Fiktive Dialoge und Monologe wechseln sich ab, paaren sich mit Auszügen aus den „Moabiter Sonetten”, Briefen und Tagebucheinträgen von Albrecht Haushofer sowie Zeitgenossen und Weggefährten. Außerdem fügt Göttler Erinnerungen aus seiner eigenen Kindheit und Jugend ein: Er wuchs in Prittlbach bei Hebertshausen, quasi am Rande des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau, auf. Göttler gelingt mit diesem in drei Teile gegliederten, sehr persönlichen Werk eine ganz eigene, ungewöhnliche und berührende Spurensuche. Wer war Albrecht Haushofer? Mit dessen Gedichten wurde Norbert Göttler als Pennäler im Schulunterricht konfrontiert. An einem Dachauer Gymnasium. Dabei wussten zu Beginn der 70er Jahre viele Lehrer noch nicht so recht, wie sie den Kindern die Zeit des Nationalsozialismus vermitteln sollten. Beschäftigung mit der unrühmlichen Vergangenheit stand nicht überall hoch im Kurs. Göttler aber hatte offenbar einen mutigen Deutschlehrer: „Begeisterung wird er dafür nicht geerntet haben”, vermutet er. Haushofer war lange Zeit eine umstrittene Figur. Sollte man ihn überhaupt dem Widerstand zurechnen? Schließlich galt Albrechts Vater, der Professor Karl Haushofer, wie unter anderem Aussagen seines Bekannten Stefan Zweig belegen, als Hitlers Einflüsterer in Angelegenheiten der Geopolitik. Er wurde zeitweise sogar als „Gehirn Hitlers” bezeichnet. Haushofers Mutter Martha hingegen war eine Halbjüdin. Sie wurde von Reichsministers Rudolf Heß persönlich geschützt, der einst bei Karl Haushofer an der Kriegsakademie studiert hatte. Schwierige Familienverhältnisse also: Albrecht Haushofer hatte es nicht leicht, sich von den Nationalsozialisten auch öffentlich zu distanzieren. Der studierte Geograph war Dozent für Geopolitik an der gleichgeschalteten Hochschule für Politik in Berlin. Dazu fungierte er ab 1933 als Berliner Stellvertreter seines Vaters im Vorsitz des „Volksdeutschen Rats”, eines Rudolf Heß unterstellten Gremiums. Dadurch knüpfte er gute Beziehungen zu Joachim von Ribbentrop, den persönlichen Berater Adolf Hitlers in außenpolitischen Fragen, der großen Wert auf Albrecht Haushofers Rat legte. Ab 1934 war er Mitarbeiter der Dienststelle Ribbentrop und unternahm in dessen Auftrag Reisen in geheimer Mission. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Haushofer freier Mitarbeiter der Informationsstelle I des Auswärtigen Amts. Heute heißt es, er habe wichtige Positionen übernommen in der Hoffnung, Einfluss auf das System nehmen zu können. Diverse seiner Schriften weisen darauf hin. 1933 schrieb er: „Manchmal frage ich mich, wie lange wir die Verantwortung, die wir tragen, und die allmählich anfängt, sich in historische Schuld zu verwandeln, noch tragen können.” Ab 1941 knüpfte er Beziehungen zum Widerstand. Nach dem Stauffenberg-Attentat auf Hitler 1944 tauchte er in Bayern unter, wurde aber entdeckt und ins Gestapo-Gefängnis Moabit gebracht. In der Nacht zum 23. April 1945 wurde er mit 15 weitern Häftlingen erschossen. Kurz vor seinem Tod schuf Albert Haushofer mit seinen „Moabiter Sonetten” ein Resümee seines Lebens und einen Ausdruck überwundener Verzweiflung. Mit diesem klaren Werk reihte er sich in die Riege der großen Widerständler ein. Die Familie Haushofer lebte auf dem Hartschimmelhof am Ammersee, noch heute wohnen dort ihre Nachfahren. Viele Familienmitglieder ragen intellektuell heraus und sind künstlerisch begabt. Urgroßvater Maximilian war zu seiner Zeit Vorreiter der Malerkolonie am Chiemsee und Professor für Landschaftsmalerei in Prag. Dessen Sohn, Maximilian junior, arbeitete als Professor für Nationalökonomie und war Abgeordneter. Zudem schrieb er Gedichte, Dramen, Märchen und sogar Science-Fiction-Romane. Einige Frauen der Familie, wie Marie Haushofer und Emma Haushofer-Merk, machten sich als Malerinnen und Schriftstellerinnen einen Namen. Albrecht Haushofer kannte natürlich die leichten, liebenswerten und menschenfreundlichen Werke seiner Vorfahren. Er - wie auch Norbert Göttler in seinem Buch - fragte sich: Wann ist das Dunkle und Harte in diese so künstlerisch und geistig begabte Familie gekommen? Das Buch beginnt mit dem etwa 13-jährigen Norbert Göttler, der unweit des ehemaligen KZ-Geländes pflügt und sich heimlich auf dem von ihm als gruselig empfundenen Areal herumtreibt. „Der Junge” läuft auf alten Schienen in die Schule und ahnt nicht, dass darauf die Züge mit Häftlingen ins KZ fuhren: „Von früher spricht man nicht.” „Der Junge” erlebt, wie die Mutter Saisonarbeiterinnen abholt, Frauen, die ihre Heimat verloren haben. Er hört von einem 14-Jährigen, der von einem SS-ler Stunden vor Kriegsende erschossen wurde, von einem Kommunisten, dem einzigen im Ort, und einem Onkel, der als 17-Jähriger 1944 noch eingezogen wurde und fiel. Das Buch ist ein Resultat der vielen Impressionen, die Göttler als kleiner Junge und Jugendlicher in Dachau auch ganz unbewusst in sich aufnahm. Die Gedenkstätte entstand erst 1965. Ab 1948 bis dahin wurde das Areal als Lager für Flüchtlinge und Heimatlose genutzt. Außerdem betrieb Norbert Göttler für das Buch jahrelang intensive Quellenstudien. Er sprach mit Nachkommen der Familie Haushofer und Mitgliedern der Weißen Rose sowie Überlebenden des Stauffenberg-Kreises. Originalzitate mischen sich nun mit fiktiven Gesprächen, die jedoch historisch verankert sind. So werden die Folgen der Gewaltherrschaft für die Gesellschaft - bis heute - sehr eindrücklich deutlich. Norbert Göttler: Dachau, Moabit und zurück. Eine Begegnung mit Albrecht Haushofer. Allitera Verlag, 128 Seiten, 18 Euro. Norbert Göttler, Jahrgang 1959, wuchs auf Gut Walpertshofen in Prittlbach nahe des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau auf. In seinen Kindertagen erlebte er das Areal als Flüchtlingslager. Das beeindruckte ihn ebenso wie Haushofers „Moabiter Sonette”, die er in der Schule kennenlernte. Jahrzehnte später versucht er nun, beide Erfahrungen miteinander ins Gespräch zu bringen. Norbert Göttler, Jahrgang 1959, wuchs auf Gut Walpertshofen in Prittlbach nahe des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau auf. In seinen Kindertagen erlebte er das Areal als Flüchtlingslager. Das beeindruckte ihn ebenso wie Haushofers „Moabiter Sonette”, die er in der Schule kennenlernte. Jahrzehnte später versucht er nun, beide Erfahrungen miteinander ins Gespräch zu bringen.