Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 28.07.2022 17:46

Demokratie ist eine Zumutung

Götz Gölitz und Matthias Matuschka   (rechts) haben mehrere Projekte zur Demokratiebildung im Landkreis Aichach-Friedberg initiiert.	Foto: Berndt Herrmann (Foto: Berndt Herrmann)
Götz Gölitz und Matthias Matuschka (rechts) haben mehrere Projekte zur Demokratiebildung im Landkreis Aichach-Friedberg initiiert. Foto: Berndt Herrmann (Foto: Berndt Herrmann)
Götz Gölitz und Matthias Matuschka (rechts) haben mehrere Projekte zur Demokratiebildung im Landkreis Aichach-Friedberg initiiert. Foto: Berndt Herrmann (Foto: Berndt Herrmann)
Götz Gölitz und Matthias Matuschka (rechts) haben mehrere Projekte zur Demokratiebildung im Landkreis Aichach-Friedberg initiiert. Foto: Berndt Herrmann (Foto: Berndt Herrmann)
Götz Gölitz und Matthias Matuschka (rechts) haben mehrere Projekte zur Demokratiebildung im Landkreis Aichach-Friedberg initiiert. Foto: Berndt Herrmann (Foto: Berndt Herrmann)

Gölitz ist zuständig für das Bildungsmanagement im Bildungsbüro und Matuschka ist in der Kommunalen Jugendarbeit im Landratsamt tätig. Seit längerem arbeiten beide - unter anderem mit dezidierter Unterstützung von Landrat Dr. Klaus Metzger - daran, Kinder und Jugendliche (aber nicht nur sie) für Politik zu interessieren und Demokratie „erlebbar” zu machen.

Dabei geht es nicht darum, welche Aufgaben beispielsweise der Bundestag oder ein Landtag hat (was auch wichtig ist), sondern darum, das, was in der Politik passiert, und das, was sie ausmacht, selbst durchzuspielen, auszuprobieren, damit zu experimentieren, und auch selbst Politik zu machen.

Etwa im Jugendkreistag. Ein Thema, das Matschuka und Gölitz schon lange verfolgen. Mittlerweile haben die ersten beiden Sitzungen sowie auch Begleittreffen schon stattgefunden. Alle Schularten haben Vertreter in das Gremium geschickt, das Altersspektrum ist groß.

Die 32 Jugendkreisräte und Jugendkreisrätinnen aus 20 Schulen haben ein eigenes Budget (5000 Euro), viele Ideen und auch schon konkrete Projekte im Auge. Darunter sind beispielsweise Öffentlichkeitsarbeit, um das Gremium in den Schulen und bei den Jugendlichen bekannt zu machen, eine eigene Veranstaltung für Klassen- und Schülersprecher sowie besonders engagierte Schülerinnen und Schüler. Auch eine gemeinsame Müllsammelaktion ist geplant.

Matuschka und Götz haben den Jugendkreisrat dabei begleitet und auch bei der Erstellung einer Prioritätenliste geholfen, ohne den Mädchen und Jungs etwas überzustülpen. Aber es geht um die Machbarkeit, es geht um bürokratische und politische Verfahren, die beachtet werden müssen. Und Tatsachen wie der, dass man beispielsweise mit 5000 Euro eine Verbesserung im ÖPNV nicht erreichen kann.

Das können Jugendliche noch nicht wissen. Gerade die Zwänge und Grenzen in der Politik selbst kennenzulernen und zu „erfahren”, gehört aber vielleicht zu den wichtigsten Lernprozessen.

Genau darum geht es auch bei einem anderen Projekt von Gölitz und Matuschka, bei „Lernort Rathaus/Landratsamt”. Das ist ein Rollenspiel, das zusammen mit der bayerischen Landeszentrale für politische Bildung entwickelt wurde, bei dem Schülerinnen und Schüler ein Bewusstsein dafür bekommen können, wie Kommunalpolitik funktioniert und welche Schwierigkeiten dabei zu bewältigen sind. Das erlebten Zehntklässler des Aichacher Deutschherren-Gymnasiums bei einem Probelauf gleich ganz konkret. Bei einem Besuch im Landratsamt simulierten sie eine Sitzung - natürlich authentisch im Sitzungssaal, auch das ist wichtig - mit festen Rollen wie Versammlungsleiter, Fraktionen und einem Thema: Sollen Straßennamen, die sich auf Personen mit einer NS-Vergangenheit beziehen, mit einem Hinweisschild versehen werden?

Das diskutierte die zehnte Klasse intensiv und engagiert, trafen Entscheidungen, um dann, überrascht und auch etwas irritiert, festzustellen, dass sie entschieden hatten: nichts. Denn die Beschlüsse widersprachen sich oder blockierten sich gegenseitig.

Gerade darin sieht Matthias Matuschek sogar einen besonderen, vor dem Spiel kaum planbaren Lerneffekt. Denn genau damit haben Politikerinnen und Politiker oft zu kämpfen: divergierende Interessen, Ziele, die sich widersprechen und die nicht gleichzeitig zu erreichen sind. Dilemmata-Situationen sagt man dazu, aber was sich im Sozialkundeunterricht trocken anhört, wird im Spiel nachvollzieh- und verstehbar. Und wer das einmal selbst durchgespielt hat, schimpft wahrscheinlich weniger leicht vor dem Bildschirm, dem Smartphone oder am Stammtisch über „die” Politiker.

Mehr noch: Im besten Fall werden die Teilnehmer selbst zu Multiplikatoren und tragen ihre Erfahrungen in die Freundesgruppe oder auch die Familie weiter.

Um genau solche Lerneffekte geht es auch bei den Workshops „Profil zeigen für eine starke Demokratie”, die Gölitz und Matuschka den Schulen ab der 8. Klassen anbieten. Beiden haben dazu bei Dr. Christian Böser-Schnebel, Experte für politische Bildung an der Universität Augsburg. eine Ausbildung gemacht. Bei den Workshops werden Grundlagen der Demokratie durchgesprochen und geübt. Auch hier geht es weniger um die Vermittlung von Wissen, als um das Verstehen demokratischer Prozesse.

Etwa wie wichtig es ist und wie es gelingen kann, trotz unterschiedlicher Ansichten im Gespräch zu bleiben, also der eigenen Blase zu entkommen. Im besten Fall gelingt das, was man Perspektivenübernahme nennt: Sich in den anderen hinzuversetzen, um seine Sichtweise nachvollziehen zu können, ohne deswegen die eigene Position aufzugeben. Aber man sollte über sie nachdenken und auch bereit sein, sie in Frage zu stellen. Wobei auch gilt: Im Gespräch bleiben ist gut, aber auch in der Demokratie gibt es „rote Linien”, über die nicht diskutiert werden kann und die nicht relativiert werden dürfen. Antisemitismus zum Beispiel oder jede Art von Rassismus.

Auch das alles sei anstrengend, bekräftigen die beiden Demokratie-Trainer. Aber die Sache wert. In Abwandlung eines Satzes von Ingeborg Bachmann - „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar” - könnte man auch formulieren: „Die Demokratie ist dem Menschen zumutbar”. Und alternativlos.

Schulleitungen oder Lehrerinnen und Lehrer, die sich für die Demokratieprojekte interessieren, können sich an Götz Gölitz, 08251/92 4861, oder Matthias Matuschka, 08251/924 838, wenden. Ein Lernziel: Im Gespräch miteinander bleiben - und rote Linien erkennen


Von Berndt Herrmann
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