Am Volkstrauertag gedenkt man nicht nur den Opfern der beiden Weltkriege, sondern allen Opfern von Krieg und Gewalt aus allen Völkern. Das ist heute genauso aktuell wie in den Nachkriegsjahren. Auch jetzt sind Bundeswehrsoldaten zu beklagen, die in Ausübung ihres Dienstes ums Leben gekommen sind. Der Blick in die Ukraine und andere Regionen der Erde zeigt wieder zerstörte Städte, verwüstete Landschaften und Menschen, die Gewalt und Leid ertragen müssen.
Das, was die Menschen in der Ukraine und anderswo erdulden müssen, hat auch bei uns vor wenigen Generationen viele Familien betroffen. Bei der Familie Winter aus Anwalting (Gemeinde Affing) mussten drei Söhne in den Zweiten Weltkrieg ziehen. Jedem widerfuhr ein anderes Schicksal. Zwei kamen erst nach vielen Jahren zurück und einer blieb für immer fort.
Josef Winter wurde am 15. März 1921 auf dem heimischen Anwesen geboren, wo er mit zwei Brüdern und vier Schwestern aufwuchs. Wie damals üblich, arbeitete er in der Landwirtschaft. Dann kam der Zweite Weltkrieg und die Wehrmacht zog ihn zum Kriegsdienst ein. Er war beim Russland-Feldzug 1941/1942 dabei. Seiner Familie berichtete er, dass er in der Ferne die Türme von Moskau in der Sonne blinken sah. Dann mussten die deutschen Truppen im harten russischen Winter zurück. Bei den extremen Bedingungen erfror er sich die Füße. Seine Verletzungen kurierte er anschließend in einem Lazarett aus.
Am 6. Juni 1944 landeten die Alliierten in der Normandie. Josef Winter geriet bei diesen Kämpfen in amerikanische Kriegsgefangenschaft. In Alabama arbeitete er in der Küche eines Gefangenenlagers. Die Bedingungen waren verglichen mit den Lagern in anderen Ländern gut.
Nach drei Jahren Kriegsgefangenschaft ging es im Frühherbst 1947 zurück in die Heimat. Die erste Station in Europa war in England. Josef Winter hat ab diesem Zeitpunkt seine Rückkehr detailliert in einem kleinen Spiralblock aufgeschrieben. Am 24. September 1947 ist vermerkt: „8 Uhr Abfahrt von Fridaybridge“. Der Ort liegt in Ostengland. Über Cambridge ging es nach Bury St. Edmunds und von dort zu Fuß in ein Waldlager, das drei Meilen außerhalb lag. Am 8. Oktober 1947 folgte ein Zugtransport an die Küste nach Harwich und von dort mit einem Schiff zum europäischen Festland. Am 9. Oktober 1947 hat er aufgeschrieben: „6 Uhr Ankunft in Bentheim, Frühstück eingenommen, von Mädchen die ersten Blumen“. Über Osnabrück und Minden ging es nach Munster in der Lüneburger Heide. Bei dieser Fahrt ist er 19 Stunden in der Bahn gestanden. Am 15. Oktober 1947 wurde Josef Winter im Lager Hammelburg aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Als letzter Eintrag ist in seinen Aufzeichnungen das Datum der Rückkehr dick vermerkt: „8.30 Uhr Ankunft in Augsburg 16. Okt. 1947“. Nach Anwalting waren es dann nur noch wenige Kilometer. Später übernahm er das elterliche Anwesen. Josef Winter starb hochbetagt am 22. Januar 2017.
Johann Winter war Jahrgang 1922. Seine Einheit gehörte zur 6. Armee, die Stalingrad erobern sollte. Der deutsche Angriff auf die Stadt erfolgte im Spätsommer 1942. Beim sowjetischen Gegenangriff im November 1942 wurden über 330▎000 Soldaten der Wehrmacht und ihrer Verbündeten von der Roten Armee eingekesselt. Ein Gesuch des deutschen Befehlshabers Paulus, aus dem Kessel ausbrechen zu dürfen, wurde von Hitler abgelehnt. Dieser vertraute dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring, der zugesagt hatte, die Eingeschlossenen aus der Luft zu versorgen. Für die Luftversorgung fehlten der deutschen Luftwaffe im Winter 1942/1943 aber die Möglichkeiten. Die von der 6. Armee täglich benötigten 300 bis 400 Tonnen Nachschub konnten nicht geliefert werden. Die tägliche Lebensmittelration der ausgehungerten Soldaten lag an Weihnachten 1942 bei zwei Scheiben Brot, ein wenig Tee und manchmal einer dünnen Suppe.
Als die Wehrmacht Ende Januar/Anfang Februar 1943 die Kämpfe einstellte, waren noch 110▎000 deutsche und verbündete Soldaten im Kessel, die nun in Gefangenschaft gingen. Etwa 150▎000 deutsche Soldaten waren bei den Kämpfen umgekommen, erfroren oder verhungert. Nur 6000 Überlebende kehrten nach der Kriegsgefangenschaft nach Deutschland zurück. Johann Winter gehörte nicht dazu. Seit dem 1. Januar 1943 wurde er wie abertausende andere vermisst. Was dem damals Zwanzigjährigen widerfahren ist, konnte nicht geklärt werden.
Thomas Winter wurde am 9. Oktober 1923 geboren. Nach der Schulzeit war er Dienstbote bei Bauern. Auch ihn zog die Wehrmacht ein und stationierte ihn an der französischen Atlantikküste. Später erfolgte die Verlegung an die Ostfront. Im heutigen Polen geriet der junge Soldat in Kriegsgefangenschaft und musste viereinhalb Jahre unter kärglichen Bedingungen in einem Bergwerk in Kattowitz arbeiten. Seiner Familie erzählte er von der Suppe, in der nur ein paar Fischgräten schwammen.
Er kehrte im Oktober 1949 aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Der damals 26-Jährige befand sich in schlechter körperlicher Verfassung. Sein Magen war so entwöhnt, dass er keine normale Mahlzeit vertrug. Er musste erst langsam wieder zu Kräften kommen. 1961 heiratete er in eine Landwirtschaft in Todtenweis ein. Thomas Winter starb am 13. Oktober 2013.