Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 12.12.2015 12:00

Abenteuer im Zwergenland

Nicht jeder kann Raphael   beim Schreiben so gut stützen wie seine Mutter Ulrike Müller. Der 16-Jährige verfasst wissenschaftliche Arbeiten, Prosa und Gedichte. 	Archivfoto: Andreas Alt (Archivfoto: Andreas Alt)
Nicht jeder kann Raphael beim Schreiben so gut stützen wie seine Mutter Ulrike Müller. Der 16-Jährige verfasst wissenschaftliche Arbeiten, Prosa und Gedichte. Archivfoto: Andreas Alt (Archivfoto: Andreas Alt)
Nicht jeder kann Raphael beim Schreiben so gut stützen wie seine Mutter Ulrike Müller. Der 16-Jährige verfasst wissenschaftliche Arbeiten, Prosa und Gedichte. Archivfoto: Andreas Alt (Archivfoto: Andreas Alt)
Nicht jeder kann Raphael beim Schreiben so gut stützen wie seine Mutter Ulrike Müller. Der 16-Jährige verfasst wissenschaftliche Arbeiten, Prosa und Gedichte. Archivfoto: Andreas Alt (Archivfoto: Andreas Alt)
Nicht jeder kann Raphael beim Schreiben so gut stützen wie seine Mutter Ulrike Müller. Der 16-Jährige verfasst wissenschaftliche Arbeiten, Prosa und Gedichte. Archivfoto: Andreas Alt (Archivfoto: Andreas Alt)

Die Zwergenzwillinge Asa und Gasa hat Raphael Müller schon vor Jahren erfunden. Im Vorwort zum ersten Band erklärt Raphaels Mutter Ulrike Müller, wie ihr Sohn zum Schriftsteller wurde.

Mit acht Jahren durfte Raphael an zwei Deutsch- und einer Englischstunde pro Woche am Aichacher Deutschherren-Gymnasium teilnehmen. In seiner ersten Schulaufgabe musste er eine Reizwortgeschichte zu den Begriffen Zwerg, Kleiderschrank, Taschentuch erfinden - sie wurde kurz danach zum ersten Kapitel von „Asa und Gasa - Abenteuer im Land der Zwerge”.

Der Leser begegnet dem Jungen Tim, der im Schrank seiner Großmutter ein Hotel für Zwerge auf der Durchreise entdeckt. Die Miniatur-Zwillinge, so stellt sich heraus, betreiben eine Zwergenkeksfabrik auf Expansionskurs. Allerdings gehen den beiden Unternehmern die Orakelsprüche für die Kekse aus. Sie begeben sich auf Reisen, um an Orten wie Algebra und Geometrica oder im Buchstabenland Alphabet nach Inspiration zu suchen.

Es sprengt das Vorstellungsvermögen eines Erwachsenen, dass diese vielgestaltige Phantasiewelt und die sprachliche Gewandtheit, mit der sie erzählt wird, aus der Feder eines Achtjährigen stammen. Ein Staunen, das während der Lektüre bis zur letzten Seite andauert.

Doch nicht nur die Leser staunen. Auch Raphaels Eltern hatten während der Entstehung des ersten Zwergenmärchens eine überraschende Entdeckung zu machen. Das Fortschreiben der Geschichte erschien ihnen zunächst lediglich als ein neues Hobby. Als in der Geschichte allerdings ein stummer autistischer Junge im Rollstuhl auftauchte, ahnten die Eltern, dass viel mehr dahinter steckte: ein Weg, der Familie, den Freunden und Mitschülern die eigene Situation begreiflich zu machen.

Als wäre es nicht schon Aufgabe genug für einen Jungen ein Abenteuerbuch zu schreiben, musste Raphael Müller es unter besonders schweren Bedingungen tun.

Er hat es im Alter von acht Jahren geschrieben, indem er es Buchstabe für Buchstabe auf ein Netbook getippt hat. [...] Ein Schlaganfall kurz vor seiner Geburt hat so einiges in seinem Leben und in unseren Erwartungen durcheinandergewirbelt und für allerhand Nebenwirkungen gesorgt. Laufen funktioniert nicht - und Sprechen leider auch nicht. Raphael sitzt im Rollstuhl und benötigt Hilfe für jeden Handgriff. [...] Gestützte Kommunikation nennt man seine Art, sich zu verständigen. Er spürt seinen Körper oft nicht richtig, da hilft es ihm, wenn jemand seinen Arm oder seine Hand stützt und ihn ermutigt. Dann nimmt er seinen Körper besser wahr und kann auf einer Computertastatur tippen. An manchen Tagen schafft er mit Mühe einen einzelnen Satz, an besseren ein ganzes Kapitel oder mehr - vorausgesetzt, es findet sich jemand, der Zeit hat, ihn zu stützen.

