Der Jahresrückblick 2023 der Aichacher Zeitung
Veröffentlicht am 09.09.2021 18:13

„Ein Klima der Angst”

Im Kinderheim Reitenbuch   wurden in den 60er und 70er-Jahren mehrere Kinder sexuell missbraucht.	Repro: Laura Türk (Repro: Laura Türk)
Im Kinderheim Reitenbuch wurden in den 60er und 70er-Jahren mehrere Kinder sexuell missbraucht. Repro: Laura Türk (Repro: Laura Türk)
Im Kinderheim Reitenbuch wurden in den 60er und 70er-Jahren mehrere Kinder sexuell missbraucht. Repro: Laura Türk (Repro: Laura Türk)
Im Kinderheim Reitenbuch wurden in den 60er und 70er-Jahren mehrere Kinder sexuell missbraucht. Repro: Laura Türk (Repro: Laura Türk)
Im Kinderheim Reitenbuch wurden in den 60er und 70er-Jahren mehrere Kinder sexuell missbraucht. Repro: Laura Türk (Repro: Laura Türk)

Laut der Projektgruppe steht fest, dass in Reitenbuch zwei der drei beschuldigten Hausgeistlichen, einer davon wiederholt, sexuelle Gewalt gegen Heimkinder ausgeübt hat. Beide Männer sind bereits verstorben. Betroffen waren laut aktuellem Wissensstand zwei männliche Heimkinder und ein Jugendlicher. Mehrere Buben wurden außerdem von drei weiteren Mitarbeitern und einem Nachbarn des Heims wiederholt sexuell missbraucht. Im Marienheim Baschenegg waren von 1995 bis 2004 drei Mädchen sexueller Gewalt durch ältere Heimkinder ausgesetzt.

Doch auch die Kinder, die nicht Opfer sexuellen Missbrauchs wurden, hatten oft noch lange mit den Folgen der Heimerziehung zu kämpfen. Sie waren im Josefsheim zwischen 1950 und 1989 sowohl körperlicher als auch psychischer Gewalt ausgesetzt, die von Heimleiterinnen, Ordensschwestern, Geistlichen und weiteren Mitarbeitern des Hauses ausging. Die Betroffenen berichteten unter anderem von heftigen Schlägen mit Bambusstecken auf den nackten Hintern, Essenszwang, Demütigungen und Drohungen. Viele der ehemaligen Heimkinder erzählten laut Mette von langfristigen Folgen des Missbrauchs - von Berührungsängsten, Schlafstörungen und Angstzuständen, die teilweise auch zu einer Beziehungsunfähigkeit führten.

Aufzeichnungen zu diesen Vorfällen fand die Projektgruppe in den Personalakten des Bistums nicht. Darum sei auch nicht nachzuweisen, dass dieses damals Kenntnis von den Vorfällen hatte. Zumindest von den Betroffenen gebe es auch keine Hinweise darauf, dass Meldungen „nach oben” gingen, so Mette. Der kontinuierliche Missbrauch sei „durch das Schweigen der Kinder” ermöglicht worden, die im Heim keine Vertrauensperson hatten. Von den Ordensschwestern hätten die Kinder keinerlei Empathie erfahren, und auch die präventive Heimaufsicht habe „ausnahmslos versagt”.

Die Projektgruppe setzte sich überwiegend aus externen Juristen zusammen, die der heutige Augsburger Bischof Bertram Meier in seiner Zeit als Diözesanadministrator eingesetzt hatte, um die Vorwürfe von zunächst 14 Betroffenen aufzuklären. Daraufhin meldeten sich weitere Opfer und Zeugen. Da es keinerlei Aufzeichnungen gab, seien die Berichte der Betroffenen von Beginn an im Zentrum der Aufklärung gestanden, so Elisabeth Mette. Sie und die anderen „Volljuristen” in der Projektgruppe hätten diese einer „strengen Plausibilitätsprüfung” unterzogen.

Es sei auch der „ausdrückliche Wunsch” der Betroffenen gewesen, dass die Vorfälle der Öffentlichkeit präsentiert werden, so die Leiterin der Projektgruppe. Somit sei der Bericht auch ein Teil der Aufarbeitung, ebenso wie die finanzielle Entschädigung. Laut Diözesanrechtsdirektor Reiner Sroka hat das Bistum den Opfern bislang insgesamt 114 000 Euro gezahlt. Drei Anträge würden noch bearbeitet.

Er selbst habe nicht mit so viel Geld gerechnet, erzählt ein 74-Jähriger, der während seiner acht Jahre im Kinderheim Reitenbuch wiederholt Opfer von psychischer Gewalt wurde. Als er die Entschädigung des Bistums erhalten habe, sei er tatsächlich „sehr gerührt” gewesen. Dabei habe er Augsburg im Erwachsenenalter lange gemieden. „Ich wollte alles vergessen”, erzählt er. Die Projektgruppe und der neue Augsburger Bischof, der „alles in Bewegung gesetzt” habe, habe ihm aber geholfen, inzwischen ein bisschen mit der Sache abzuschließen. Mehr erhofft sich der ehemalige Heimbewohner allerdings noch vom Orden der Dillinger Franziskanerinnen. „Da muss was kommen, zumindest eine Entschuldigung”, fordert er. Bislang habe er eine solche noch nicht erhalten.

Auch die Projektgruppe würde sich wünschen, dass sich der Orden und der Träger noch an dem Schadensersatz für die Opfer beteiligen und ihre Schuld eingestehen. Heute werde in den Heimen in der Diözese bereits viel getan, um Missbrauchsfälle künftig zu verhindern. Eine Empfehlung der Projektgruppe ist vor allem eine externe Anlaufstelle, an die Betroffene sich wenden können. Außerdem müsse künftig das gesamte Personal, nicht nur das pädagogische, mit Blick auf das Kindeswohl ausgewählt werden.

Der 74-Jährige ehemalige Heimbewohner kam schließlich als Busfahrer nach München, zog an den Ammersee. In seinem Leben gab es „eine schlechte Seite, eine grausame”, sagt er. Aber schließlich habe sich zumindest für ihn „alles zum Guten gewendet”. Bistum zahlt 114 000 Euro Schadenersatz


Von Laura Türk
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