Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung

Flächenfresser Augsburger Land: Bedrohung aus Beton

Schwaben, du kannst so hässlich sein: Das zeigt der Bund Naturschutz (BN) auf einem Ortstermin im Landkreis Augsburg. Denn nirgends wurden laut BN in Bayern in den vergangenen zehn Jahren mehr Flächen überbaut. Die Naturschützer wollen verhindern, dass der Landkreis zur Betonwüste verkommt.

Regentropfen trommeln auf die Windschutzscheibe und zerplatzen. Der Scheibenwischer surrt, als er abermals die Sicht freigibt auf den Weg an ein Ziel, das nicht einmal dem Navigationsgerät bekannt ist. Die Kreuzung an der Amazonstraße in Graben ist wohl nicht umsonst einer dieser Flecken, die Thomas Frey als „Unorte“ betitelt.

Frey ist Referent des Bund Naturschutz (BN). Und er steht an eben jenem Ort, der ja irgendwie real ist, aber an dem man nun wirklich nicht sein will. Linkerhand die unendlichen Weiten des Amazon-Firmenparkplatzes, zur Rechten eine Baugrube. Der Rest ist grauer Beton, der mit dem genauso grauen Himmel verschmilzt. Und mittendrin eine Dönerbude, aus deren Sichtfenster ein Mann lächelt, während er Kaffee in Plastikbechern ausschenkt.

Währenddessen setzt Hubert Weiger zu seiner Ansprache an. Lange dauert es nicht, da fährt ihm ein Laster über den Mund, der hinter ihm vorbeidonnert. Freilich haben Weiger, der Vorsitzender des BN in Bayern ist, und Frey diesen Ort gerade deshalb ausgesucht. Laut und so schön hässlich dient er genau ihrem Zweck: Sie wollen zeigen, welche Gefahren es birgt, wenn das Anbindegebot gelockert wird.

Das hat nichts mit Hunden zu tun; es geht um Gewerbegebiete. Heimatminister Markus Söder hat in seiner Regierungserklärung „Heimat Bayern 2020“ vorgeschlagen, dass Gemeinden sich doch zusammenschließen könnten, um gemeinsam Gewerbegebiete auszuweisen. Die müssten dann auch nicht mehr wie bisher an einen Ort angrenzen, sondern können auch an größeren Bundesstraßen oder Autobahnausfahrten liegen – irgendwo auf der grünen Wiese.

Söder ist der Meinung, dass man so einerseits Einnahmen für die Kommunen generieren könne. Und andererseits die Menschen auf dem Land halten, schließlich entstehen auf den Gewerbeflächen ja Arbeitsplätze. „Eine dezentrale, regionale Entwicklung“ nennt er das.

Für einen rechten Schmarrn hält das der BN. Und deswegen stehen seine Vertreter auch im Nieselregen vor dem Dönerstand. Die Stellen, die in den Betonwüsten entstehen, seien keineswegs Arbeits-Oasen, sondern oft mit schlechten Bedingungen verbunden, argumentieren sie etwa. Nur einer der Gründe, weswegen sie Söder vehement widersprechen – und scharf gegen den Heimatminister schießen.

„Die freie Landschaft wird preisgegeben“, wirft Weiger Söder vor. Für ihn ist klar: Die ohnehin schon vorherrschenden Dumpingpreise für Gewerbeflächen würden weiter sinken, wenn das Anbindegebot gelockert wird: Mehr Gewerbeflächen bedeuten mehr Konkurrenzkampf, rechnet er vor. Den Kürzeren zögen Gemeinden im Hinterland, die nicht an große Straßen angebunden sind. „Sie werden Gewerbe verlieren“, ist Frey sicher.

Ohnehin verlagere sich durch Söders Pläne noch mehr Güterverkehr auf Bundesstraßen und Autobahnen. Für die Naturschützer freilich ebenso ein Unding wie das, was sie „das größte ungelöste Umweltproblem“ nennen: den Landverbrauch.

18 Hektar Fläche werden am Tag in Bayern bebaut. Der Landkreis Augsburg sei in dieser Disziplin in den vergangenen zehn Jahren gar Spitzenreiter im Freistaat gewesen. Landschaft verschandelt, wertvoller Ackerboden verloren, Lebensräume vernichtet, gespeichertes Grundwasser verringert, weil der Regen durch den Beton nicht mehr in die Erde abfließt: So lautet die beklemmende Bilanz der Naturschützer.

„Wenn in diesem Tempo weiter überbaut wird“, schwarzmalt Johannes Ensler, „wäre der gesamte Landkreis in 400 Jahren mit Beton bedeckt“. Ensler ist Vorsitzender der BN-Kreisgruppe. Und er warnt: Entlang der geplanten Osttangente drohen durch eine Anbinde-Lockerung, Gewerbeflächen aus dem Boden zu sprießen. Unorte wie jener außerhalb von Graben, wo „der Ort halb so groß ist wie seine Gewerbegebiete“, wie Ensler sagt.

Mittlerweile hat sich das Gespräch verlagert. Nach Derching im Landkreis Aichach-Friedberg. Vor der Filiale einer Fastfood-Kette an der Autobahn A 8 servieren Weiger und seine Kollegen ein weiteres Gefahrenbeispiel: „Hier hat das Gewerbegebiet das Ortszentrum abgelöst“, bedauert Frey. Das Gasthaus im Ort habe schließen müssen, Einzelhandel sei abgewandert.

Wie sich die Naturschützer jedoch das umweltfreundliche Gewerbegebiet der Zukunft vorstellen, diesen Vorschlag bleiben sie schuldig. Sie beschränken sich darauf, weitere Unorte verhindern zu wollen. „Söder soll seinen Plan beerdigen“, fordert Weiger. Und, glaubt man den Argumenten der Naturschützer, sollte er sich damit beeilen – bevor er keinen freien Flecken Erde mehr findet.


David Libossek
David Libossek

Sportredakteur

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