Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 26.11.2014 12:00

Aus dem Leben eines mutmaßlichen Mörders

Bis zuletzt wusste keiner, ob er tatsächlich kommen und sich äußern wird oder letztlich kurzfristig doch von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht. Als Beschuldigter in gleicher Sache - sein Revisionsverfahren läuft - und als Bruder hätte er das Recht zu schweigen. Er spricht aber.

Es ist der neunte Verhandlungstag im Prozess um die Tötung von Mathias Vieth. Der Angeklagte Raimund M. sitzt seit Ende September wieder auf der Anklagebank. Sein Bruder ist in gleicher Sache bereits im Februar verurteilt worden. Schuldig, besondere Schwere der Schuld und sogar Sicherungsverwahrung. Die beiden aus Polen stammenden Brüder sollen laut Anklage gemeinsam in jener nebligen Oktobernacht im Jahr 2011 den Polizeibeamten und zweifachen Familienvater kaltblütig erschossen haben, um einen geplanten Raubüberfall zu vertuschen.

Begrüßen dürfen sich Rebarczyk und Raimund M. nicht. Mehrere Polizeibeamte schirmen sie voneinander ab, obwohl nur wenige Schritte sie trennen. „Halte durch”, ruft Rebarczyk dem zwei Jahre älteren Raimund M. zu, der seit seiner Heirat den Familiennamen seiner inzwischen geschiedenen Ehefrau trägt.

Als Rudi Rebarczyk dem Gericht seine Personalien geben soll, sagt er: „Diese müssten hinlänglich bekannt sein nach 13 Monaten Prozess.” Der Vorsitzende Richter bleibt gelassen und arbeitet sich voran. Bevor es zur tatsächlichen Befragung kommt, bittet Rebarczyks Zeugenbeistand, ein Rechtsanwalt, der neben ihm sitzen und ihn während der Aussage beraten darf, um Verständnis für seinen Mandanten. Sollte er sich nicht angemessen artikulieren, sei dies auf die lange Untersuchungs- und zeitweilige Isolationshaft zurückzuführen. Doch zur Überraschung aller äußert sich der 59-Jährige äußerst gewählt, er verwendet Fremdworte im Zusammenhang mit der Parkinsonerkrankung seines Bruders und drückt sich sehr gepflegt aus. Im ersten Prozess, als die beiden noch gemeinsam auf der Anklagebank saßen, ließ sich Rebarczyk immer wieder zu unflätigen, staats- und polizeifeindlichen Äußerungen hinreißen. Dieses Mal hat er sich im Griff und stellt zunächst klar: „Ich stehe meinem Bruder und seinen Anwälten mit meiner Aussage zur Verfügung.”

Das Gericht erlaubt, ihm die Handfesseln abzunehmen, als klar wird, dass er tatsächlich aussagen wird. Rebarczyk erklärt, sein Bruder sei ein kranker Mann, der dem „körperlichen Zerfall” gegenüberstand. Unternehmungen seien mit ihm nicht mehr möglich gewesen. Bei Spaziergängen habe Raimund M. nach 100 Metern pausieren müssen. Er habe in den Jahren, die laut Rebarczyk für das Gericht von Interesse seien, wegen Gleichgewichtsstörungen nicht normal Fahrrad fahren können, geschweige denn Motorrad. Die Mörder des Polizisten Mathias Vieth sind nachts auf einer Honda durch den Siebentischwald in Augsburg geflohen. Immer wieder tauchte im ersten Prozess die Frage auf, ob der an Parkinson leidende M. überhaupt dazu in der Lage sei. Auch die Frage, ob Rebarczyk jemals gemeinsam mit seinem Bruder Motorrad gefahren sei beantwortet dieser prompt: „Nein, nie.”

Das Verhältnis zu seinem Bruder beschreibt Rebarczyk als „zwischenmenschlich positiv, brüderlich und freundschaftlich”. Sie hätten sich regelmäßig getroffen. Als Richter Wiesner wissen will, ob die beiden auch in der Tatnacht, am 28. Oktober 2011, verabredet waren und Rebarczyk sich kurzzeitig verstrickt, indem er einerseits erklärt „natürlich haben wir uns gesehen”, andererseits betont, dass sich „kein normaler Mensch an einen Tag, der Jahre zurückliegt erinnert, außer es liegt ein Schlüsselerlebnis vor”. Das sei aber nicht der Fall.

Der Polizistenmordprozess wird am Donnerstag, 9 Uhr, am Augsburger Landgericht fortgesetzt.


Von Tanja Marsal
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