Ein Mann, grauer Bart, Jeansweste mit Aufnäher, geht mit einer Gitarre einen Fußweg in Augsburg entlang. Er spielt Rock'n'Roll, filmt dabei mit einer kleinen Kamera. Was er singt, ist nicht zu verstehen. Jovan Jovanovic improvisiert die Sprache, während er läuft und musiziert. Der Auftritt ist Teil seines Kunstprojekts „Walking Guitar”, das er vor ziemlich genau zehn Jahren begann.
Damals sei er die Schertlinstraße entlang gegangen und dann weiter zum Königsplatz - vorbei am Polizeipräsidium, erinnert sich der 75-Jährige mit einem verschmitzten Lächeln zurück. „Aber die haben nix gemacht.”
Jovanovic sitzt auf einem Bürostuhl, auf einem Tischchen vor ihm stapeln sich Zeichnungen und Skizzen. Leuchtend-farbige Gemälde, große und kleine, verdecken dicht an dicht die Wände der kleinen Wohnung im Wolframviertel. Jovanovic musiziert nicht nur, er malt, zeichnet, schreibt Gedichte - und er hat in München an der Akademie der Bildenden Künste studiert. An die Zimmertüre angeheftet bewahrt er seine Einschreibungsbescheinigung aus dem Jahr 1992 auf, fast so, als könne er es nicht glauben, dass es wirklich passiert ist, dass nicht alles bloß ein Traum ist.
1949 kam er in einem kleinen Dorf im serbischen Teil des damaligen Jugoslawiens zur Welt. Bereits als Kind plagten ihn Alpträume, die er sich nicht erklären konnte. In der Schule lernte er Deutsch. Doch dort erfuhr er auch Gewalt durch Lehrer, die ihn bis heute ratlos zurücklässt. Sein Ventil für die unbeantworteten Fragen war das Zeichnen und später die Malerei, die ihn fortan durch Höhen und Tiefen seines Lebens begleiten sollten. Auf rund 40 000 schätzt er seine gesammelten Zeichnungen.
Angetrieben vom Vater lernte er Elektriker, fand aber nach dem Militärdienst keine Arbeit in Jugoslawien. 1971 verschlug es ihn nach Deutschland, wo er in einer Fabrik als Betriebselektriker eine Anstellung fand. Doch er trank zu viel Alkohol, verlor die Stelle und landete schließlich auf der Straße. Es war eine harte Zeit des Hungers, der Unsicherheit - sichtlich eine schlimme Erfahrung für ihn. Kurz wendet er den Kopf ab und ganz tief aus seiner Brust entrinnt ein „Ach!”.
Um in der Obdachlosigkeit etwas Geld zu verdienen, bot er auf der Leopoldstraße in München Zeichnungen und Bilder zum Verkauf an, für wenige Mark, um sich das Essen in der Cafeteria der Akademie der Bildenden Künste leisten zu können. „Dort war so eine angenehme Atmosphäre”, sagt Jovanovic. Und tatsächlich wandte sich hier sein Schicksal. Zunächst wurden Studenten auf ihn aufmerksam, weil er auch dort zeichnete. Schließlich blieb dem Lehrpersonal das Talent nicht verborgen. Sein späterer Professor habe gesagt: „Wir wollten ihn nicht aufnehmen, wir mussten!”, erinnert sich Ute Illig. Sie ist Jovanovics Freundin und auch Künstlerin. Sie lernten sich damals an der Akademie kennen und studierten gemeinsam. 1999 erhielt Jovanovic sein Diplom.
Inzwischen bekommt er mehr als nur ein paar Mark für seine intensiv-farbigen Bilder. Er hat in zahlreichen Ausstellungen seine abstrakte Kunst präsentiert, auch in Aichach - zuletzt im Sommer 2023 im SanDepot Aichach als Beitrag zur Ausstellung des Kunstvereins Aichach, in dem Illig und Jovanovic Mitglieder sind.
Und dann ist da noch das Projekt „Walking Guitar”. Inzwischen war Jovanovic damit schon in vielen größeren Städten Deutschlands sowie in Wien und Paris. Die Auftritte sollen ein Gegengewicht sein in einer Zeit, „die effektiv, gewinnbringend und dem Tempo verhaftet ist”. Seine musikalischen Spaziergänge dokumentiert Jovanovic in Videoaufnahmen. Die künstlerisch nachbearbeiteten Filme veröffentlicht er auf der Plattform You Tube und in verschiedenen Sozialen Medien. Mittlerweile sind mehr als 600 Videos zusammengekommen. Gerne würde er mit der Stadt Augsburg zusammen ein Projekt wagen, etwa einen Guitar-Walk entlang des Weltkulturerbes. Eine Anfrage habe er schon gestellt. Die positive Antwort aus dem Kulturreferat lässt noch auf sich warten.
Wer Jovan Jovanovic und seine Kunst kennenlernen möchte, hat dazu Gelegenheit im Rahmen der Offenen Ateliers und Studios im Gaswerk Augsburg. Jovanovic öffnet seine Werkstatt am heutigen Samstag von 14 bis 19 Uhr und am morgigen Sonntag von 12 bis 17 Uhr.