Raphaels Alter Ego in dem Abenteuerroman heißt Daniel. Über ihn erfahren die Leser, wie ein Autist die Welt wahrnimmt, was in ihm vorgeht und wie manche Dinge in seinem Leben funktionieren. Zum Beispiel bekommt man ein Gespür dafür, wie das gestützte Schreiben funktioniert - und was für ein Segen diese Technik für die Betroffenen sein kann: Es ist das Ende der „grauenvollen Jahre gänzlichen Stummseins”. Endlich kann er sich mitteilen und erklären, wie es ist, Zahlen als Formen und Farben mit eigenem Charakter zu sehen. Er erklärt es seinen Freunden beim Zwergenabenteuer: „Die Eins ist ganz hell und nimmt sich selbst sehr wichtig, die Zwei ist eine gute, geduldige Zahl, die Fünf ist blau und lärmt, die Sechs sehr klein und schwarz, die Acht sagt nicht nein.” Buchstaben sind anders, „viel geselliger als Zahlen und auch kreativer”. Sie leben als Familien oder in Wohngemeinschaften zusammen. Sie freuen sich, wenn neue Wörter oder Sätze kreiert werden und leiden unter der fantasielosen Monotonie der heutigen Sprache.”

Wie wichtig es für Raphael Müller ist, sich mittels gestütztem Schreiben mitteilen zu können, kann man nicht nur am Output ablesen: Neben den vier inzwischen veröffentlichten Büchern hat er auch für die Schülerzeitung geschrieben, Texte in der Aichacher Zeitung veröffentlicht und Arbeiten für die Schule verfasst. Zuletzt war er zum Tag der Talente des Bundesbildungsministeriums in Berlin eingeladen. Außerdem gehörte sein Beitrag zu den Besten, die beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ausgezeichnet wurden.

Darin ging er der Frage nach, ob der Vater der Vererbungslehre Gregor Mendel, der auch sein Ur-Ur-Ur-Onkel ist, Autist gewesen sein könnte. Schwer vorstellbar, dass so viel Kreativität und Klugheit ohne das gestützte Schreiben niemals einen Weg nach außen gefunden hätten. „Raphael ist der schlaueste Kopf in unserer Familie”, sagt seine Mutter, die Mitinhaberin einer großen Zahnarztpraxis ist.

Im zweiten Band von „Asa und Gasa” geht es um eine abenteuerliche Reise: eine Fotosafari im Drachenland. Von ganz anderer Natur ist „Hilfe, es wird Weihnachten”. Diesen Band mit verschiedenen Texten und Gedichten hat Raphael Müller mit Kathi Kaldewey zusammengestellt. Er versucht, den Bogen von der christlichen Bedeutung des Fests in den heutigen Alltag zu schlagen.

In Raphael Müllers Texten spiegelt sich eine tiefe Verwurzelung im Glauben, die auch in den beiden Abenteuerromanen immer wieder durchscheint. Er vermittelt den starken Halt und Trost, den Gott allen Geschöpfen zu geben vermag - egal wie unterschiedlich sie sind. Ein Mensch - zum Beispiel ein Autist - sei nicht besser oder schlechter als ein anderer, er sei einfach nur anders. Das ist auch die Kernbotschaft, der „Asa und Gasa”-Bücher, die der Verlag zur gemeinsamen Familienlektüre empfiehlt.

Raphael Müller: Asa und Gasa. Abenteuer im Land der Zwerge. Verlag Fontis Brunnen Basel. Band 1, 160 Seiten mit Illustrationen, 12,99 Euro. Band 2, 256 Seiten, 13,99 Euro; Kathi Kaldewey und Raphael Müller: Hilfe, es wird Weihnachten. Anregungen zur Gestaltung. Geschichten und Gedichte. Verlag Mediakern, 176 Seiten, 8,85 Euro.


Von Carina Lautenbacher
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