Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 16.10.2017 09:00

Die emotionale Debatte um Ziffer 6

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Der Pflasterstein mit der Messingplatte darauf soll an Leonhard Hausmann erinnern. Den Ehemann von Wilhelmine Hausmann, Andrea Halbritters Großmutter. Beide engagierten sich im Augsburger Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Leonhard starb im Konzentrationslager. Seine Frau überlebte das NS-Regime.

Wilhelmines Stolperstein liegt neben dem von Leonhard, der bereits im Gehsteig ruht. Eingesetzt wird er heute nicht und dient somit als ein Symbol für die Diskussion zwischen Stadt und Initiativkreisen: Wer erhält einen Stein und wer nicht?

Das hat die Stadt im „Augsburger Weg der Erinnerung” definiert. An ihm waren unter anderem Vertreter von Opfergruppen, Bürgerinitiativen und Politiker beteiligt. Von „grundlegender Einigkeit” spricht Kulturreferent Thomas Weitzel. Und zwar über die „besondere Symbolkraft von Erinnerungszeichen für gewaltsam von den Nationalsozialisten ausgelöschte Leben”. Auch in anderen Städten, ergänzt er, würden die Steine „nur für Todesopfer verlegt”. Das ist in Ziffer 5 des „Augsburger Weges” festgehalten.

Allerdings existiert zusätzlich eine Ziffer 6. Die besagt, dass in besonderen Fällen und „aus nachvollziehbaren Gründen” Ausnahmen möglich sind, über die ein Fachbeirat entscheidet, der sich aus Weitzel, einer Historikerin, einem Juristen, einem Archivar und einem Vertreter der jüdischen Kultusgemeinde zusammensetzt.

Also können auch NS-Opfer mit Stolpersteinen gewürdigt werden, die überlebt haben? Ja, sagen die Initiativen. Doch genehmigt wurde bislang kein solcher Stein. So ist eine Debatte entstanden, die öffentlich ausgetragen wird und zuweilen unschöne Formen annimmt.

Josef Pröll, Bernhard Lehmann von der Initiative „Gegen Vergessen - Für Demokratie” und Thomas Hacker, Sprecher des Initiativkreises Stolpersteine, sprechen einige Tage vor der Verlegung von Desillusionierung. Sie bemängeln den ihrer Meinung nach zu eng gefassten Opferbegriff der Stadt, den Umgang mit bürgerschaftlichem Engagement und die Kommunikation.

Für Letzteres hat Hacker ein Beispiel und legt ein Schreiben von Weitzel auf den Tisch. Darin begründet der Kulturreferent, warum fünf der acht beantragten Stolpersteine am Samstag nicht verlegt werden dürfen. Der Fachbeirat habe dies empfohlen, heißt es darin, dem habe am 28. September der Stadtrat „mit großer Mehrheit seiner Mitglieder zugestimmt”.

Eine solche Abstimmung hat es jedoch nicht gegeben, schimpft Hacker. Informationen der AICHACHER ZEITUNG bestätigen das. Weitzel erklärt, es handle sich um eine „Fehlinterpretation”. Der Stadtrat habe in nicht-öffentlicher Sitzung „die Empfehlung des Fachbeirats diskutiert und zur Kenntnis genommen”. Anschließend habe sich eine „große Mehrheit des Stadtrats einer Protokollnotiz angeschlossen, die die praktizierte Auslegung der Ziffern 5 und 6 durch den Fachbeirat bekräftigte”, schildert Weitzel.

Mehr lesen Sie in der AICHACHER ZEITUNG vom 16. Oktober.


Von David Libossek
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