substanz. Investitionen ins Wachstum finden dagegen im Ausland statt.
Diese andauernde Entwicklung hängt mit den wirtschaftlichen Risiken aus Sicht der Unternehmen zusammen. Quer über alle Branchen hinweg gelten die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland als größtes wirtschaftliches Risiko - 65 Prozent der Unternehmen sehen das so. An zweiter Stelle folgt die schwache Inlandsnachfrage (60 Prozent). „Besonders das Risiko der sich im Inland abkühlenden Nachfrage hat sich weiter verschärft. Dennoch bleiben die hausgemachten wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen das größte Risiko”, erläutert Braun. „Rund zwei Drittel aller Unternehmen klagen über zu viel Bürokratie oder im internationalen Wettbewerb zu hohe Steuern und Abgaben.” Weiter bleiben Energie- und Rohstoffpreise, Arbeitskosten und Fachkräftemangel relevante Risiken.
Umso unverständlicher ist es für Braun, dass die Bundesregierung nicht mit der Wirtschaft in Dialog geht. Bundeskanzler Olaf Scholz habe auf ein Schreiben der führenden Wirtschaftsverbände nicht reagiert. „Nicht mal der Erhalt des Schreibens wurde bestätigt”, berichtet Reinhold Braun von einem „zerrütteten Verhältnis” zwischen der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft. „Wir warten schon länger auf eine überzeugende Energiestrategie und Kraftwerksstrategie der Bundesregierung”, ergänzt Lucassen ein Beispiel, wo er Berlin in der Bringschuld sieht. Er hat die Befürchtung: „Erst wenn der Arbeitsmarkt dreht, hört man uns zu.”
Umso mehr setzen Braun und Lucassen auch auf Europa. Mehr Wettbewerbsfähigkeit, starker Binnenmarkt, pragmatische Handelspolitik, bezahlbare Energie und weniger Bürokratie - das wünscht sich Braun von Europa. Die EU müsse das sich bietende Zeitfenster nutzen, „um sich im Wettbewerb zu den USA und China zu positionieren - sonst drohen wir langfristig zwischen diesen beiden Wirtschaftsräumen zerrieben zu werden”.