Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 07.07.2018 12:00

Aktion, Reaktion, Interaktion

Was wie der Versuchsaufbau   in einem Science-Fiction-Labor wirkt, ist die aktuelle Ausstellung des Aichacher Kunstvereins im San-Depot.	Foto: Berndt Herrmann (Foto: Berndt Herrmann)
Was wie der Versuchsaufbau in einem Science-Fiction-Labor wirkt, ist die aktuelle Ausstellung des Aichacher Kunstvereins im San-Depot. Foto: Berndt Herrmann (Foto: Berndt Herrmann)
Was wie der Versuchsaufbau in einem Science-Fiction-Labor wirkt, ist die aktuelle Ausstellung des Aichacher Kunstvereins im San-Depot. Foto: Berndt Herrmann (Foto: Berndt Herrmann)
Was wie der Versuchsaufbau in einem Science-Fiction-Labor wirkt, ist die aktuelle Ausstellung des Aichacher Kunstvereins im San-Depot. Foto: Berndt Herrmann (Foto: Berndt Herrmann)
Was wie der Versuchsaufbau in einem Science-Fiction-Labor wirkt, ist die aktuelle Ausstellung des Aichacher Kunstvereins im San-Depot. Foto: Berndt Herrmann (Foto: Berndt Herrmann)

Betritt man seine Ausstellung „big bounce back” im Aichacher San-Depot, sieht man sich einer Vielfalt von Objekten gegenüber, die zusammen eine Großinstallation bilden. Ins Auge fällt sofort der große silberne Ballon, der auf ein US-amerikanisches Experiment aus der Mitte des 20. Jahrhunderts zurückgeht. „Big Bounce” sollte damals weltweite Kommunikation beschleunigen, ein Vorläufer des Internets also.

Davor verlaufen Barrieren, eine aus Neonleuchten-Sperren, eine aus einem Holzbalken, der einem Stahlträger nachempfunden ist. Ein Fake? Vielleicht. Auch die archaisch wirkenden Steinblöcke sind nicht das, was sie scheinen. Auf der Holzschiene sind zwei Schlitten montiert, die aufeinander zu zu rasen scheinen. Die Kollision ist wohl unausweichlich. Wer nicht spätestens hier die Gesamtinstallation als Großmetapher auf unsere Zeit versteht, ist für „Big Bounce” wohl verloren.

Das Thema des Konflikts und der Kollision nimmt auch ein hochkomplexes Element auf, das sich „In-ter-fe-renz” nennt. Druckluft wird durch Kompressoren auf eine mit Wasser gefüllte Wanne gedrückt, die dabei entstehenden, kollidierenden Wellen werden auf darunter liegendem Fotopapier belichtet. Die so entstandenen Fotogramme sind faszinierende Grafiken, die erneut etwas ganz anderes zu sein scheinen, als sie sind. Ausgelöst werden die Wasserkollisionen durch die Besucher der Ausstellung.

Damit kommt man zum eigentlichen thematischen Zentrum der Ausstellung. Die ist als künstlerisch-wissenschaftlich-technologische Versuchsanordnung über Information und Kommunikation zu verstehen, eine Reflexion über die Vernetzungen, die Progressionen, aber auch die Dialektik unserer Gegenwart. Denn Kommunikation wird durch WhatsApp, Facebook und Mails nicht in jedem Fall leichter und schneller, sondern mitunter auch umständlicher und missverständlich.

Im Mittelpunkt all dessen, als aktiver wie auch als passiver Zuschauer, als Erleidender und Erfahrender, steht aber der Mensch, eingebunden in ein komplexes technisches, aber auch soziales System.

Genau diese Rolle spielt er auch in der Ausstellung. Er ist nämlich keineswegs nur der Besucher und Betrachter. Indem er sich in der Ausstellung bewegt, löst er verschiedene Reaktionen und Vorgänge aus. Die Installation reagiert auf den Besucher. Darauf wiederum reagiert der Besucher, er spielt mit den Effekten, er bestimmt die Reaktionen - und bemerkt vielleicht nicht, wie er durch diese Reaktionen selbst gesteuert oder sogar manipuliert wird.

Zum sozialen Gebilde und Erlebnis wird die Ausstellung dadurch, dass die anderen Besucher das Ausstellungserlebnis jedes einzelnen beeinflussen. Jeder verändert durch seine Bewegungen und die von ihm ausgelösten Prozesse das Erleben der anderen Besucher, nimmt Einfluss darauf, was sie sehen und hören. Wobei durchaus nicht eindeutig ist, wer welche Reaktion auslöst, auf die wiederum ein anderer reagieren mag...

So wird aus der Aktion der Besucher und der Reaktion der künstlerischen Arbeiten sowie der anderen Besucher eine Interaktion. Das mag den einen oder anderen an eine Miniaturversion des berühmten Flügelschlags eines Schmetterlings in chaostheoretischen Modellen erinnern.

Dazwischen darf und soll man sich und diese große Kunstmetapher durchaus fragen, inwieweit der Mensch in diesem Modell und der Welt, die sie abbildet, noch als autonomes, mündiges Subjekt handelt, das frei und für sich selbst entscheidet und handelt. Oder ob nach Renaissance, Aufklärung und den Emanzipationsbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts weniger der nächste befreiende Schritt ansteht, als vielmehr der Rückschritt in eine neue digitale Unfreiheit und Selbstentmündigung.

Selten hat man im San-Depot eine raumbezogene Ausstellung gesehen, die konzeptionell so schlüssig, philosophisch fundiert, zeitbezogen und zeitkritisch und gleichzeitig so vielfältig unterhaltend war. Und während drinnen experimentiert wird, fließt draußen vielleicht immer noch alles, zumindest aber die Paar.

„big bounce back” wird am heutigen Samstag um 18 Uhr im San-Depot an der Donauwörther Straße eröffnet. Zu sehen ist die Ausstellung bis 26. August am Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 14 bis 18 Uhr sowie auf Anfrage.


Von Berndt Herrmann
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