Alphornbläser, Karate-Kämpfer, alevitische Musikanten, eine Philosophin, Winnetou und eine überdimensionierte goldene Kugel: Mit diesen Zutaten hat Brechtfestival-Leiter Julian Warner am Samstag ein „Turnfest” zusammengerührt, das er den mehreren Hundert Eröffnungsgästen seiner Festivalzentrale, dem „Brechts Kraftklub”, servierte.
Vor den Toren Oberhausens befindet sich das Gebäude des ehemaligen Möbelgeschäfts Lederle, in dem zuletzt auch ein Fitnesscenter untergebracht war, und damit liegt es perfekt für Warners Vorgabe, diesen Stadtteil ins Zentrum des diesjährigen Brechtfestivals zu rücken. Das Motto lautete „No Future”.
Nach dem formalen Eröffnungsabend für das Festival am Freitag - das Staatstheater feierte Premiere für „Mutter Courage und ihre Kinder” auf der Bühne im Martini-Park - ist die Einweihung des Kraftklubs das öffentlichkeitswirksame Läuten der Essensglocke. Auf dem Parkplatz hinter dem Bau an der Langenmantelstraße zeigen Voltigierverein, Yoga-Begeisterte, Rugbyspieler und Kampfsportler ihr Können, während auf dem zur Rednerbühne umfunktionierten Vordach des Hintereingangs die Philosophin Eva von Redecker spricht. Über ihre Reise-Albträume erzählt sie, von der Angst, Anschlüsse zu verpassen, zurückzubleiben. Und sie zitiert Bertolt Brechts Schachpartner Walter Benjamin, spannt den zeitlichen Bogen vom Damals zur Klimakatastrophe und den Kämpfen in Gaza. „Wenn der Lauf der Geschichte in keine Zukunft führt, muss er aufgehalten werden”, heißt es im Festivalprogramm zum Kraftklub.
Von Redecker gibt das Mikrofon weiter. Die Vertreter dreier Religionsgemeinschaften aus Augsburg sprechen, während auf dem Parkplatz die sportlichen Leibesübungen weitergehen, anmoderiert von Damian Rebgetz, der sich zu diesem Anlass für ein blaues Kleid, Pelzstola, grüne Perücke und schwarzen Federkopfschmuck als Kostüm entschieden hat. Das letzte Wort hat ein anderer. Aus den Lautsprechern wimmert das Musikthema der Winnetou-Filme der 1960er Jahre. Und tatsächlich reitet der Häuptling der Apachen auf einem Rappen auf dem Parkplatz ein. Matthias Nawo gab früher in der Westerncity Dasing den Winnetou. In seiner Paraderolle ermahnt er am Samstag die Menschen zu Friede und Toleranz. „Unser Volk weiß: Gedanken erzeugen Realität. Doch das scheinen die Menschen der Zivilisation vergessen zu haben”, gibt er den Zuschauern mit auf den Weg, bevor er sie zum gemeinsamen Einmarsch in „Brechts Kraftklub” einlädt.
Im Gebäude empfängt die Gäste ein stechender Geruchscocktail, der an Teppichkleber und eingestaubte Zimmer erinnert. Schnell mischen sich verschiedene Gemüsearomen vom Catering dazu. In einem Boxring und rundherum beginnen Athleten mit dem Aufwärmtraining. Vor einer Tribüne versuchen sich Tänzer an einer Choreographie und in einer Ecke werfen sich die Karate-Kämpfer vom Parkplatz gegenseitig auf die Matte - im Kraftklub wird bereits fleißig trainiert.
Hier soll es während der Festivaldauer täglich Programm geben: Mitmachtrainings, Shows, Lesungen, Auftritte, Workshops und Clubnächte. „In Brechts Kraftklub wird gegen die drohende Zukunftslosigkeit trainiert”, so das Programm. Körper würden geformt, Haltungen einverleibt. Der Kraftklub will ein Ort sein für Leibesübungen und Diskussionen.
Mehr an den Geist richtet sich das Studentenprojekt Community Arts Lab Augsburg (Cala). Eines der Ergebnisse ist die Ausstellung „Urban Legends of Oberhausen”. Inspiriert von den Zeitkapseln, den goldenen Kugeln auf den Spitzen des Doms, ersannen die Studentinnen Lina Determann und Marie Herrndorff eine eigene Erzählung über eine goldene Kugel in Lechhausen, eine Zeitkapsel, die Geschichten von verschiedenen Orten und Menschen in sich aufnimmt. Nun hängt diese goldene Kugel im Treppenhaus des Krafklubs. Den vermeintlichen Inhalt, mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz erzeugte Bilder, zeigt die Ausstellung. Der Frage, was könnte sein, gehen tägliche „Social Dreaming”-Workshops nach. „Wenn schon keine Zukunft, dann kann man wenigstens zusammen träumen”, greift Moderator Damian Rebgetz noch einmal das Festivalmotto „No Future” auf und ein augenscheinlich zufriedener Julian Warner lädt zur aktiven Teilnahme am Brechtfestival ein: „Ich freue mich auf die kommenden zehn Tage.” Ein bisschen Zukunft ist dann also doch noch.
Info:Das Programm zum Brechtfestival, das noch bis 3. März dauert, findet sich auf brechtfestival.de.