Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 22.04.2024 13:04

Steine machen das Leben leichter

Tonnenweise Steine wurden am Freitag in die Kleine Paar eingebaut. Wasserbaufachmann und Gemeinderat Matthias Schlicker war immer mittendrin und gab die richtigen Kommandos. (Foto: Willi Wagner)
Tonnenweise Steine wurden am Freitag in die Kleine Paar eingebaut. Wasserbaufachmann und Gemeinderat Matthias Schlicker war immer mittendrin und gab die richtigen Kommandos. (Foto: Willi Wagner)
Tonnenweise Steine wurden am Freitag in die Kleine Paar eingebaut. Wasserbaufachmann und Gemeinderat Matthias Schlicker war immer mittendrin und gab die richtigen Kommandos. (Foto: Willi Wagner)
Tonnenweise Steine wurden am Freitag in die Kleine Paar eingebaut. Wasserbaufachmann und Gemeinderat Matthias Schlicker war immer mittendrin und gab die richtigen Kommandos. (Foto: Willi Wagner)
Tonnenweise Steine wurden am Freitag in die Kleine Paar eingebaut. Wasserbaufachmann und Gemeinderat Matthias Schlicker war immer mittendrin und gab die richtigen Kommandos. (Foto: Willi Wagner)

Viel Lob gab es von Stefan Höpfel, dem Vorsitzenden des Landesbundes für Vogelschuz (LBV), und Kreisfischereifachberater Thomas Lechner für eine Bürgeraktion in Baar. Diese will aus der Kleinen Paar einen erlebbaren Naturraum formen und den träge dahinfließenden Bach mit neuem Leben erfüllen.

Von Gemeinderat und Wasserbaufachmann Matthias Schlicker initiiert, stieß das im Mitteilungsblatt der Gemeinde angekündigte Vorhaben zunächst auf geteiltes Echo, fand aber dann doch viele Unterstützer. Zum ersten Arbeitsdienst fanden sich 20 Helfer, darunter auch der Bürgermeister Roman Pekis und Gemeinderäte, an der Mehrzweckhalle ein, um den Abschnitt entlang des Sportplatzes bis zum Feuerwehrhaus zu bearbeiten. Am vergangenen Freitag nun der zweite Arbeitstag, für den ein 40-Tonnen-Sattelzug Flussbausteine und zwei Vierachser mit Kies angefahren hatten. Damit wurden aus dem Absturz an der Schulstraße ein wieder durchgängiger Bachlauf geformt. Steine und Kies wurden so platziert, dass Stellen mit starker Strömung und auch ruhigere Wasser entstehen.

Einen Brennpunkt stellte der bisherige Absturz an der Fußgängerbrücke am Soccerfeld dar. Ziel war es, mit Störsteinen und Bunsen Strömungsvielfalt zu erzeugen und damit verschiedene Lebensräume für Fische und Insekten zu schaffen. Die auf kürzeren Strecken beschleunigte Strömung soll zusätzlich die Ablagerung von Schlammverhindern.

Per Hand und mittels Radlader und Bagger wurden bereits am vorvergangenen Samstag an verschiedenen Stellen Wasserbausteine platziert. Am früheren Absturz sorgt nun eine raue Rampe für Verwirbelungen, die Sauerstoff ins Gewässer bringen. Zudem ist die Stelle für Fische nun leichter zu überwinden. Keine leichte Arbeit, hatten die zu verbauenden Steine doch ein ordentliches Gewicht. Der fachgerechte Einbau ließ sich nur per Hand und im Wasser stehend erledigen; bisweilen gab es auch ordentlich Spritzwasser.

LBV-Kreisvorsitzender Stefan Höpfel lobte die Aktion, denn bisher fehlten seichte Stellen und auch schneller fließendes Wasser. Aktuell würden sich nur durchziehende Vögel an der Kleinen Paar finden. Die neue Situation könnte auch Bekassine und Bruchwasserläufer anziehen, denn die in den seichteren Stellen schwimmenden Köcherfliegenlarven seien nicht nur Nahrung für Fische.

