Die drei Todesopfer hatten nichts geahnt, mit dem Angriff nicht gerechnet: Im Juli 2023 verlieren in einem Haus in der Gemeinde Langweid binnen weniger Augenblicke drei Menschen ihr Leben - mutmaßlich durch die Hand eines Nachbarn. Der 64-jährige Gerhard B. muss sich seit Dienstag vor der 4. Strafkammer des Landgerichts Augsburg verantworten, weil er unter dem Verdacht steht, drei Mitbewohner des Mehrfamilienhauses erschossen und zwei weitere Personen durch Schüsse schwer verletzt zu haben. Ob er sich äußert zu den Vorwürfen, bleibt am ersten Verhandlungstag offen.
„Ich will sein Gesicht sehen”, begründet eine Prozessbesucherin aus Langweid ihr Kommen. Rund 40 Zuhörer haben sich im Gerichtssaal eingefunden. Sie kenne den Angeklagten von zufälligen Begegnungen auf der Straße, beschreibt ihn als eigentlich ganz normal. Kleinlich sei er wohl.
Tatsächlich lag B. schon einige Jahre im Dauerstreit mit seinen Nachbarn, dabei ging es um den richtigen Termin, um Mülltonnen herauszustellen, und die Lautstärke von Unterhaltungen auf der Terrasse des Hauses in Langweid - pedantisches Verhalten, das man dem älteren Herrn mit Glatze und dunkler Brille, der an Händen und Füßen gefesselt in den Gerichtssaal geführt wird, eher zutraut als einen kaltblütigen Dreifach-Mord - doch genau das wirft ihm Staatsanwalt Thomas Junggeburth vor.
Als dieser die Anklageschrift vorliest, bleibt Gerhard B.s Gesicht meist unbewegt. Zwischendrin senkt er kurz den Blick, wenn Junggeburth detailliert aufzählt, wo die abgefeuerten Pistolenkugeln in die Körper der Opfer eindrangen, welche Blutgefäße zerfetzt wurden und wo die Projektile schließlich stecken blieben. Junggeburth beschreibt, wie B. laut Anklage, ausgerüstet mit Gehörschutz und geladener Pistole, den Nachbarn im Treppenhaus auflauerte, um sie mit Kopfschüssen zu töten, wie er auf die Wohnungstür des dritten Opfers feuerte, in der zutreffenden Annahme, jemand würde durch den Türspion schauen - und seine Nachbarin so ebenfalls mit einem Kopfschuss tötete - und wie der 64-Jährige schließlich zur Wohnung des Sohnes seines dritten Opfers fuhr, um diesen und dessen Freundin umbringen zu wollen. Durch viel Glück wurden die beiden nur verletzt. Immer wieder muss Gerhard B. während dieser Schilderungen merklich schlucken. Manche Details zu dem langjährigen Nachbarschaftsstreit kommentiert er mit einem angedeuteten Kopfschütteln, ansonsten hält er den Blick stoisch nach vorn gerichtet. Seit den Ereignissen Ende Juli 2023 befindet sich B. in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Gablingen.
Die Tatwaffe, eine „Beretta 92 Combat” mit einem Kaliber von neun Millimetern, hatte der 64-Jährige legal erworben und im Jahr 1999 auf sich eintragen lassen. Auch weitere Waffen, darunter der geladene Revolver „Smith & Wesson .357 Magnum”, der bei der Festnahme am Tattag bei ihm im Auto gefunden wurde, besaß der Sportschütze ganz legal.
Was den Rentner dazu veranlasst haben soll, genau an diesem Tag im Juli den seit Jahren andauernden Nachbarschaftsstreit „endgültig zu beenden”, wie es in der Anklageschrift heißt, kann auch Staatsanwalt Junggeburth nicht erklären.
Bereits heute geht die Verhandlung weiter. Gerhard B. hat im Beisein eines psychologischen Gutachters die Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Doch Verteidiger Walter Rubach macht wenig Hoffnung auf eine ausführliche Stellungnahme seines Mandanten. Eventuell werde Rubach eine Erklärung im Namen des Angeklagten abgeben, aber das müsse er noch einmal mit seinem Mandanten besprechen. Aus den Äußerungen des Rechtsanwalts lässt sich ableiten, in welche Richtung die Verteidigung gehen könnte. Die entscheidende Frage sei die nach der Schuld- beziehungsweise Schuldunfähigkeit, so Rubach. Doch die Staatsanwaltschaft schreibt in ihrer Anklage: „Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten waren zu keiner Zeit des Tatgeschehens beeinträchtigt.”
Bis zu einem möglichen Urteil im Juli bieten mehrere Verhandlungstermine die Möglichkeit aufzudecken, was der Auslöser für die „seelische und psychische Entgleisung”, wie Rubach den dreifachen Mord umschreibt, gewesen sein könnte.