Von Georg Rößners Brust blickt grimmig ein Mammut herab. Das schwarze Ungetüm wirkt, als würde es jeden Moment das braune T-Shirt des Mannes verlassen, um den Pflegenotstand mit roher Stoßzahngewalt zu lösen. Bis es soweit ist, müssen es jedoch Worte richten. Und die liefert der Mann, der in dem T-Shirt steckt. Sie beschreiben die Zustände am Klinikum, kritisieren eine Aussage des Verdi-Bezirkssekretärs und fordern mehr Wertschätzung für Pflegekräfte.
Rößner sitzt mit anderen Protagonisten der Pflege am Klinikum Augsburg an einem weißen Tisch in einem Raum, der zur Frauenklinik im zwölften Stock des Krankenhauses gehört. Sie wollen ihren Teil der Geschichte erzählen, nachdem in den Tagen der Grippewelle - die sich derart stark auswirkte, dass das Klinikum zeitweise nur mehr Notfälle versorgen konnte - viel über sie gesprochen wurde. Überlastet, überarbeitet, unterbesetzt - freilich traf einiges auch zu und nein, schönreden, betont Rößner, wolle man natürlich nichts.
Aber irgendwie, findet der Sprecher des Pflegebeirats am Klinikum, der selbst seit mehr als 30 Jahren in der Pflege arbeitet, seien Belegschaft und Beruf zu negativ weggekommen. „Wenn ich lese, es sieht bei uns aus, schlimmer als in einem Feldlazarett, dann ärgert mich das”, schimpft er ohne laut zu werden. Diesen Vergleich wählte Verdi-Bezirkssekretär Stefan Jagel, um die Lage während der Grippeendemie zu beschreiben. „Die Patienten waren jederzeit gut versorgt”, entgegnet Rößner und erhebt dieses Mal sogar ein wenig die Stimme.
Denn derlei Aussagen seien es, die zusätzlich junge Leute abschrecken, einen Pflegeberuf zu erlernen. Dabei werden sie dringend benötigt. Beschäftigungslose examinierte Pflegekräfte haben derzeit nämlich eines mit dem Mammut gemein: Es gibt sie nicht mehr. „Der Markt ist erschöpft”, sagt Bruno G. Wirnitzer, Leiter der Akademie für Gesundheitsberufe am Klinikum, der mit am Tisch sitzt.
Das Großkrankenhaus hat sogar eine Prämie ausgeschrieben: Angestellte, die eine examinierte Pflegekraft fürs Klinikum anwerben, erhalten 2500 Euro. Azubis, die nach der Ausbildung bleiben, 1000 Euro. Zwar setzen ohnehin rund 70 Prozent der Lehrlinge ihre Laufbahn an der Klinik fort. Man habe es jedoch für gerecht befunden, auch sie fürs Weitermachen zu belohnen. Allerdings würden viele die Pflege wieder verlassen - im Durchschnitt nach sieben Jahren. „Sie fangen bei Krankenkassen oder in anderen Gesundheitsberufen an”, erläutert Jörg Roehring, der stellvertretender Pflegevorstand des Klinikums ist.
Um dem Mangel entgegenzuwirken, bewege man am Klinikum einiges. Einer nach dem anderen am Tisch trägt etwas bei. Von speziellen Rückenschulungen, möglichst individuell gestalteten Dienstplänen und neuen Ausbildungszweigen bis hin zu abgemeldeten Betten, wenn Überlastung droht.
Eine zusätzliche Million Euro im diesjährigen Pflegeetat wurde zudem in Hilfskräfte und Stationsmanager investiert. Erstere nehmen den Pflegern allerlei nichtmedizinische Aufgaben ab, Letztere den bürokratischen Aufwand. Der nächste Schritt sei, die Digitalisierung voranzutreiben, sagt Roehring. Noch immer werden etwa Blutdruck und Körpertemperatur der Patienten handschriftlich erfasst und erst anschließend ins digitale System eingegeben.
Am Fachkräftemangel an sich können sie am Klinikum selbst freilich wenig ändern. Das System müsse sich ändern, die Politik umdenken. „Was ist Pflege wert?”, sei die entscheidende Frage, findet Rößner. Besser bezahlt müssten Pfleger sein, die Nacht- und Wochenendzuschläge angehoben werden, fordert er.
„Aber Geld ist nicht alles”, ergänzt Susanne Arnold, Vorsitzende des Pflegevorstands. Die Pflege müsse wie in manchen anderen Ländern ein eigener Kompetenzbereich werden, dem noch mehr Verantwortung - und damit verbunden mehr Wertschätzung - zukommt. „Diabetikerberatung, Wundversorgung, Heilmittelverordnung. Wir sind Experten dafür”, plädiert sie. Pfleger sind dazu aber gesetzlich nicht berechtigt.
Um derlei Dinge zu ändern, bedarf es auch einer stärkeren Lobby - die hat die Pflege allerdings bislang nicht, moniert Wirnitzer. Erst 2016 stimmte der Landtag gegen eine Pflegekammer. Nun hoffen sie im zwölften Stock des Klinikums auf das neu geschaffene Landesamt für Pflege und Gesundheit in Bamberg und auf die Uniklinik.
In einem sind sich allerdings alle einig: Die Zeit drängt. Jetzt muss etwas angestoßen werden, damit sich in zehn bis 15 Jahren spürbar etwas geändert hat. Notfalls mit roher Stoßzahngewalt. (von David Libossek)