Höpfel sah Parallelen zu einem ähnlichen, wenn auch größeren Projekt an der Wertach. Dort habe sich innerhalb von fünf Jahren die Vogel- und Insektenwelt positiv verändert. Mit dem Zeller Bach hätte er schon ein weiteres Objekt im Auge, so der LBV-Kreischef. Kaum angekommen beteiligte sich Höpfel gleich aktiv und reihte sich in die Kette ein, um Steine weiterzureichen, die Matthias Schlicker und Bürgermeister Roman Pekis im Wasser stehend verarbeiteten. Mittels zuvor angebrachter Markierungen wurde strikt darauf geachtet, dass sich der Wasserstand nicht erhöht.

Für Kreisfischereifachberater Thomas Lechner ist die Kleine Paar eigentlich ein typisches Forellengewässer. Der Zustand sei momentan jedoch unbefriedigend, denn es fehlen Laichplätze und die Durchwanderbarkeit. Die Revitalisierung, wie in Baar nun begonnen, bringe mehr als jeder Fischbesatz, welcher nicht nur teuer, sondern auch nicht nachhaltig sei. Lechner bezeichnet das Baarer Projekt deshalb als durchaus nachahmenswert auch für andere Gemeinden.

Ähnlich wie in Baar denkt man auch bachabwärts. Die Nachbarn in Holzheim waren an diesem Tag ebenfalls an einem Abschnitt tätig. Dort unterstützt jedoch die Gemeinde die Arbeiten, wie der stellvertretende Bürgermeister Josef Oßwald und Fischereivereinsvorsitzender Manuel Liefke bestätigten. Die Revitalisierung der Kleinen Paar ist somit nicht nur gemeinde- sondern sogar landkreisübergreifend. Für Matthias Schlicker ist es bereits das zweite angestoßene Bürgerprojekt. Auf seine Initiative geht auch die Bepflanzung entlang des Weges nach Maria im Elend zurück.

So veränderte sich die Kleine Paar

    Die Renaturierungsarbeiten in Baar besichtigten auch Vertreter des Wasserwirtschaftsamtes Donauwörth, der Sponsoren PSD-Bank und Postcode sowie des WWF (World Wide Fund for Nature). Begleitet wurde die Aktion von einem Kamerateam des Münchener Unternehmes „das Schaffenswerk“ unter der Leitung von Marc Tscharntke. Bereits zweimal war das Team in Baar und zum Abschluss der zweiteiligen Dokumentation wird es im nächsten Jahr nochmals Filmaufnahmen geben. Sigrun Lange von der Umweltorganisation WWF und Gemeinderat Matthias Schlicker erläuterten die Ausgangslage. In den 1960-er Jahren wurden in den Feldern Drainagen eingebaut und der Bach begradigt. So wurde zusätzliches Land gewonnen und das Ziel, das Wasser so schnell wie möglich abzutransportieren, erreicht. Nachteil dabei war die Verlagerung der Wassermenge an den Unterlieger und die weitere Vertiefung, sprich das „Eingraben“ des Baches, was wiederum den Abfluss verlangsamte. Mit Sohlschwellen versuchte man deshalb Abstürze zu schaffen und den Wasserlauf wieder zu beschleunigen. Fische und Kleinstlebewesen, die das Hindernis nicht überwinden konnten, blieben dabei aber auf der Strecke. Ganze Bachläufe verloren dadurch an Leben. Wie Ruben van Treeck, der Gewässerreferent und Fischökologe des WWF sagte, sind die Oberläufe der Bäche wichtig für die Fortpflanzung vieler Lebewesen. Nur dort sind Wasserqualität, Wassertemperatur und Umfeld für die Brut und den Nachwuchs optimal. Ganze Bach- und Flussläufe hätten durch Abstürze ihre Lebewesen verloren. Während beispielsweise Forellen Dank Luftblase kleinere Hindernisse überspringen können, fehlt Mühlkoppen und vielen anderen Lebewesen diese Eigenschaft. Bis 2027 sollten gemäß EU-Richtlinie alle Flüsse für Lebewesen durchgängig sein, so Sigrun Lange; bislang seien es in Deutschland nur neun Prozent. „Baar kann sich glücklich schätzen einen Matthias Schlicker zu haben, der einerseits Fachwissen hat, aber auch Menschen begeistern und mitnehmen kann“, sagte Lange.


    Von Willi Wagner
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