Augsburg - Dann zückte auch Weihbischof Anton Losinger sein Smartphone. Ließ Mitarbeiter posieren, knipste sie mit den Fundstücken. Sichtlich angetan blätterte er durch eine Zeitung von 1952, las vor, nein, proklamierte, dass „die Augsburger Volksbücherei sich jetzt mit einem Bus motorisieren möchte”, zitierte aus Artikeln über Churchill und Adenauer, begeisterte sich an den Werbeanzeigen.
Was in Losinger den fast kindlichen Entdeckertrieb weckte, war die vergoldete Kugel der Nordturmspitze des Doms - besser: deren Inhalt. Weil auf dem Kirchendach derzeit Schäden von Sturm Ignaz aus dem Jahr 2015 beseitigt werden, wurde der Turmschmuck am Dienstag abmontiert und mit einem Kran herabgehoben. 1999 hatte man im Pendant des Südturms Bleirollen und Pergamente gefunden, die bis ins Jahr 1490 zurückreichten und neue Erkenntnisse über die Geschichte des Katholizismus in Augsburg enthielten.
Angesichts dessen hatte man sich im Bistum einiges erwartet. Offenbar auch die Medien: Derart viele Kamerateams und Fotografen waren in den Innenhof des Gotteshauses gekommen, dass man meinen konnte, aus der Kugel würde im nächsten Moment das verschollene Bernsteinzimmer zum Vorschein kommen.
Spannend war es auch ohne Aufklärung weltweit bekannter Mysterien, als Losinger und Bischof Konrad Zdarsa die Inhalte der 100 Kilogramm schweren Kugel präsentierten, kleine Metallgefäße aufschraubten und Schriftstücke entrollten. Diese dokumentierten Arbeiten, die am Domdach durchgeführt wurden. So steht auf einer Kupfertafel, dass 1848 unter Aufsicht des königlichen Baukonducteurs Konstantin Boeser, der Zimmermeister Josef Schlachter und der Kupferschmiedemeister Alois Blümel das Dach reparierten. Ein Schriftstück aus einer der Zeitkapseln belegt, dass Schlachter für seine Dienste 2200 Gulden erhielt. Eine weitere Tafel verweist auf die Arbeiten im Jahr 1951, als sich - möglicherweise eine Folge der vielen Bombeneinschläge in der Nähe des Doms - das Turmkreuz bedrohlich neigte. Aus diesem Jahr stammen auch Ein- bis Zehnpfennigmünzen sowie die Zeitung und eine Fachzeitschrift für Schreinerlehrlinge.
„Der erfreulichste Fund”, resümierte Diözesankonservator Michael Schmid, „ist ein Schreiben von 1598” - das älteste Artefakt aus der Kugel. Auch damals wurde das Dach erneuert. Erstaunlich sei laut Schmid eine bislang unbekannte Inschrift am Fuß des Turmschmucks. Die Worte „Rollschmid” und „verguld” seien zu lesen, beschrieb der Konservator. Der Rest ist unter einer dicken Schicht der verblichenen Vergoldung kaum zu entziffern.
Wenn die Kugel neu beschichtet wird, wolle man den Schriftzug sichtbar machen, kündigte Schmid an. Wenn die Sanierung auf dem Dach abgeschlossen ist, kommt auch die Kugel mit dem dazugehörigen trompetenden Engel und dem Kreuz wieder auf die Turmspitze. Möglicherweise mit den Fundstücken, sollten sie nicht im Diözesanmuseum ausgestellt werden. Darüber entscheidet, wenn sie ausgewertet sind, das Domkapitel.
Auf jeden Fall wird die Kugel mit Exponaten unserer Zeit befüllt; was das sein wird, wollen die Bistumsvertreter aber nicht verraten. Schließlich soll auch bei den Öffnern der kommenden Generationen der kindliche Entdeckertrieb geweckt werden.